Amazon Studios in der Krise: Die Baustellen der Serienschmiede

Mit dem Führungswechsel bei den Amazon Studios muss eine Neuausrichtung einhergehen, will sich der VoD-Dienst des Versandhauses nicht weiter von Netflix überholen lassen.

Vom Versandhaus zum Multi-Media-Giganten – mit lästigem Steinchen im Schuh: Während Amazon wahrlich nicht über wirtschaftlichen Erfolg klagen kann, stehen die exklusiv für seinen Streamingdienst Prime Video produzierten Serien klar im Schatten des VoD-Platzhirsches Netflix. Und zuletzt wurde es noch arger für die Amazon Studios: Im Fahrwasser der Enthüllungen, dass Produzentenmogul Harvey Weinstein seit Jahrzehnten Frauen sexuell belästigt und in mehreren Fällen vergewaltigt hat, kamen auch Vergehen des Amazon-Studios-Oberhauptes Roy Price ans Licht. So habe er die «The Man in the High Castle»-Produzentin Isa Hackett belästigt. Laut den Branchenportalen 'Variety' und 'The Hollywood Reporter' soll sich Price weiteres zu Schulden kommen lassen, das bislang nicht ans Licht der Öffentlichkeit geraten ist.

Im Zusammenspiel damit, dass der Konzern für seine Amazon-Studios-Sparte bereits eine taktische Neuausrichtung plant, wurde Price suspendiert, außerdem wurden geplante Koproduktionen mit der Weinstein Company gecancelt. Dieser Trubel führte dazu, dass die für Mitte Oktober vorgesehene, Londoner Pressepräsentation kommender Amazon-Exklusivproduktionen vorerst verschoben wurde. Ganz gleich, in welche Richtung sich die Amazon Studios entwickeln wollen, und was sie beim Nachholtermin vorstellen werden – Baustellen gibt es für Amazon zur Genüge, will man mit Netflix und dessen Originalprojekten mithalten:

Der Award-Glanz könnte stärker leuchten


Eines hat Amazon seinem Mitbewerber Netflix voraus: 2015 gewann «Transparent» als erste Produktion eines VoD-Anbieters den Golden Globe für die beste Serie – und wenn man über den Serien-Tellerrand hinausblickt, hat Amazon drei Oscars (zwei für «Manchester by the Sea», einen für «The Salesman»), wohingegen Netflix bislang nur einen aufweisen kann (für die Kurz-Doku «The White Helmets»).

Bei den Primetime-Emmys hat aber Netflix die Nase vorn: 2013 erntete der Streamingservice die ersten Nominierungen und Emmy-Trophäen für VoD-Eigenproduktionen. Damals winkten 14 Nominierungen und drei Preise, 2014 ging es mit elf Nominierungen ohne Gewinn weiter, 2015 holte Netflix 13 Nominierungen, während Amazon sein Debüt mit fünf Nennungen hinlegte. 2016 unterlag Amazon erneut (sechs Nominierungen und zwei Siege gegen 17 Nominierungen und drei Gewinne), 2017 wurde Amazon geradezu von Netflix deklassiert: 27 Nominierungen, 4 Preise für Netflix, drei Nominierungen und keine Trophäe für Amazon. Ergo: In den Augen der Kritiker und der TV-Branche trägt Amazon zum "PeakTV"-Phänomen viel weniger bei als sein Mitbewerber.

Die User-Begeisterung fehlt


Die These, dass Amazon mit seinem Konkurrenten Netflix nicht mithalten kann, wird auch dadurch untermauert, dass Amazon beim großen Medien-Userbewertungsportal weitaus weniger Eindruck hinterlässt.

So ist in den IMDb-Top 250 der besten Fernsehserien nur ein einziges Amazon-Original zu finden: «The Grand Tour» steht auf Rang 79, und dies mit einem Notenschnitt von 8,7 Punkten. Netflix hat derweil allein in den Top 80 fünf Eigenproduktionen aufzuweisen: «House of Cards», «Stranger Things», «Narcos», «Mindhunter» und «Making of a Murderer».

Amazon als Abspielstation für fremde Ware


Laut unseren Partnern vom Medienforschungsunternehmen Goldmedia hat Amazon die höhere Kundenreichweite als Netflix – doch das Mehr an Abonnenten resultiert nicht in stärkere Abrufzahlen für die Eigenproduktionen der Amazon Studios. Seit einem Monat veröffentlichen wir hier bei Quotenmeter.de wöchentlich die VoD-Charts der zehn meistgesehenen Serien bei Deutschlands Streamingdiensten – in dieser Zeit platzierten sich Netflix-Serien wie «Fuller House», «Narcos» und die in der Bundesrepublik nur bei Netflix abrufbaren Sci-Fi-Serien «The Expanse» sowie «Star Trek: Discovery» im Ranking, nicht aber Serien, die von Amazon produziert wurden.

Mit «The Grand Tour» und «You Are Wanted» hat Amazon zwar zwei Serien im Portfolio, die das Unternehmen selber als große Klickerfolge beschrieben hat, trotzdem wird sich in Zukunft die Schlagzahl der Hits vergrößern müssen. Durch mehr Qualität und publikumsaffinere Ideen – sowie durch ein verbessertes Marketing, das auch nischige Ideen wie das von Kritikern respektierte Magazin «The New Yorker presents» einem Massenpublikum schmackhaft macht. Denn bislang sind Amazon-Serien in vielen Fällen nur Randnotizen im Seriendschungel. Da kommt auf Prices Nachfolger also einiges zu.
20.10.2017 06:25 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/96554