Die Kritiker: «Tatort - Zurück ins Licht»

Die Stedefreund-Freundin sagt kecke Sprüchlein auf, die erfolgssüchtige Pharmareferentin ist innerlich ein Wrack. Küchenpsychologie mit Inga Lürsen in einer «Tatort»-Katastrophe aus Bremen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Sabine Postel als Hauptkommissarin Inga Lürsen
Oliver Mommsen als Hauptkommissar Stedefreund
Camilla Renschke als Helen Reinders
Matthias Brenner als Dr. Katzmann
Luise Wolfram als Linda Selb
Nadeshda Brennicke als Maria Voss
Victoria Fleer als Judith Bergener

Hinter der Kamera:
Produktion: Bremedia Produktion und Bavaria Fernsehproduktion GmbH
Drehbuch: Christian Jeltsch und Olaf Kraemer
Regie: Florian Baxmeyer
Kamera: Hendrik A. Kley
Produzent: Ronald Mühlfellner
Das Wichtigste zuerst: Linda Selb (Luise Wolfram) hat Stedefreund (Oliver Mommsen) betrogen. Immerhin aber nur mit ihrer alten Partnerin und nicht mit einem anderen Mann. Stedefreund nimmt es erstaunlich gelassen und ist mehr daran interessiert, ihre Beziehung dahingehend weiterzuentwickeln, dass er mit Linda zusammenwohnen möchte.

Man bemüht sich immer noch redlich, die Stedefreund-Freundin möglichst keck, schlagfertig und sozial-nonkonformistisch zu zeichnen. Doch dass dafür einiges an Mühe notwendig war, ist leider sehr offensichtlich. Gleiches gilt für ihre depressiv-nihilistische Seite: „Hat dich nie interessiert, wie es ist, zu sterben“, fragt sie Stedefreund eines Morgens im Bett, und erzählt freimütig, wie sie sich früher Plastiktüten über den Kopf gezogen hat, um das genauer zu erforschen. Doch Stedefreund geht zügig zur Tagesordnung über und Linda Selbs psychologische Aberrationen bleiben eine Randnotiz.

Psychologisch dichter wird es leider auch bei den Episodenrollen nicht: Nachdem die Bremer Polizei den seit acht Monaten verschwundenen Ex-Chef eines Pharmaunternehmens tot aufgefunden hat, rückt für Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Team rasch Maria Voss (Nadeshda Brennicke) ins Blickfeld: Die arbeitssüchtige Pharmareferentin hatte das Unternehmen des Toten kurz vor seinem Bankrott verlassen. Äußerlich ist sie eine hochkompetente Frau mit breiter Expertise und brummendem Instagram-Kanal, nicht nur äußerst erfolgreich, sondern erfolgssüchtig. Beruflich sowieso, aber auch in ihrem höchstpersönlichen Leben hat sie schier unglaubliche Widerstände überwunden: Nach einem schrecklichen Verkehrsunfall hatten ihr die Ärzte einmütig prognostiziert, dass sie nie wieder laufen können würde. Doch wie niemand vor ihr hat sie sich zu einem völlig normalen Gangbild zurückgekämpft.

Freilich ist das Allermeiste davon Fassade. Doch anstatt sich in den vielseitigen Fassetten einer auf den ersten Blick so komplexen Persönlichkeit zu versenken, geht die Dramaturgie dieses «Tatorts» den einfachsten Weg: Ihr eiserner, unzerstörbarer Wille ist in „Zurück ins Licht“ unweigerlich verbunden mit einer unbändigen Egomanie und einer emotionalen Eiseskälte, die sie trotz entsprechender Versuche nicht einmal oberflächlich kaschieren kann. Diese Triebfedern sind auch ursächlich für die komplexen Familienmotive, an denen sich dieser Film abarbeitet. Von ihrer Tochter im höheren Teenager-Alter ist sie völlig entfremdet, von ihrem Ehemann lebt sie getrennt. Der wiederum hat ein Verhältnis mit der Witwe des ermordeten Pharmachefs.

Ein psychologisches Interesse besteht an diesen Figuren nur soweit, wie sich daraus effekthascherische Szenen stricken lassen: Maria Voss sitzt vor einem Spiegel und übt wie eine Besessene Bewerbungsgespräche, an denen sie zunehmend verzweifelt. Linda Selb sagt kecke Sprüchlein auf, gibt sich in emotionalen Momenten unwirklich distanziert und fast kränkend rational. Und Stedefreund entwickelt an der ominösen Maria Voss freilich auch ein sexuelles Interesse – irgendwie muss nach Lindas Seitensprung mit ihrer Ex ja wieder Pari herrschen.

Zielsetzung der Narrative ist es bestimmt gewesen, die von der Norm divergierenden Figuren – besonders Linda Selb und Maria Voss – als entrückte Charaktere zu führen, um so dem Film auch eine entrückte Wirkung zu verleihen, durch die wir die angerissenen Themen reflektieren sollen. Doch weder der Film noch die Figuren wirken entrückt, sondern banalerweise: seltsam. Denn die vielen sich widersprechenden Fassetten der Maria Voss sind eben nicht schlüssig widersprüchlich, sondern widersinnig – mit der Folge, dass es an deren innerer Logik so massiv hapert, dass selbst das Schlagwort Küchenpsychologie noch ein Euphemismus sein könnte.

Das Erste zeigt «Tatort – Zurück ins Licht» am Sonntag, den 22. Oktober um 20.15 Uhr.
20.10.2017 06:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/96498