Blutiger, härter, besser? Geht «Criminal Minds» zu weit?

«Criminal Minds» startete als recht handelsübliche Crime-Serie, über die Jahre ging es bei dem populären Format aber immer expliziter zu. Was steckt dahinter?

«Criminal Minds»-Facts

  • Genre: Police procedural, Thriller, Crime-Drama
  • Idee: Jeff Davis
  • Darsteller: Mandy Patinkin, Thomas Gibson, Lola Gaudini, Shemar Moore, Matthew Gray Gubler, A.J. Cook u.w.
  • Episodenzahl: 290 (13 Staffeln)
  • Weltpremiere: 22. September 2005 (CBS)
  • Spin-Offs: «Criminal Minds: Suspect Behavior» & «Criminal Minds: Beyond Borders»
Crime und CBS ist, was die Amerikaner ein „match made in heaven“ nennen würden, eine ideale Kombination. Seinen Crime-Serien darf CBS es danken, dass der Sender in den vergangenen Jahren die meisten Zuschauer überhaupt in den USA anlockte. Die Drama-Sparte von CBS beheimatet daher noch immer eine zweistellige Zahl an Crime-Formaten, darunter «Navy CIS» und seine zwei Spin-Offs oder «Hawaii Five-0» und «Blue Bloods», die gleichzeitig oft zu den langlebigsten aktuell laufenden Serien des Networks zählen. Der Erfolg von CBS-Crime in den USA, der obendrein in aller Welt Abnehmer findet, lässt sich dabei auf eine Art Formel zurückführen, die CBS als gewinnbringend erkannt hat: Kurzweilig müssen die Episoden sein, weshalb die meisten der Crime-Serien als Procedural konzipiert sind. Dennoch müssen charismatische Protagonisten im Mittelpunkt stehen, zu denen die Zuschauer über längere Zeit hinweg eine Bindung aufbauen können.

«Criminal Minds»: Ausbruch aus CBS‘ Crime-Formel


Und ganz wichtig: Massentauglich muss es sein. Action, Gewaltdarstellungen und Tode, die Krimis ja naturgemäß naheliegen, dürfen nicht zu lasch, aber bloß nicht zu explizit sein, schließlich handelt es sich bei CBS um einen werbefinanzierten Sender, der sowohl Zuschauer als auch Werbekunden nicht abschrecken darf. So locken Serien wie «Navy CIS» Familienväter und Hausfrauen, Best-Ager aber auch Teens und Twens an. Doch ein Format, das zweitälteste unter den aktuellen CBS-Dramen, hat sich dieser Formel längst entzogen: «Criminal Minds», dass sich seit September 2005 um die Arbeit des FBI im Bereich der operativen Fallanalyse durch die „Behavioral Analysis Unit“ dreht, wurde über die Jahre hinweg immer blutiger und expliziter. Die ersten zwölf Staffeln lief «Criminals Minds» noch mittwochs um 21 Uhr, zur Season 13 verschob CBS das altgediente Format schließlich um eine Stunde nach hinten. Wegen der zunehmenden Brutalität?

Dass Network-Serien in den USA für ihre Gewaltdarstellungen kritisiert werden, kommt eher selten vor. Zum einen liegt die Schmerzgrenze US-amerikanischer Zuschauer in Sachen Gewalt etwas höher als im frei empfangbaren Fernsehen hierzulande, während bei Sex und Erotik stärker zensiert wird. Wie bereits dargelegt verzichten Network-Serien aus Gründen der Massentauglichkeit jedoch sowieso wesentlich häufiger auf explizite Gewalt als Kabelserien, die sich des Öfteren Stimmen kritischer Beobachter gefallen lassen müssen, allerdings aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit nicht eine so hohe Anzahl an Personen erreichen. Eine Ausnahme stellt hier schon seit einigen Jahren «Criminal Minds» dar, das immer öfter für seine Gewalt kritisiert wurde.

Spiegelbild der Realität?


Immer wieder keimten Debatten über «Criminal Minds» auf. Dass diese nicht selten geführt wurden, als sowieso einmal wieder aufgrund von Amokläufen oder anderen etwaigen Tragödien eine höhere Sensibilität herrschte, hatte dabei oftmals einen fast heuchlerischen Charakter. So kommentierte etwa NBCs Unterhaltungschef Bob Greenblatt kurz nach einem Schul-Amoklauf in Connecticut im Jahre 2013, «Criminal Minds» sei in Sachen Gewalt schlimmer als «Dexter», Kabelsender Showtimes Drama-Serie über einen massenmordenden Psychopathen, jemals gewesen sei. In diesen Zeitraum fiel auch die Aussage des ehemaligen «Criminal Minds»-Darstellers Mandy Patinkin («Homeland»), der die Serie als „größten öffentlichen Fehler“, den er je machte, bezeichnete, nachdem sich obendrein ein Junge, der in den USA seinen Neo-Nazi-Vater ermordete, auf «Criminal Minds» berief und aussagte, das Format habe ihn zur Tat inspiriert.

Seitdem stieg die Allgegenwärtigkeit von Gewalt in der Lebenswirklichkeit von US-Amerikanern mutmaßlich noch deutlich an, was sich täglich, im Vergleich zu deutschen News, in ebenfalls ziemlich gewalthaltigen Nachrichtensendungen wiederspiegelt. Gleichzeitig zählen Formate wie «The Walking Dead» oder «Game of Thrones», die in Serienform mit am meisten Gewalt abbilden zu den populärsten Serien dieser Zeit. In der Zwischenzeit wiesen etwa psychologische Studien der University of Iowa oder der University of Queensland nach, dass die zunehmende Anzahl und der Konsum gewalthaltiger Inhalte zu einer Desensibilisierung der Öffentlichkeit führe, zu einer Art emotionalen Verstumpfung. Vielleicht lässt sich auch so erklären, dass die Beschwerden über gewalthaltige Fernsehserien mit der steigenden Anzahl derartiger Programme und der sich immer weiter verschiebenden Schmerzgrenze abnahmen.

Gewalt in «Criminal Minds»: Sinnlos oder wichtig?


Lockte mehr Gewalt in «Criminal Minds» mehr Zuschauer an?

Staffel 8 (2012/2013): 12,15 Mio.
Staffel 9 (2013/2014): 12,66 Mio.
Staffel 10 (2014/2015): 14,11 Mio.
Staffel 11 (2015/2016): 12,20 Mio,
Staffel 12 (2016/2017): 10,86 Mio.
Zuschauer ab 2
Doch Kunst, das sind auch Fernsehserien, hat schon immer das Leben imitiert, in dem Gewalt in den vergangenen Jahren nun einmal zunehmend präsenter wurde. «Criminal Minds» blieb für Kritiker jedenfalls eine Art rotes Tuch. Weil «Criminal Minds» auf dem frei empfangbaren CBS läuft und weil CBS teilweise Wiederholungen des Formats am Tage sendete. Tatsächlich hat es in «Criminal Minds» aber Tradition, Vorfälle des echten Lebens aufzugriefen und zu fiktionalisieren, darunter auch Themen wie Terrorismus oder Amokläufe, die den öffentlichen Diskurs kurz nach deren Stattfinden dominieren. Der Unterschied zu Crime-Serien wie «Navy CIS» besteht darin, dass diese sich auf das Vorgehen der Ermittlerteams konzentrieren, während «Criminal Minds» immer öfter auch das Leiden der Opfer oder die Vorgehensweise der Täter abbildete, was schnell zu unangenehmen Darstellungen führte.

Neben Patinkin äußerten sich auch andere «Criminal Minds»-Darsteller immer wieder zu den Vorwürfen, dass die Menge an sinnloser Gewalt im Format eine Grenze überschritten habe. Als Internetnutzer auf der Plattform Reddit 2016 die Möglichkeit bekamen, mit den Darstellern Joe Mantegna und Esai Morales zu sprechen, lehnten diese die Kritik jedoch entschieden ab. Gerade die Tatsache, dass so viele Episoden auf realen Vorfällen basierten, erachteten beide als wichtig und bezeichneten «Criminal Minds» als ein Format, das Amokläufe oder Mord nicht glorifiziere, sondern sich bemühe, die Dinge abzubilden, wie sie sind - auch Männer und Frauen, die dagegen vorgehen. Es gäbe einen Unterschied zwischen stilisierter und glorifizierender Gewalt. Bei letzterer verberge man die Auswirkungen, die diese Vorfälle auf Familien und Dritte haben. «Criminal Minds» zeige jedoch genau dies.

Die Gewaltdebatte um «Criminal Minds» hat viele Facetten und nicht alle Argumente einer Seite sind falsch. Die CBS-Serie war schon gewalttätiger als andere Network-Formate, als es insgesamt deutlich weniger gewalthaltige Serien von Anbietern wie Kabelsendern oder Streamingdiensten gab, doch mit deren steigender Popularität wurde auch «Criminal Minds» brutaler. Dass auch nach zwölf Staffeln noch eine hohe Nachfrage besteht und die Produktion sich tatsächlich von wahren Fällen inspirieren lässt, um deren Auflösung und Auswirkungen abzubilden, bedarf keiner Kritik und gibt dem Format eine deutlich größere Daseinsberechtigung als vielen anderen Serien dieser Tage.

Wahr ist jedoch auch, dass «Criminal Minds» schon längst hätte auf einen späteren Sendeplatz verschoben werden müssen und dass die Serie in der Daytime nichts zu suchen hat. Und bei allen noblen Vorsätzen der Macher muss angemerkt werden, dass auch das Alter des Formats in die Zunahme gewalthaltiger Inhalte mithineinspielte. Früher gab man sich noch mehr Mühe, den Profilern sinnvolle Hintergrundgeschichten zu schreiben und vor allem die Arbeit der Behavioral Analysis Unit auf aufschlussreiche Weise zu beleuchten. Die Entscheidung, Grenzen im Network-Fernsehen auszutesten und immer häufiger die Killer statt die FBI-Ermittler in den Fokus zu rücken, wirkte auch dem Alter der Serie und einiger mutmaßlich auserzählter Stammcharaktere geschuldet. Mit nunmehr dreizehn Staffeln fällt es auch «Criminal Minds» immer schwerer, die Zuschauer zu locken. Gewalt könnte wie ein einfaches Mittel gewirkt haben.


31.01.2018 11:31 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/98663