Annette Hess: 'Autoren sind manchmal einfach zu nett'

In den Augen der «Ku'damm»-Schöpferin Annette Hess spielen Autoren in Deutschland ihre Position als Urheber von Filmen und Serien nicht genügend aus. Welche Macht den Senderredaktionen zukommt? Das verrät sie am Tag der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in unserem Interview und wünscht sich, dass mehr Autoren den Weg in die Öffentlichkeit suchen.

Vita Annette Hess (Auswahl)

  • «In aller Freundschaft» (2002 bis 2006)
  • «SOKO Köln» (2003 bis 2006)
  • «Die Frau vom Checkpoint Charlie»
  • «Heiße Spur»
  • «Weissensee» (Staffel eins bis drei)
  • «Die Holzbaronin»
  • «Ku’damm 56»
  • «Ku'damm 59»
Wie ist Ihre Reaktion darauf, dass beim Deutschen Fernsehpreis zunächst keine Autorinnen und Autoren eingeladen wurden?
Ich bin ehrlich gesagt dankbar für diesen Vorfall, weil es nun zu dieser Welle an Solidarität kam. Weil die Stifter die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, gab es einen empörten Aufschrei in unserer Branche, und der war dringend nötig. Denn Autoren in Deutschland erhalten schlicht nicht die Aufmerksamkeit, die ihrer Arbeit angemessen ist. Ich hoffe, dieser Skandal führt – neben der inzwischen den meisten Branchenkennern bekannten Wertschätzung der Autoren im Ausland – auch hier zu einem Umdenken.

Um einmal den Spitzfindigen zu spielen: Können sich nicht genauso sehr andere Metiers über den Deutschen Fernsehpreis beschweren? Ohne Kameraleute, Tonleute, Locationscouts, etc., würden die TV-Produktionen ja auch nicht zustande kommen – aber wenn man wirklich alle an einer Produktion beteiligten Personen einlädt, kommt es zum Organisationsalbtraum. Weshalb sollten Autorinnen und Autoren ein Vorrecht haben, eingeladen zu werden?
Autoren sind die Urheber eines Films, einer Serie – nicht mehr und nicht weniger. Wenn sie keine Vision gehabt hätten und sich arbeitsintensiv eine Geschichte ausgedacht hätten, oft Jahre bevor sich ein Regisseur hinsetzt und über die Inszenierung nachdenkt, gäbe es kein Fernsehprogramm mehr. So einfach ist das. Wir sind es, die – meist für lächerlich wenig Geld – zu Hause einsam Exposés, Figurenbibeln, Treatments und Pilotfolgen schreiben, damit ein Sender überhaupt erst den Auftrag an eine Produktionsfirma gibt. Für die Umsetzung sind alle wichtig, natürlich! Aber Regie, Kamera, Kostüm, Musik, Lichtsetzung, Ton – all diese Arbeitsbereiche kommen erst zum Zug, nachdem wir das Drehbuch geschrieben haben.

Die Gewerke inszenieren, interpretieren, lassen sich inspirieren und erschaffen dann auch neu, arbeiten kreativ und künstlerisch. Aber immer auf der Grundlage unserer Arbeit. Mir ist bewusst, dass zum Beispiel Cutter oft sagen, dass sie einen Film gerettet haben. Und das kann durchaus vorkommen. Doch Cutter arbeiten nach einem Drehbuch und haben eine bestehende Auswahl, während wir Autoren aus dem absoluten Nichts schöpfen. Wir sitzen vor dem blanken Computerbildschirm und erschaffen die Welt, die alle anderen dann erst betreten.

Wir sind es, die – meist für lächerlich wenig Geld – zu Hause einsam Exposés, Figurenbibeln, Treatments und Pilotfolgen schreiben, damit ein Sender überhaupt erst den Auftrag an eine Produktionsfirma gibt.
Annette Hess über die Bedeutung von Autoren
Woher rührt Ihrer Meinung nach diese Haltung in der Fernsehbranche, dass Autoren nicht gerade die oberste Instanz sind?
Als ich vor 15 Jahren in der Branche angefangen habe, da war es noch in Stein gemeißelt: Der Regisseur, oder in seltenen Fällen die Regisseurin, war die Instanz, die entschieden hat, wie der Film am Ende aussieht. In dem Moment, wo der Regiestuhl besetzt wurde, waren er/sie für die Beteiligten die künstlerisch wichtigste Person. Auch wenn ich monatelang an einem Drehbuch gearbeitet hatte, musste nur der Regisseur sagen, dass er es anders haben wollte, und alle haben genickt und sehr oft wendehälslerisch ihre bisherige Meinung angepasst.

Ich hatte mal ein Drehbuchgespräch, da ging es um eine für die Handlung wichtige Nebenfigur. Der Regisseur wollte 'Sabine' aber nicht, konnte nur nicht nachvollziehbar erklären, warum. Es war "nur so ein Gefühl". Da griff die Redakteurin ein: "Also, weg mit Sabine!" Die Produzenten nickten dazu. Und ich konnte mir zuhause überlegen, wie ich die Geschichte ohne Sabine erzähle, ohne dass dramaturgisch alles zusammenbricht. Am Übelsten daran war: Dieser Eingriff hatte nichts mit dem Inhalt zu tun, sondern nur mit Macht.

Ich glaube, diese Regiehörigkeit stammt aus der Zeit der deutschen Autorenfilmer – das sitzt immer noch in einigen Köpfen fest. Ein schleichendes Umdenken tritt jetzt mit dem Serienboom ein. Alle wissen, dass Vince Gilligan der federführende Autor von «Breaking Bad» ist, die Regisseure der Serie kennt kaum jemand – sie werden engagiert, um die Vision der Autoren zu verwirklichen. In Deutschland sind wir noch nicht so weit. Aber wenn wir international mithalten wollen, kommen wir nicht umhin, den Autoren entscheidend mehr Macht zu geben.

Ich bin mir sicher: Es gibt Regisseure, die Ihnen nun widersprechen und ihre eigene Position als die alles entscheidende bezeichnen würden.
Ja, aber das stimmt so nicht. Oder dann würde ich gerne mal die Rechtfertigung für diese Aussage hören. Kann ich vielleicht mal in einem Drehbuch verwenden. (lacht) Man kann es mit der Musikwelt vergleichen: Wir Autoren sind die Komponisten, die Regisseure die Dirigenten und die Schauspieler sind die Musiker. Wir alle sind ungeheuer wichtig, damit die Vision, die Komposition auf dem Stück Papier zu Musik wird, die ein Publikum hören kann. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, die Komposition zu interpretieren – jeder Dirigent kann Beethovens 9. auf verschiedene Weisen umsetzen. Auf seine mittelmäßige oder auch geniale Weise. Diese Bedeutung will ja keiner untergraben, doch viele Regisseure geraten da grade in Panik, daß ihnen etwas genommen werden soll.

Grade jetzt im Zuge des Fernsehpreis-Skandals habe ich so unglaubliche Geschichten von Kollegen gehört. Man könnte meinen, es herrsche Krieg. Ich persönlich mache zum Glück aktuell eine sehr gute Erfahrung mit dem Regisseur von «Ku’damm»: Sven Bohse. Wir begegnen uns künstlerisch auf Augenhöhe, gestalten die Filme gemeinsam, konstruktiv und immer im Sinne das bestmöglichen Ergebnisses. Aber das scheint mir leider noch eine Ausnahme zu sein.

Die Redakteure sind entscheidend dafür, welchen Weg ein Projekt einschlägt. Sie sind die Moderatoren oder Mediatoren dieses Prozesses, sie haben als Geldgeber den meisten Einfluss. Und sie sind dafür verantwortlich, ob ein konstruktives Miteinander entsteht. Sie müssen allen, die für ein Projekt von Belang sind, das berechtigte (!) Gefühl geben, dass sie wichtig sind und dass ihre Stimme berücksichtigt wird.
Annette Hess
Ich könnte mir vorstellen, dass da die Sender eine entscheidende Rolle spielen. Wenn die ein Drehbuch an einen Regisseur geben und sagen: "Mach da was draus" wird ihm ja prompt eine andere Stellung zugeschrieben, als entgegne man ihm mit der Anweisung: "Setz das bitte um" …
Zweifelsohne. Die Redakteure sind entscheidend dafür, welchen Weg ein Projekt einschlägt. Sie sind die Moderatoren oder Mediatoren dieses Prozesses, sie haben als Geldgeber den meisten Einfluss. Und sie sind dafür verantwortlich, ob ein konstruktives Miteinander entsteht. Sie müssen allen, die für ein Projekt von Belang sind, das berechtigte (!) Gefühl geben, dass sie wichtig sind und dass ihre Stimme berücksichtigt wird. Bei «Ku'damm» macht die ZDF-Redaktion um Heike Hempel da eine großartige Arbeit. Sie behandeln Regie und Autorin als künstlerisch gleichberechtigt, bei Streitfragen haben Sven Bohse und ich immer gute Kompromisse gefunden oder uns einfach vom anderen überzeugen lassen. Ich kann ja nur für mich sprechen, aber ich habe noch nie in einem Projekt gearbeitet, in dem ich die Atmosphäre als so frei und kreativ fördernd empfunden habe – und das obwohl der Sender ja auch ein weiteres Ziel vor Augen hat: ein größtmögliches Publikum zu erreichen.

Also besteht eine Korrelation oder gar Kausalität zwischen miesen Erfahrungen, die Sie mit der Regie gemacht haben und einer miese Moderation durch den Sender?
Wenn in einer Redaktion eine reine Regiehörigkeit vorherrscht, dann nehmen Regisseure konsequenterweise auch eine andere Arbeitshaltung an. Das kann man ihnen auch gar nicht verübeln: wer Macht in die Hände bekommt, will sie auch verteidigen. Aber ist es ja nicht so, als wären alle, die so regiehörig sind, Idioten oder boshaft. Das hat auch mit dem bisher üblichen Entstehungsprozess eines Films zu tun. Die Regie bekommt ja quasi drei Millionen Euro in die Hand gedrückt, um das Drehbuch umzusetzen. Dann sind natürlich alle Augen auf die Regie gerichtet. Wir Autoren sind mit Produktionsbeginn nur noch ein Name auf dem Titelblatt des Drehbuchs.

So kommt es zum Beispiel dazu, dass Schauspieler Preise für Rollen gewinnen, die ich geschrieben habe, und auf der Bühne heißt es: "Ich danke meinem Regisseur!" Ich bleibe dann ungenannt und denke mir: "Aber ich habe doch deine tolle Figur erschaffen und dir diese Worte in den Mund gelegt!" Oder Journalisten beschreiben Filminhalte und zitieren Dialoge – ohne den Autor auch nur zu erwähnen. "Regisseur xy erzählt in seinem neuen Film..." ist eine beliebte aber nicht weniger falsche Formulierung in Rezensionen. Das alles schafft Frust beim Autor. Viele meiner Kollegen wechseln deshalb zur Prosa, schreiben Romane. Und leider sind es meist die Begabtesten, die nicht mehr mitmachen wollen, weil sie die sensiblen sind, die künstlerischen Visionäre. Fakt ist: Dem deutschen Fernsehen gehen durch dieses veraltete System die besten Autoren verloren! Deshalb ist es im Interesse aller, am Ende vor allem auch des Publikums, die Position der Autoren zu stärken.

Wo können da Autoren Ihrer Meinung nach den Hebel ansetzen? Klar, bei Projekten wie «Weissensee» oder «Ku'damm» ist ja die Marschrichtung gegeben, denn wenn diese Projekte neu entstehen, schaffen Sie aus dem Nichts etwas, von dem der Sender sich von Beginn an etwas einer gewissen Größenordnung vorstellt. Aber bei fortlaufenden vorabendlichen Reihen, beispielsweise, werden sich neu hinzustoßende Autoren ja kaum so große Rechte einräumen lassen können …
Das muss natürlich immer nach Format und auch individuell betrachtet werden. Als Berufsanfänger kann man bestimmte Rechte nicht einfordern. Man muss auch gewisse Erfolge vorweisen können, um Bedingungen zu stellen. Bei neuen Serien, Mehrteilern, den sogenannten Leuchtturmproduktionen ist die Urheberschaft des Autors zudem offensichtlicher als bei fortlaufenden Reihen und Serien.

Zu einer Reihe wie «Kommissar und das Meer» habe ich mir das Format nicht ausgedacht und ordne meine künstlerische Handschrift den Vorgaben und Gesetzen der Filme unter. Dennoch erfinde ich ja eine ganz neue Krimi-Geschichte. Und ich habe ich mich da jetzt geärgert, dass die Regie nicht wollte, dass ich Muster vom Dreh sehe. Mit dem fertigen Film bin ich nun leider nur zum Teil einverstanden. Ich finde daher, auch im Tagesgeschäft muss die Position der eigentlichen Erzähler angepasst werden. Es muss selbstverständlich sein, dass Autoren Muster und Rohschnitte sehen können, um bei Bedarf korrigierend einwirken zu können.

Die Drehbuchautoren in Deutschland sind ja nicht in einer Gewerkschaft organisiert, sondern bloß in einem Verband – daher sind die Optionen, die wir haben, um gemeinschaftlich etwas zu bewegen, begrenzt. Was wir alle aber machen können, ist, mehr Informationspolitik zu betreiben.
Annette Hess
Was sind Ihre Ideen, wie lässt sich dies bewerkstelligen?
Die Drehbuchautoren in Deutschland sind ja nicht in einer Gewerkschaft organisiert, sondern bloß in einem Verband – daher sind die Optionen, die wir haben, um gemeinschaftlich etwas zu bewegen, begrenzt. Was wir alle aber machen können, ist, mehr Informationspolitik zu betreiben. In Form solcher Gespräche wie dem, das wir hier gerade führen, oder durch öffentliche Reaktionen auf Missstände wie jetzt die Einladungspolitik beim Fernsehpreis. Und nicht nur nach außen, auch innerhalb unseres Metiers ist es wichtig, Informationen weiterzugeben. Ich bin zum Beispiel mit vielen tollen Autoren vernetzt. Wir tauschen uns darüber aus, mit welchen Regisseuren und Redakteuren eine Zusammenarbeit angenehm verläuft. Wir haben eine Weiße Liste – aber eben auch eine Schwarze. Auffällig ist: Die Geschichten gleichen sich sehr oft. Wenn ein Name auftaucht, dann schreien oft mehrere Autorinnen und Autoren auf, weil sich die Erfahrungen decken. Es ist selten, dass unterschiedliche Autoren unterschiedliche Erfahrungen mit bestimmten Redaktionen, Produktionsfirmen oder Regisseuren gemacht haben.

Wir versuchen außerdem aktuell, bestimmte Standards bei den Verträgen für größere Produktionen festzulegen – ohne Gewerkschaft ist das zwar schwer, aber wenn viele Autoren ab einer gewissen "Gewichtsklasse" dieselben Forderungen äußern, besteht eine gewisse Chance, dass sich diese Standards durchsetzen. Ein Vertragsstandard ist ein Regieveto. Also das Recht, dass wir sagen können: "Ich widerspreche, dass Regisseur X mein Skript verfilmt." Wenn sich ein Regisseur beim Autor vorstellen muss, und erklären muss, was er vorhat, entsteht automatisch ein Arbeitsverhältnis auf Augenhöhe.

Außerdem sollten Autoren, die ihre Vision bis zum Schluss mitgestalten wollen, einen zusätzlichen Vertrag als Showrunner oder Creative Producer abschließen. Natürlich muss sich da jeder Autor entscheiden, ob er das will – bei «Ku’damm» habe ich jeden Tag bergeweise Mails im Postfach, weil Dinge besprochen werden müssen. Das ist Arbeit, aber ich will es so. Ein Kollege von mir, der eine sehr erfolgreiche Serie erfunden und geschrieben hat, war dagegen zu bescheiden und zurückhaltend. Das hat dazu geführt, dass nun der Produzent überall verbreitet, er hätte die Idee zu dieser Serie gehabt. Aber mein Kollege will sich nicht auflehnen. Autoren sind manchmal einfach zu nett.

So ein Regieveto wird sich nicht überall durchsetzen lassen …
Das ist klar. Und man muss ja auch immer abwägen, bei welchen Produktionen das sinnvoll ist. Wir Autoren wollen ja auch keine Projekte verhindern, sondern die Qualität der Produktionen aus Deutschland steigern. Wir sind es so leid, dass jede dritte Überschrift im Medien-Feuilleton lautet: "Warum kann Deutschland keine Serie?" Das liegt natürlich nicht daran, dass die deutschen Autoren schlechter sind als die im Rest der Welt: Das liegt an unserem veralteten System. Viele sagen, die 'doofen' Redakteure in den Sendern sind schuld, die sich inhaltlich nichts trauen. Ich glaube aber, es liegt daran, dass die künstlerischen Machtverhältnisse auf der Seite der Kreativen nicht stimmen.

Wir Autoren wollen ja auch keine Projekte verhindern, sondern die Qualität der Produktionen aus Deutschland steigern. Wir sind es so leid, daß jede dritte Überschrift im Medien-Feuilleton lautet: "Warum kann Deutschland keine Serie?"
Annette Hess über die Wünsche deutscher TV-Autoren
Zurück zu den weiteren Möglichkeiten, die Autoren haben, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Welche Optionen sehen Sie noch?
Wir müssen weiter aufklären, was unsere Arbeit bedeutet. Wir müssen mehr Interviewmöglichkeiten mit uns anbieten, unsere Agenten Pressearbeit machen lassen, auf Podien gehen, in Talksendungen. Ich kenne natürlich auch etliche Kollegen, die wollen nicht in die Öffentlichkeit. Das liegt ein wenig in unserer Natur. Viele von uns sind ja gerade deswegen in diesen Beruf gegangen, weil wir gern am Schreibtisch sitzen, still mit unserer Vorstellungskraft vor uns hin arbeiten und lieber die Schauspieler für uns ins Rampenlicht treten lassen. Aber wenn man Aufmerksamkeit und Mitspracherecht haben möchte, muss man aus dieser Haut heraus. Man kann sich nicht beschweren, dass man nicht gesehen wird, wenn man sich nicht zeigt!

Zurück zum Verhältnis Regie/Autor: Ein bisschen spielt man als Kritiker ja schon Roulette, wenn man eine Dialogzeile zitiert. Klar, man sollte denken, dass die Autorin/der Autor sie verfasst hat. Aber ich kenne Fälle, wo der Drehbuchautor für Dialoge zur Verantwortung gezogen wurde, und dieser dann erwiderte: "Aber der dumme Satz ist nicht von mir, der stammt vom Regisseur. Nach meinem Drehbuchentwurf wurde sonstwas mit meinen Texten gemacht." (lacht)
Ja, da kann ich Sie verstehen. Das erinnert mich an einen Film von mir, ein ziemlicher Historienschinken, mit dem ich sehr unzufrieden bin. Ich mache da auch niemanden gezielt für verantwortlich. Da war irgendwie von Anfang an der Wurm drin. Und der Regisseur, mit dem ich eigentlich super klarkomme und einige andere hervorragende Zusammenarbeiten hatte, kämpfte dafür, dass ein bestimmter Satz in dem Film vorkommt, der so nicht im Drehbuch stand: "Aber Olga, das sind Nazis!" Wir haben lange darüber diskutiert, denn ich fand den Satz schrecklich – so hat in meinen Augen niemand zur Zeit des Dritten Reichs gesprochen. Er fand den Satz aber wichtig – und so landete er im Film und war dann die Überschrift eines Totalverrisses in der 'FAZ'. (lacht)

Was sehr oft passiert, ist, dass ein Regisseur eine einzige Szene ändert und dann prompt einen gleichwertigen Autoren-Credit haben will. Das hat dann natürlich viel mehr mit dem Machtkampf um die Urheberschaft zu tun als mit den Inhalten der Geschichte. Dieser ungeheuerliche Übergriff leuchtet sogar Branchenfremden ein. Um diese Willkür abzuwehren, wäre eine Idee, ein unabhängiges Dramaturgengremium einzuführen.
Annette Hess
Sie erwähnten vorhin die Schwarze Liste: Was müssen Regisseure, die dieses Interview lesen, beachten, damit sie niemals dort landen? Was sind häufige Vergehen?
Was sehr oft passiert, ist, dass ein Regisseur eine einzige Szene ändert und dann prompt einen gleichwertigen Autoren-Credit haben will. Das hat dann natürlich viel mehr mit dem Machtkampf um die Urheberschaft zu tun als mit den Inhalten der Geschichte. Dieser ungeheuerliche Übergriff leuchtet sogar Branchenfremden ein. Um diese Willkür abzuwehren, wäre eine Idee, ein unabhängiges Dramaturgengremium einzuführen, das erste und letzte Drehbuchfassungen vergleicht und abwägt, ob die Regie tatsächlich auch in dem Maße als Autor tätig geworden ist, dass eine Nennung im Vor- und Abspann gerechtfertigt ist.

Man kann so eine Eskalation aber auch verhindern, indem man gleich in den Vertrag setzt, dass die Regie nur mit Einverständnis des Autors das Drehbuch umschreiben darf. Auch das sollte Standard werden. Im Übrigen gibt es ja auch Fälle, hatte ich auch schon, da ist man froh, wenn nach der 9. Fassung ein anderer weiterschreibt. Da bin ich dann auch mit dem zweiten Credit einverstanden.

Welche Erfolgschancen würden Sie der Idee eines Autorenstreiks geben, um die Sache der Autoren voranzutreiben?
Ich fürchte, dass ein allgemeiner Autoren-Streik in Deutschland schwer umsetzbar ist. Denn damit dieser wirklichen Einfluss auf das TV-Geschäft hat, bis da etwas beim Zuschauer ankommt, das spürbar wird, dass wir nicht mehr schreiben, müsste der Streik so lange andauern, dass den Sendern und Produktionsfirmen die Drehbücher ausgehen. Und das kann bei der langen Vorlaufzeit, die solche Leuchttürme wie der «Tatort» haben, ein Jahr und mehr bedeuten.

Drei Monate Arbeitsniederlegung würden da kurz Aufmerksamkeit bringen aber in der Wirkung verläppern. Zudem müssten alle Autoren am selben Strang ziehen – und wir sind wie gesagt nicht organisiert. Nur geschätzt die Hälfte der Autoren sind überhaupt im Drehbuchverband. Und viele der Autoren aus der zweiten Reihe, die auf ihre große Chance warten, hätten dann endlich eine Gelegenheit, sich zu beweisen. Was allerdings funktionieren könnte: wenn feste Autorenteams bei Dailys oder Weeklys plötzlich die Arbeit niederlegen. Da sind die Produktionsvorgänge viel kürzer getaktet. Und wenn da plötzlich am Montag keine Bücher mehr kommen, das würde Sender und Produktionen tatsächlich schwer treffen.

Vielen Dank für informative Gespräch. Ich denke, es wird noch spannend, zu sehen, ob aus der Fernsehpreis-Sache nur ein Schluckauf entsteht oder sich nachhaltig etwas ändert.
Ich denke, es ist so: Die Fernsehpreis-Stifter sind eingeknickt und haben die Autoren nachgeladen. Aber wir Autoren laden auch grade nach.
26.01.2018 13:33 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/98573