Die glorreichen 6 – Feine Fernsehfilme (Teil III)

Für die heimische Mattscheibe produziert, und dennoch ganz großes Kino: Quotenmeter.de stellt sechs herausragende Fernsehfilme vor. Weiter geht es mit dem Sat.1-Drama «Die Ungehorsame».

Die Handlung


Cast und Crew

  • Regie: Holger Haase
  • Darsteller: Felicitas Woll, Marcus Mittermeier, Alina Levshin, Matti Schmidt-Schaller, Claudia Geisler-Bading, Hubertus Hartmann, Max Hopp
  • Drehbuch: Michael Helfrich
  • Kamera: Uwe Schäfer
  • Szenenbild: Alexandra Pilhatsch
  • Schnitt: Marco Baumhof
  • Produktion: Ninety-Minute Film GmbH
Ein strahlend weiß eingerichtetes, klinisch sauberes Haus. Doch in einer Ecke gleicht dieser irgendwo zwischen alltäglicher Trostlosigkeit und katalogartig-makelloser Vorführeinrichtung verortete Eindruck einem Anblick, der aus einem Horrorfilm stammen könnte: Wand und Boden sind mit Blut verschmiert. In der Lache liegt ein Mann, Mitte 40, leblos. Eine Tranciergabel ragt aus seinem Bauch heraus. Im Raum nebenan sitzt die Gattin des Toten. Angst? Panik? Wut? Nein: Nahezu regungslos, mit starrem Blick und gewaltigen Augenringen, hockt sie da, wartet seelenruhig auf das Eintreffen der Polizei, gibt ein Teilgeständnis. Ist das Apathie? Resignation? Eiskalte Abgeklärtheit? Sie erklärt, dass sie die tödlich geendete Attacke auf ihren Mann verübt habe. Dass sie das ohne mit der Wimper zu zucken zugibt und obendrein kurz danach sowohl die Polizei als auch den Rettungsdienst verständigt hat, wird ihr von den Beamten zugute gehalten. Doch bald darauf zeigt sich, dass die Frau längst nicht so kooperativ ist, wie gedacht: Sind diese ersten Fragen aus dem Weg geräumt, sagt sie kaum noch ein Wort. Es kommt erschwerend hinzu, dass sie den Tatort verfälschte.

Die junge, unerfahrene Pflichtverteidigerin, die ihr zugeteilt wurde, scheint einen verlorenen Fall auf der Hand zu haben. Aber im Laufe der Gespräche mit ihrer Mandantin erfährt die Anwältin, dass die wortkarge, verschüchterte Frau jahrelang zum Opfer häuslicher Gewalt wurde. Dies könnte der Verhandlung eine bedeutsame Wende geben – also wühlt die Verteidigerin die Vergangenheit der Angeklagten auf, obwohl diese unentwegt das Verhalten ihres Mannes rechtfertigt …

Erfolg oder Misserfolg?


Seine erste Ausstrahlung erlebte das Drama «Die Ungehorsame» am 31. März 2015 zu Beginn der Sat.1-Primetime. Der mit sehr positiven Vorabkritiken ins Fernsehen entlassene Film kam auf 3,53 Millionen Fernsehende, was einer tollen Sehbeteiligung von 11,2 Prozent glich. Mit 1,34 Millionen Umworbenen holte der Privatsender auch in der kommerziell wichtigen Zielgruppe tolle Zahlen – 12,6 Prozent Marktanteil kamen zustande. Beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden 2015 gewann «Die Ungehorsame» zudem den 3sat-Zuschauerpreis, darüber hinaus winkte der Bayerische Fernsehpreis 2015 für die Beste Schauspielerin in der Kategorien Fernsehfilm, Serien oder Reihe und der Fernsehkrimipreis 2016 in der Kategorie "Publikumspreis".

Die 6 glorreichen Momente von «Die Ungehorsame»


Statistisch gesehen hat jede vierte Frau in Deutschland Erfahrungen mit häuslicher Gewalt sammeln müssen. Wie so etwas geschehen kann, wird in unzähligen journalistischen Artikeln und Talkdiskussionen abgehandelt – «Die Ungehorsame» macht die Mechanismen hinter solchen Verbrechen wiederum fühlbar. Das einfühlsame und bedrückende Drehbuch von Michael Helfrich skizziert minutiös, ohne je oberlehrerhaft zu wirken, wie sehr Opfer eines solchen Beziehungsterrors stigmatisiert werden und dass viele derjenigen, die nach der Enthüllung mit der Frage "Aber warum hast du nichts gesagt?" ankommen, oft zugleich die Antwort auf diese Frage darstellen. In behutsam eskalierenden Rückblenden zeigt das Fernsehdrama, wie der Mann seine Frau schrittweise isoliert und ihr so die Möglichkeiten nimmt, auf ihre Lage hinzuweisen – sollte sie dies überhaupt wollen, denn allein schon die Scham davor, das Opfer zu sein, hat einen ungeheuerlichen Effekt auf die Psyche, was Felicitas Woll in ihrer erschütternden, nuancierten Darbietung eindringlich vorführt. Ein weiterer starker Aspekt in der Figurenkonstellation von «Die Ungehorsame»:

Es bleibt unklar, ob Wolls TV-Ehemann plante, solch ein Monster von Ehemann zu werden, oder ob die ihm in die gewalttätigen Karten spielenden frühen Mechanismen in dieser Gewaltspirale Zufälle waren, die er ausnutzen konnte, um von seiner Gattin nicht schneller für sein Handeln abgestraft zu werden. Damit hebelt «Die Ungehorsame» auch einen weiteren, schädlichen Argumentationspunkt aus, mit dem reale Opfer häuslicher Gewalt konfrontiert werden: "Ja, das hätte man sich bei dem Typen doch denken können, dass es so weit kommt .." Dem wirkt auch das Spiel von Marcus Mittermeier entgegen, der es in seiner Rolle unmissverständlich klar macht, dass sein Handeln keinesfalls gerechtfertigt werden kann, gleichwohl durch eine entwaffnende Mimik glaubhaft macht, weshalb eine von ihm manipulierte Frau jahrelang an das Gute in ihm glauben konnte.

Nicht minder lobenswert ist die darstellerische Leistung von Alina Levshin als sich kühl und professionell gebende, aber spürbar emotional investierte Junganwältin – die klaffende Divergenz zwischen dem Innenleben ihrer Rolle und ihrer Fassade bringt sie hervorragend zur Geltung und verleiht somit dem durchaus distanziert erzählenden Film eine wirksame Identifikationsfigur. Diese inszenatorische und erzählerische Distanz ist auch notwendig, um zu vermeiden, dass das Drama manipulativ oder melodramatisch wirkt. Regisseur Holger Haase das Geschehen schonungslos genug, um dem Thema gerecht zu werden, aber visuell so kunstvoll komponiert, dass er und Kameramann Uwe Schäfer ihrer Protagonistin etwas Würde zurückgeben können.

«Die Ungehorsame» ist auf DVD erhältlich.
21.01.2018 10:16 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/98508