Popcorn und Rollenwechsel: Down and Out in Roundtable Hills

Roundtable-Interviews sind für Mitglieder der schreibenden Zunft stets ganz besondere Termine. Bekommt man da doch immer wieder vorgeführt, in welcher Gesellschaft man so tätig ist …

Weitere Kritikerklischees

Roundtable, das: Interviewform, bei der mehrere Angehörige der Journalismuszunft gleichzeitig mit einer zu interviewenden Persönlichkeit an einem Tisch sitzen. Unterscheidet sich vom 1-on-1-Interview (eine interviewende, eine interviewte Person).

Für Journalistinnen und Journalisten gleicht das Roundtable einem Casinobesuch. Alle Vorbereitung ist null und nichtig, wenn das Glück nicht mitspielt. Ja, Interviews sind stets von Außeneinflüssen abhängig - wie ist das Talent drauf, mischt sich das Management ein ..? Beim Roundtable erhöht sich die Anzahl der Außeneinflüsse für jeden einzelnen Vertreter der Presse aber sogleich um ein Vielfaches - mischen doch in diesem Gespräch mehrere Fragestellende mit.

Das kann wundervolle Folgen haben. Wenn eine ambitionierte Gruppe an wissbegierigen und vorbereiteten, aber variierende, sich ergänzende Schwerpunkte setzenden Personen zusammentrifft und so ein spannendes Gruppeninterview entsteht.

Ein Roundtable kann jedoch genauso gut ein reiner Albtraum werden. Insbesondere, wenn einer der folgenden, menschgewordenen Störfaktoren mit am Tisch sitzt - oder gar mehrere davon ...

"Bedingungen? Welche Bedingungen?"
Es gibt Talents, die sich das Recht rausnehmen, bestimmte Themen auf eine Tabuliste zu setzen. Wer sie interviewen möchte, muss vorher eine Klausel unterschreiben, diese Themen auszulassen. Oft heißt es bei Interviews über Medienprojekte, dass Person X nicht über ihr Privatleben sprechen möchte. Darüber kann man herzlich diskutieren - ist es journalistisch integer oder lasch, dieses Spiel mitzuspielen? Aber man sollte so oder so einsehen, dass es nicht sehr kollegial ist, den Tabu-Zettel zu unterschreiben, sich in ein Roundtable zu setzen, und dann gegen die Abmachung zu verstoßen, um so die ausbleibenden 20 Minuten für alle Anwesenden zur Geduldsprobe zu machen.

Das Killerbeispiel, eine Anekdote, die längst zur Legende wurde: Peter Dinklage ließ sich versichern, bei Roundtables zu einem seiner Filme nicht über «Game of Thrones» zu sprechen. Eine Nase dachte sich aber: "Ich bin Investigativjournalist, Regeln kümmern mich nicht!" Kaum saß Dinklage, fiel der Kollege mit der Tür ins Haus: "Überleben Sie die nächste Staffel «Game of Thrones»?" Tja, Dinklage verließ den Raum sofort wieder. Niemand sonst konnte eine Frage stellen. So werden Lieblingskollegen geboren ...

Die Schlafmütze
Jeder liebt sie, die Schlafmütze: Kritzelt die erste Hälfte des Roundtable-Interviews in ihrem Notizbuch herum, dann wird unser Schlafmützlein plötzlich aktiv … und stellt noch einmal eine Frage, die bereits gestellt wurde. Nachdem alle anderen Fragenstellenden ihren Frust durch Grunzgeräusche kundgetan haben, weist das Talent oft freundlich auf diesen Umstand hin – wird dann aber darum gebeten "das doch einfach noch einmal zu sagen", denn "da war ich vorhin noch nicht so weit" …

"Wir sind hier, um mich reden zu hören!"
Die schwierigsten Sekunden bei Roundtables sind jene, wann immer sich das Talent hörbar dem Ende seiner Antwort nähert. Dann entscheidet sich stets aufs Neue: "Bin ich ein Teammensch, beobachte den Raum und kommuniziere mittels Blicken mit den anderen Anwesenden, um eine Reihenfolge abzumachen? Oder bin ich ein einsamer Wolf und kämpfe nach jeder Antwort darum, auch die nächste Frage zu stellen?"

Egal, welchen Weg man wählt: Gemeinhin versuchen Roundtabler, das Talent aussprechen zu lassen - könnte ja noch ein starkes Zitat bei rumkommen. Ausnahme sind kurze Interviews mit Laberbacken. Die müssen zuweilen in ihrem Antwortschwall durch neue Fragen gebremst werden, sonst gibt's einen ellenlangen Monolog zu einer Frage. Aber während das normale Roundtable-Volk sein Reingrätschen in die Antworten der Talents für solch Fälle aufhebt, gibt es ab und zu auch einen in der Runde (und es ist immer ein Mann), der sich nicht weniger für diese Verhaltensregel interessieren könnte.

Wenn ihn die Antwort auf die Frage eines anderen Journalisten oder einer anderer Journalistin nicht interessiert, dann platzt er in die erste Atempause des Interviewten rein und stellt seine Frage. Ihm ist es egal, dass das Talent seinen Gedanken noch nicht fertig formuliert hat. Und wenn das Talent mit reden fertig ist, ist es diesem Kollegen scheißegal, ob eine andere Person am Roundtable gerade ihre Frage angefangen hat. Er fängt zwar eine Sekunde später zu reden an, spricht aber lauter und zügiger, und übertönt so die Person, die nun eigentlich dran ist. Und nicht nur, dass er sich vordrängelt und den Talents ins Wort fällt – er stellt auch ewig lange Fragen, gibt seinem Gegenüber einen Minimonolog über das Projekt, das als Interviewanlass dient. Oder auch mal zwei, drei Minimonologe. Denn, hey, Leute, seid doch stolz, mit einem so tollen Sensationsjournalisten an einem Tisch sitzen zu dürfen. (Übrigens: Geile Sonnenbrille, die du da trägst, Kollege …)

Die Radio-Clique
Ab und zu greifen Vertreter der Print- oder Online-Medien richtig, richtig tief in die Unglückskiste und werden von den Agenturen, die die Roundtable-Gruppen zusammenstellen, in eine Gruppe untereinander befreundeter Radioredakteurinnen oder -redakteure gesteckt. Die kennen sich alle bestens, haben ein eingespieltes Ritual, wie sie ihre Roundtables abhalten. Wer fragt wann und sitzt wo, und wie wechseln sie ihre Standardfragen mit Fragen ab, die auf die zu interviewende Person zugeschnitten sind? Da diese Clique eine perfekt geschmierte Maschine sind, stört dieser aus einem anderen Medium stammende Neuzugang natürlich, und so muss er besonders hart darum kämpfen, auch zu Wort zu kommen, um seine Fragen stellen zu können.

Doch das ist nicht einmal das größte Problem. Das größte Problem ist der eklatant anders liegende Schwerpunkt bei den Fragen: Die Radio-Clique stellt (anders als "normale" Radiojournalismusvertreter) ausschließlich in akustischen Medien funktionierende Fragen – für die einzige am Tisch sitzende Person, die letzten Endes einen Artikel schreiben will, minimiert sich so rapide die potentielle Ausbeute. Rechenbeispiel: Fünf Personen haben 15 Minuten Zeit, von diesen fünf Personen stellen vier solche Fragen wie "Sie haben so eine schöne Singstimme, aber man hört Sie so selten. Können Sie mal ein Liedchen singen?", "Could you please be so kind and say something in german?", "Sie sagen in dem Film so einen coolen Satz – können Sie den bitte wiederholen, Sie wissen, welchen ich meine …" und "Wie klingen Sie eigentlich, wenn Sie sauer/fröhlich/traurig/wasauchimmer sind, man kennt Sie so ja gar nicht?" … Wie viel Material kann dann die- oder derjenige aus dem Roundtable schöpfen, die oder der eine Interviewabschrift veröffentlichen will?

Der Ideendieb
Erneut ein Stereotyp, der ausschließlich männlich ist. Er schlägt immer dann zu, wenn die selbe Gruppe aus Journalistinnen und Journalisten direkt hintereinander mehrere Roundtables mit mehreren Talents zum selben Projekt hat. Er hält sich während des ersten Interviews zurück – und klaut sich dann für die nachfolgenden Gespräche die Spitzenideen seines Kollegiums.

Bastian Pastewka lobt Journalistin X für ihre originelle, komplexe Frage, grübelt etwas länger und gibt dann eine Topantwort über seinen neuen Film? Tja, wenn gleich Songwriter Stefan Raab am runden Tisch sitzt, um über «Kino total – Der teuflisch lustige Streifen» zu sprechen, stellt er Raab als erste Frage die eben noch von Journalistin X an Pastewka gerichtete Frage und fühlt sich dann gebauchpinselt, wenn Raab diese tolle Frage kommentiert. Und diese superwitzige, dennoch smarte Frage, die Journalist Y als Rausschmiss für das Pastewka-Interview hatte? Mit der wird durch den Ideendieb in Interview drei des Tages dann Regisseur Lars von Trier begrüßt.
24.10.2017 13:40 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/96617