Popcorn und Rollenwechsel: Hier lebt Film, hier will ich sein!

Investoren, Kinoketten-Chefetagen und Filmliebhabende, aufgemerkt: Unser Kinokolumnist hat das (für ihn) perfekte Kino erschaffen!

Wenn ich Kinobesitzer wäre, so würde ich ein Kino ganz nach meinen Vorstellungen führen. Und wäre ich Kinobesitzer mit stattlichem Eigenkapital und der perfekten Immobilie, so würde ich in die Vollen gehen und mein absolutes Traumkino errichten. Ein sehr wichtiger Aspekt dieses Kinos wäre: Die Ticketkassen befinden sich in diesem Kino nicht direkt nach dem Eingang. Wie oft bin ich in diversen Kinos schon an die Decke gegangen, weil irgendein Depp die Kassen so platziert hat, dass sich an geschäftigen Tagen (die ersten «Fack Ju Göhte»- oder «Star Wars»-Wochen, Marvel-Starttage, Wochenenden mit mehreren Hits, …) eine gigantische Menschentraube bildet. Eine Traube aus Leuten, die Tickets kaufen wollen, Leuten, die versuchen, sich durchzuschlängeln, weil sie schon Karten gekauft haben und Leuten, die gerade raus wollen. Wenn sich die Ticketschalter tiefer im Kino befinden, verteilt sich die Menschenmenge besser – und es muss wirklich absurd viel los sein, damit es dazu kommt, dass sich die Warteschlange bis nach draußen schlängelt.

Zudem wäre mir die Inneneinrichtung sehr wichtig. Große, mäßig dekorierte Hallen sind ein Ding der Kinovergangenheit aus den vergangenen Boomjahren der Branche. Da Kino immer mehr als ein kleiner Luxus wahrgenommen wird, muss dem Publikum auch Luxus geboten werden – eine Orientierung an die prachtvollen Filmpaläste der Kinopionierzeit bietet sich an, nur adaptiert für die Moderne. Also: Schwarz dominiert, mit roten Akzenten wie Teppichen und Schriftzügen, außerhalb der Säle würden bei mir auch verschnörkelte Lampen für nostalgische Eleganz sorgen, gleichzeitig würde ich aber versuchen, kontemporäre Elemente wie "digitale Poster" (also LED-Aufsteller) und moderne Typografie einzubinden, um dem Kino ja kein "verstaubtes" Image anzuheften. Da werde ich wohl viel Hilfe von talentierten Innenarchitektinnen und Innenarchitekten benötigen.

Je nach Größe des Gebäudes (am liebsten wären mir ja mehrere Etagen, dann könnte ich den Keller uriger gestalten und da die ganzen, weiter unten folgenden Kultprogramme veranstalten) würde ich in einer hinteren Ecke des Kinos eine Bar anbieten. So platziert, dass der Besucherfluss von Ticketschalter zu Snacktheke zu den Kinosälen nicht gestört wird. Und natürlich gibt es in der Bar kleine Monitore, die anzeigen, in welchem Saal gerade Einlass ist – so dass ja niemand zu spät auf die Idee kommt, die Rechnung zu verlangen.

Meine Bar wäre keine dieser typischen Touri- und Wochenende-Party-Säufer-Klitschen, wo ein Mix aus zwei Säften, einem Schuss Vodka und fünf Tropfen Tequila als Cocktail gilt. Es wäre eine echte Mixology-Bar, ein sich ernstnehmendes Angebot für Freunde aufeinander abgestimmter, guter Tropfen. Für jene, die es nicht so heftig mögen, gibt es noch ein paar handverlesene Craft-Bier-Sorten auf der Karte, zum Naschen steht Fingerfood, das keine große Küche verlangt, zur Auswahl bereit. Salami- und Käseplatten, vegane Rohkostselektionen, Brezeln von der Partnerbäckerei, so etwas …

Die Bar wäre natürlich filmthematisiert und lädt die Besucherinnen und Besucher zum Verweilen ein. Wieso nach dem Filmbesuch weggehen, wenn es sich unter meinem Dach bestens über den eben gesehenen Film diskutieren lässt? Liebe Leute, bei mir ist es auch schön, und bei dem Kinopalast, den ich hier errichtet habe, brauche ich jeden Cent von euch, um ihn am Laufen zu halten …

Zumal ich wirklich nicht wirtschaftlich denke, sondern viel zu sehr das Wohl meiner Gäste im Sinn habe. An der Snacktheke würde ich mir absurde Portionsgrößen verbieten. Kennt ihr diese Kinos, in denen selbst ein mittleres Popcorn so groß ist, dass sogar zwei ausgehungerte Männer im Teamwork den Eimer nicht leeren können? Und in denen das kleine Popcorn selbst Grundschulkinder nach dem Abendbrot hungrig wieder nach Hause schickt? Ja? Genau solch ein Kino möchte ich nicht betreiben.

Ich will vernünftige Abstände zwischen den Popcorngrößen, und auch das große Popcorn sollte eine Einzelperson alleine aufessen können, ohne sich zu überfressen. Dann gibt es weniger Müll und Verschwendung, und an der Snacktheke bleiben die ganzen "Hm, ich hätte ja Lust auf Popcorn … Daher … Würde sich wer mit mir einen Eimer teilen? Nein … Was mache ich jetzt nur"-Überlegungen aus, womit es schneller voran geht. Und neben den üblichen Kinosnacks würde ich auch ein paar Alternativen anbieten – Trockenkuchen von der Partnerbäckerei, Kekse, vielleicht kommen meinem Team auch ein paar nicht-geruchsintensive, zuckerfreie Ideen in den Sinn.

Übrigens: Da mir die ewige "Ist Popcorn im Kino störend oder nicht"-Debatte bekannt ist: Popcorn lässt sich geräuscharm verzehren, wenn man sich zu benehmen weiß. Und für viele gehört es einfach dazu. Daher biete ich es an – und weil ich sonst wohl sofort pleite gehen würde. Mir ist bewusst, dass sich leider viele nicht zu benehmen wissen und ausgerechnet in einer stillen Szene das Verlangen vernehmen (und diesen Wunsch dann in die Tat umzusetzen), sich eine ganze Handvoll Popcorn vom unteren Rand ihres halbvollen Eimers zu greifen und die sich mit einem lauten Happs-Geräusch in den Mund zu werfen. Joah, müssen wir zur Not lustige Kinospots zu dem Thema drehen ...

Nachos sind in meinem Kino aus diesem Grund übrigens leider nicht auf der Karte. Die sind geruchs- und geräuschintensiv. Sorry, liebe Nachofans. Ich esse ja auch ab und zu gerne Nachos im Kino, aber ich verdrücke die stets während des Vorprogramms, um bloß nicht beim Film zu stören - und ich kann ja kaum meiner Besucherschaft all meine Essregeln aufzwingen.

Vielleicht gönne ich dem Publikum ja bei speziellen Filmen, lauten Krawallpartylaunenfilmen, seine Nachos. Dann gibt es vor den Filmen etwas weniger Werbung und ein Nachoverkäufer tingelt mit seinem Wägelchen in den Saal. Erhöht so den Eventcharakter ...

In den Sälen setzt sich bei mir das kundenorientierte Denken selbstredend fort. Mir wäre es wichtig, dass auf jedem einzelnen Sitzplatz wenigstens eine gute Sicht auf die Leinwand garantiert ist – eine optimale Sicht kann ich ja schlecht garantieren, weil das eine subjektive Definition ist. Aber Säle, in denen die erste Reihe so nah an der Leinwand ist, dass sich selbst beim allerbesten Willen und mit artistischen Verrenkungen das gesamte Bild erblicken lässt, wird es bei mir nicht geben.

Ebenso sehr sind Sitzreihen tabu, die breiter sind als die Leinwand, so dass bei ausverkauftem Hause arme Seelen links und rechts neben der Leinwand sitzen und sich den Hals ausrenken, um alle Bildinformationen zu verarbeiten. Lieber verkaufe ich acht Eintrittskarten weniger, weil ich weniger Sessel in dem Saal installiert habe als möglich, und garantiere allen, die im Saal sind, dass sie ein gutes Seherlebnis haben. Das erhöht die Zufriedenheit und garantiert auf lange Sicht eine größere Wiederkehrquote.

Sehr wichtig wäre mir auch, mein Publikum nicht mit Produktwerbung vor jedem Film zuzuballern. Ein paar Irre gibt es, die im Kino gerne Werbespots für Restaurants, Autos, Mode und Alkohol sehen, gemeinhin werden diese Spots aber als lästig angesehen – den obligatorischen Eiswerbespot ausgenommen. Daher: Ein Minimum an Produktwerbung, dafür mehr handverlesene, Non-Spoiler-Trailer, die auf den kommenden Film einstimmen. Ja, wäre ich Kinobesitzer, würde ich meinen zahllose, zermürbende Überstunden mit sich bringenden Job gegen einen anderen Job austauschen, bei dem ich nachts aus Übereifer Extrastunden schiebe. "Diese eine Trailerrolle ist noch nicht perfekt, argh …!"

Was uns zum nächsten Punkt führt – dem eigentlichen Programm. Es ist der wichtigste Punkt dieser Fantasterei – und der, wo ich endgültig ins haltlose Träumen abgleite: Ich fände es wichtig, eine Balance aus Mainstream und Arthouse anzustreben - auch mit Hilfe von wöchentlichen Programmschienen, die ausgesuchte Filme in der Matinee präsentieren. Und da mein Traumkino ein stattliches Multiplex ist, gäbe es auch noch einige weitere Programmreihen.

So wäre ich sehr froh, könnte ich eine Retroreihe mit Filmklassikern anbieten. Eine wöchentliche Sneak ist ebenso ein Muss, zudem wäre ich sehr erpicht darauf, regelmäßig Double und Triple Features sowie Marathonvorstellungen abzuhalten. Auch zu Reihen, die nicht mit einer aktuellen Fortsetzung aufwarten. Ein sommerliches Pirates of the Caribbean-Event ist einfach ein Muss! Und nach Mittelerde wird alle eineinhalb Jahre gereist. Und vielleicht kann ich Disney so lange beknien, bis sie es mir erlauben, die Star Wars-Nächte abwechselnd in inhaltlich- und filmhistorisch-chronologischer Reihenfolge abzuhalten. Und da gibt es eine Fanreihenfolge, die ich mal vorführen möchte …

Und dann wäre da noch die Kultschiene. Einmal die Woche zu später Stunde Rocky Horror Picture Show? Klaro. Und weil auch Filmfans ab und zu in Konzertlaune sind, würde ich mal testen, was passiert, wenn jeden Freitag (in Wochen mit Feiertagen alternativ in der Nacht vor eben diesem Feiertag) Hans Zimmer live läuft – zu Ferienzeiten und vor Feiertagen optional im Doppel mit anderen Konzertfilmen. Im Turnus würden auch einige Kultklassiker eine Dauerrotation bestreiten – und zum Beginn der Adventszeit wird Die Feuerzangenbowle rausgekramt.

Wenn ich Kinobesitzer wäre, wäre ich ... wohl pleite. Denn so schön ich meine Ideen finde, Geld lässt sich so wohl leider nicht machen.
28.11.2017 15:13 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/97380