Böse Satire auf die Sensationsgeilheit der Medien: «Die Migrantigen»

In der Satire «Die Migrantigen» machen zwei bestens integrierte Migranten einen auf Vorzeige-Ausländer, nur um Teil einer nicht minder vorurteilsbelasteten Dokumentation zu sein.

Filmfacts: «Die Migrantigen»

  • Kinostart: 7. September 2017
  • Genre: Komödie/Satire
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 98 Min.
  • Kamera: Mario Minichmayr
  • Musik: Karwan Marouf
  • Buch: Aleksandar Petrovic, Faris Rahoma, Arman T. Riahi
  • Regie: Arman T. Riahi
  • Darsteller: Aleksandar Petrovic, Daniela Zacherl, Doris Schretzmayer, Faris Rahoma, Josef Hader, Zijah Sokolovic
  • OT: Die Migrantigen (AT 2017)
Es ist eine deutliche Aussage, die einem entgegen springt, wenn man das Presseheft zur österreichischen Ausländer-Satire «Die Migrantigen» aufschlägt. Darin steht: „Der Türke wird manchmal aggressiv, der Jugoslawe liebt seine Jogginghose und der Österreicher meckert gern!“ – und sie stammt von Regisseur Arman T. Riahi («Everyday Rebellion») höchstpersönlich, der sich in seinem neuesten Film eines Themas annimmt, das in den vergangenen Monaten dauerpräsent in den deutschen Kinos war: Die Rede ist von Flüchtlingen, von Ausländern und Klischees – und natürlich von dem Versuch, letztere aufzubrechen. Riahi, der Anfang der Achtzigerjahre selbst aus dem Iran nach Österreich flüchtete, möchte mit seinem Film dazu beitragen, dem Zuschauer die Angst davor zu nehmen, in Klischees zu denken und Menschen in Schubladen zu stecken – also Vorurteile zu haben, denn das ist nun einmal völlig normal. Und so setzt Riahi hinter die Aussage vom Anfang dieses Texts immer noch das Wörtchen „Manchmal“ – der Filmemacher weiß: Beleuchtet man stets nur jene Menschen, die dazu beitragen, dass Klischees überhaupt erst entstehen können, werden sie irgendwann zur ganzen Wahrheit.

Die Ausgangslage für «Die Migrantigen» bilden daher zwei Ausländer, die selbst nicht wissen, wie sich ihre Landsleute in den Augen Außenstehender verhalten. Sie lernen das Klischee kennen, versuchen es zu verinnerlichen und bringen ausgerechnet mit diesem vermeintlich normalen Verhalten all ihre um ihren Ruf besorgten „Kollegen“ gegen sich auf. Abgerundet wird diese amüsante Idee mit einem Subplot über die Sensationsgeilheit der Medien, die mit noch so klischeebehafteten Figuren viel mehr anfangen können, als mit solchen, die all diese Vorurteile eben nicht bestätigen. Damit wird „Die Migrantigen“ zu einem spannenden, amüsanten, erzählerisch jedoch nicht immer ganz ausgewogenen Filmprojekt.

Zwei Vorzeige-Ausländer in einer Doku


Marko (Aleksandar Petrovic) und Benny (Faris Rahoma), zwei Wiener mit sogenanntem „Migrationshintergrund“, sind vollständig integriert. So sehr, dass sie kaum noch als fremd wahrgenommen werden – wären da nicht Bennys schwarze Haare. Als die beiden aufgrund ihres Aussehens am Rudolfsgrund, einem ethnisch durchmischten Vorstadtviertel, von der ambitionierten TV-Redakteurin Marlene Weizenhuber (Doris Schretzmayer), die nach Protagonisten für ihre TV-Dokuserie sucht, angesprochen werden, geben sie sich als kleinkriminelle und abgebrühte Migranten aus, die es faustdick hinter den Ohren haben. Damit ihre Lüge nicht auffliegt, bauen sie sich eine zweite Identität, die aus Klischees und Vorurteilen besteht. Und während die beiden durch die Erfüllung dieser Erwartungen und Vorurteile die Serie zum Erfolg machen, setzen sie sich gleichzeitig zum ersten Mal mit den echten Integrationsschicksalen auseinander – auch mit ihren eigenen.

«Die Migrantigen» entbehrt thematisch einer gewissen Absurdität: Zwei integrierte So-gut-wie-Österreicher, die für eine Fernsehsendung so tun, als seien sie das Abziehbild jener Menschen, mit denen die AfD ihre merkwürdigen Ansichten rechtfertigt – das ist per se ziemlich konstruiert. Trotzdem hält das Skript von Arman T. Riahi sowie seinen beiden Hauptdarstellern Aleksandar Petrovic und Faris Rahoma (spielten beide schon in «Auf bösem Grund» zusammen) das Szenario derart bodenständig, dass es einen nicht wundern würde, hätten die Macher vor oder nach dem Film via Texteinblende behauptet, «Die Migrantigen» würde auf wahren Begebenheiten beruhen (und zwar nicht bloß deshalb, weil kurz vor dem Abspann eine fiktive Romy-Verleihung darauf hinweist, dass Marlene Weizenhuber einen Preis für die beste Reportage gewonnen hat).

Natürlich treiben die Macher die Idee von der lediglich über Oberflächenreize und Populismus funktionierenden Gesellschaft mit ihrer Doku-Dreh-Idee auf die Spitze, doch anders als ähnlich gelagerte Filme wie etwa der Kassenschlager «Willkommen bei den Hartmanns» bleibt dieser hier tonal glaubwürdig. Selbst so hanebüchene Erzählschlenker wie etwa ein Einbruchversuch in die Senderzentrale sind nicht vom Anschein der Authentizität loszureißen und so bleibt «Die Migrantigen» schon allein deshalb über seine volle Laufzeit interessant, weil es unter diesen realistischen Bedingungen noch viel spannender ist, zu beobachten, ob und wie das Lügenkartenhaus der beiden Protagonisten irgendwann zusammenbrechen wird.

Trotz konstruierter Geschichte überraschend authentisch


Zum Anschein von Authentizität der in diesem Jahr mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichneten (Medien-)Satire tragen vor allem die beiden Hauptdarsteller bei. Faris Rahoma und Aleksandar Petrović ist es zu verdanken, dass ihre ungezwungene, natürliche Interaktion «Die Migrantigen» durchgehend positiv prägt. Das ist im Falle dieses Films sogar richtig komplex, denn während sie auf der einen Seite leidenschaftlich und herzensgut ihre Filmfiguren verkörpern, müssen sie sich auf der anderen Seite darin abmühen, ihre Fake-Charaktere Omar Sharif («Wie der Schauspieler!») und Tito authentisch zum Leben zu erwecken. Dabei wirken sie so „glaubhaft“ unbeholfen, wie es ungeübte Laiendarsteller in Dokus nun mal sind, gleichzeitig erkennt der in den Schwindel eingeweihte Zuschauer sehr wohl, wie aufgesetzt die Kleinkriminellen-Masche von Benny und Marko eigentlich ist. Dass die mit der Zeit Lunte riechende Marlene lange auf den Fake hereinfällt, lässt sich ihr im Kontext also kaum verübeln, zumal Doris Schretzmayer («Die dunkle Seite des Mondes») stark aufspielt und glaubhaft an den Zuschauer heran trägt, dass sie zwar weiß, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht, sie aber noch nicht ganz dahinter gestiegen ist, was das sein könnte. Und dann ist da natürlich auch noch die knallharte Geschäftsfrau, die ihr Projekt einfach nur fertigstellen möchte.

Bei all dem Lob hat «Die Migrantigen» trotzdem Schwächen, die aufgrund der so überzeugenden Grundlage umso stärker ins Gewicht fallen. Anders als der zentrale Handlungsstrang rund um die nach und nach aus dem Ruder laufenden Dreharbeiten, sind dagegen die Hintergrundgeschichten um die beiden Protagonisten weitaus weniger überzeugend: Markos schwangere Freundin Sophie (Daniela Zacherl) und sein pflegebedürftiger Vater (Zijah Sokolovic), um den sich Benny öfter kümmert, als Marko selbst, bilden lediglich ein rudimentäres, privates Grundgerüst für die beiden Freunde, sodass sich aus den Backgrounds der Figuren kaum Rückschlüsse darauf ziehen lassen, was die beiden Typen nun eigentlich dazu bewegt, diesen Schwindel aufrecht zu erhalten. In einer dafür symptomatischen Szene fragt Marko Benny, was denn der ausschlaggebende Grund für dieses Theater war, wo doch von vornherein klar war, dass es für das Mitwirken der beiden keinerlei Geld gab – dass Benny diese Frage nicht beantworten kann, spricht für sich.

So bleiben die privaten Belange trotz versuchter dramatischer Unterfütterung oberflächlich – hätte man sie gestrichen, hätte das dem Geschehen vermutlich nur zu noch mehr Drive und Dynamik verhelfen können. Doch eines muss man Arman T. Riahi zugute halten: Selbst eine solche dramaturgische Wankelmut bringt das Gesamtkonzept von «Die Migrantigen» noch lange nicht zum Einsturz – dafür ist der Kern des Films einfach viel zu überzeugend.

Fazit


Trotz hanebüchener Prämisse überzeugt die Ausländersatire «Die Migrantigen» in erster Linie durch ihr hohes Maß an Realismus und Authentizität. Das ist nicht bloß den beiden starken Hauptdarstellern zu verdanken, sondern vor allem Arman T. Riahis Auge für gesellschaftliche Entwicklungen und Details. Schade, dass sich das Skript hier und da zu lange an Banalitäten aufhält und die minimalen Backgrounds den interessanten Figuren nicht gerecht werden.

«Die Migrantigen» ist ab dem 7. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
06.09.2017 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/95594