Die Kritiker: «Tatort - Gott ist auch nur ein Mensch»

Eine Leiche im Clownskostüm und lauter durchgeknallte Künstler: Der Münsteraner «Tatort» macht diesmal sehr auf Klamauk. Dabei wäre eine ernsthaftere komödiantische Betrachtung seines Themas diesmal die bessere Wahl gewesen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Axel Prahl als Frank Thiel
Jan Josef Liefers als Prof. Karl-Friedrich Boerne
Friederike Kempter als Nadeshda Krustenstern
Mechthild Großmann als Wilhelmine Klemm
ChrisTine Urspruch als Silke Haller
Claus Dieter Clausnitzer als Herbert Thiel
Aleksandar Jovanovic als Zoltan Rajinovic

Hinter der Kamera:
Produktion: Molina Film GmbH & Co. KG
Drehbuch: Christoph Silber und Thorsten Wettke
Regie: Lars Jessen
Kamera: Rodja Kükenthal
Produzentin: Jutta Müller
In Münster ist Kulturzeit. Bei einer großen, international renommierten Ausstellung werden in wenigen Tagen einige der begabtesten Künstler der ganzen Welt ihre Skulpturen und Plastiken ausstellen. Unter anderem Gott – eine Selbst- und Fremdbezeichnung für den Künstler Zoltan Rajinovic (Aleksandar Jovanovic), dessen Schüler der exzentrische Boerne (Jan Josef Liefers) werden will.

Doch zuerst ruft ihn und Kommissar Thiel (Axel Prahl) die Pflicht. In einem Clownskostüm war eine Leiche versteckt. Die Obduktion ist interessant: Die sterblichen Überreste waren einer Thanatopraxie unterzogen worden, sie wurden also mumifiziert und haltbar gemacht, erklärt Boerne ruhig und herablassend. Der Tote war im Stadtrat von Münster zuständig für Bildung gewesen, dann aber kürzlich zurückgetreten, nachdem Pfadfinder gegen ihn Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs erhoben hatten. Der Prozess scheiterte aus Mangel an Beweisen – die hat der Täter nun in der Leiche deponiert: einen Speicherchip mit kinderpornographischem Material. Wäre das vor seinem Prozess gefunden worden, wäre sicherlich kein Freispruch ergangen.

Es wird nicht bei der einen Leiche bleiben. Und auch die anderen Mordopfer werden in derselben Weise aufgefunden werden: aufwändig mumifiziert und kunstvoll in einer Weise drapiert, die ihr persönliches Leben konterkariert.

Kunstvoll: Da klingelt es bei Thiel. Denn dem durchgeknallten Gott wäre sicherlich zuzutrauen, reihenweise Menschen abzuschlachten, sie dann zu präparieren, und das als Kunstwerk zu sehen, im Geiste all der französischen und lateinischen Phrasen, mit denen dieser Gott vor allem in Boernes Gegenwart um sich wirft.

Die Haltung von Thiel – und damit auch dieses Films – ist klar: Diese Künstler haben alle ein Rad ab. Und so, wie sie hier vorgestellt werden, muss man ihnen zustimmen. Ein Aktionskünstler trägt in bester «Pulp-Fiction»-esker MacGuffin-Tradition ein Köfferchen mit seinem Werk herum, das er bei der Münsteraner Skulpturveranstaltung ausstellen will und über das Thiel, als er es in einem vertrauensvollen Moment zu sehen bekommt, nur lachen kann. Eine andere Künstlerin überträgt live Endoskopaufnahmen aus ihrer Vagina nach Japan (eine Idee, die RTL II vielleicht aufgreifen möchte, für den Fall, dass die Lombardi-Themen einmal ausgehen sollten oder man sich mit arte vergleichen möchte), und den unberechenbaren Gott umgibt mit seinem arroganten, nihilistischen Getue ohnehin die Aura des Wahnsinns.

Man kann dem Münsteraner «Tatort» zugutehalten, dass er weiß, was er ist: dass er sich klar als komödiantisches Format versteht, und dass eine gewisse Lachhaftigkeit der Charaktere Programm ist. Eine ernsthafte Begegnung mit dem Thema Kunst ist also gar nicht gewollt, einen gehaltvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion versucht man anders als in anderen Sonntagabendkrimi-Städten überhaupt nicht. Das ist in sich lobenswert, gemessen daran, wie Sonntagabendkrimis in anderen Städten oft aussehen. Trotzdem ist es schade, dass dieser Film über Kunst nicht selbst Kunst ist – und dass er sich komödiantisch mit billigen Motiven zufrieden gibt: Künstler als verkappte Verrückte, unter ihnen hauptsächlich geltungssüchtige Exzentriker und abstruse Egomanen. Gott ist auch nur ein Mensch. Und der Münster-«Tatort» eben auch nur ein Sonntagabendkrimi.

Das Erste zeigt «Tatort – Gott ist auch nur ein Mensch» am Sonntag, den 19. November um 20.15 Uhr.
17.11.2017 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/97130