«The Brave»: NBC macht Jagd auf ISIS

Am Montagabend startete bei NBC die erste von zahlreichen neuen Militärserien, mit denen die amerikanischen Networks diese Saison aufwarten. Ein erster Eindruck.

Cast & Crew

Produktion: Keshet Studios und Universal Television
Schöpfer: Dean Georgaris, Daniel Cohn und Jeremy Miller
Darsteller: Mike Vogel, Anne Heche, Demetrius Grosse, Noah Mills, Sofia Pernas, Tate Ellington, Natacha Karam u.v.m.
Executive Producer: Dean Georgaris, Avi Nir, Peter Traugott, Rachel Kaplan und Alon Shtruzman
Die Network-Neustarts der kürzlich angebrochenen amerikanischen Fernsehsaison lassen einen Trend erkennen: Agenten- und Militärserien. CBS zog mit seinem «Seal Team» gestern Abend in die Schlacht; das jugendlich-soapige TheCW wird Anfang Oktober mit «Valor» nachziehen. Den Auftakt machte jedoch NBCs aufwendig produziertes «The Brave» am Montagabend zur besten Sendezeit.

Als eine junge amerikanische Ophthalmologin, die als Ärztin ohne Grenzen armen Syrern das Augenlicht zurückoperiert, gekidnappt wird, ruft das die Defense Intelligence Agency, kurz: DIA, in Washington auf den Plan. Deren Belegschaft besteht aus zwei Gruppen: Analysts, die in der amerikanischen Zentrale Informationen analysieren, Pläne koordinieren und Hintergründe recherchieren, und dem Team aus dem Field, die vor Ort im Kampfgebiet Informationen beschaffen, Feinde liquidieren und Geiseln befreien. Als operative Leiterin tritt die augenscheinlich kühle Patricia Campbell (Anne Heche) mit dem imposanten Titel Deputy Director of Intelligence auf, deren Sohn vor zehn Tagen im Krieg gefallen ist und die trotz dieser emotionalen Ausnahmesituation ihren Dienst bis zur Erschöpfung durchzieht. Ihr zur Seite steht ein breites Team an Spezialisten, sowohl vor Ort als auch im Nahen Osten; die Meisten von ihnen sprechen perfektes Arabisch.

Die Figuren haben freilich beeindruckende Lebensläufe: Der Eine war drei Jahre undercover beim Islamischen Staat, der Andere hat ein tiefes kulturell-soziologisches Wissen über die Gesellschaften des Nahen Ostens. Insgesamt jedoch ist die Figurengestaltung zumindest im Piloten viel zu generisch geraten. Nur mithilfe von Oberflächlichkeiten wurde hier ein gewisses Maß an Ausdifferenzierung erreicht: Der Kulturhistoriker trägt Brille und stellt seine Kleidungswahl mit größerer Unachtsamkeit zusammen als die übrigen Analysten, während seine für Strategie zuständige Kollegin nicht nur einen messerschaften Verstand hat, sondern auch umwerfend attraktiv ist. Das Vor-Ort-Team ist ohnehin etwas muskulöser und durchtrainierter als die Kollegen in Washington, die in den für amerikanische Agenten- und Terrorismus-Serien bekannten düsteren, mit Monitoren vollgestopften Räumen vor sich hin analysieren und koordinieren: Die Special Operations Group auf dem (auch aus der deutschen Presse bekannten) Militärstützpunkt Incirlik in der Türkei muss über einen ebenso wachen Verstand wie eine ruhige Hand am Abzug des Scharfschützengewehrs und exzellente Nahkampfkünste verfügen. Gelungen ist die Bemühung, diesen Figuren den Rambo-Faktor zu nehmen und sie stattdessen als ruhige, unaufgeregte, besonnene Diener der öffentlichen Sicherheit Amerikas (und der westlichen Welt) zu zeichnen, die Außergewöhnliches leisten müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Sie lassen Ansätze interessanter (innerer) Konflikte erkennen – bleiben aber wie ihre Kollegen an den Schreibtischen in der CTU-ähnlich ausgestatten Washingtoner DIA generischer als sie hätten sein müssen.

Der Plot des Piloten scheint dagegen wie aus den Schlagzeilen gerissen und erzählt nah an realen Begebenheiten: Als die amerikanische Augenärztin entführt wird, ist als Täter schnell die Al-Nusra-Front identifiziert: Deren oberster Anführer al-Baghdadi (ein Name, der sich mit dem des realen ISIS-Führers Abu Bakr al-Baghdadi deckt) ist in der fiktiven Welt von «The Brave» kürzlich von amerikanischen Einsatzkräften liquidiert worden. Ein hochstehendes Führungsmitglied der Terrororganisation hat die Amerikanerin nun irgendwo in Damaskus festgesetzt und es liegt am Team der DIA, sie zu befreien. Dazu bedienen sie sich Möglichkeiten, die nach allem, was über die Arbeit amerikanischer Geheim- und Sicherheitsdienste öffentlich bekannt oder seriös spekuliert wird, realistisch sein können, kurz: Drohnen, Abhörung, Explosionen.

Auch wenn «The Brave» durch seinen nah am Tatsächlichen gehaltenen Plot ein hohes Maß an Aktualität zeigt, lässt sich diese Aktualität doch nicht so recht in Relevanz ummünzen. Dazu bleibt vor allem das üppige Figurenpersonal noch zu undifferenziert und generisch, und es fehlt an intellektueller Schärfe sowie erzählerischer Raffinesse. «Homeland», ein im selben Milieu angelegter Stoff, erreichte gerade durch sein großes psychologisches Interesse an den Charakteren seine narrative Stärke, die in Verbindung mit den brandaktuellen Themen die Serie zu einer der relevantesten des zeitgenössischen amerikanischen Fernsehens machten. «The Brave» begnügt sich dafür viel zu sehr mit einem überdramatisierenden Network-Duktus, der zu sehr auf kurze, markige Charakterisierungen denn auf eine tiefergehende Betrachtung seiner Figuren aus ist. Wenn es der Serie mit horizontalen Ansätzen gelänge, die Figuren noch wesentlich klarer auszudifferenzieren und ihnen jenseits prägnanter Backstories intellektuell wie narrativ sinnige Haltungen zu verleihen, ließe sich jedoch viel retten – und dem Stoff die Relevanz verleihen, die er verdient.
28.09.2017 04:27 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/96108