Merkel gegen Schulz: Wo bleibt der TV-Wahlkampf?

Auch vor dem Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz bleibt die Wahlkampfstimmung aus. Sind daran auch die TV-Sender und ihre Talker schuld?

Die falsche Krankenschwester

Krankenschwester Dana, die sich als Bürgerin ausgab, die ihre Stimme in der Sendung der Linken gab, entpuppte sich schnell selbst als Mitglied der Linken. Claus Strunz bedauerte den Faux-pas am Nachmittag auf Facebook: "Die Krankenschwester Dana Lützkendorf, die als Talkgast über die Probleme in ihrem Berufsalltag berichtet hat, ist Mitglied der Partei „Die Linke“. Das konnten wir nicht kenntlich machen, weil uns die Information aufgrund einer lückenhaften Recherche nicht bekannt war. Oft genug habe ich von Politikern und Konzernchefs in meinen Kommentaren verlangt, für Fehler geradezustehen, die in ihrem Bereich passiert sind. Das gilt selbstverständlich auch für mich. Deshalb entschuldige ich mich bei unseren Zuschauern und meinen Gästen Christian Lindner, Katrin Göring-Eckardt und Alice Weidel für die bedauerliche Recherche-Panne. Diese drei Minuten in unserer zweistündigen Sendung zeigen mir erneut, dass selbst ein erfahrenes Team in eine solche Situation kommen kann. Dennoch: So etwas darf nicht passieren."
Dabei wollten sie doch nur Gutes tun: Als Sat.1 am Mittwochabend zum großen Polit-Talk der kleinen Parteien rief, hoffte man auf gute Kritiken und ein wenig Lob. Schließlich haben sich die Privatsender größtenteils aus dem Polit-Talkgeschäft zurückgezogen. Selbst RTL probierte sich nicht mehr an weiteren Ausgaben von «Der heiße Stuhl», dem Experiment aus dem Frühjahr. Zur anstehenden Bundestagswahl hätte es die beste Gelegenheit dazu gegeben. Man sendete stattdessen zwei sogenannte „Townhall-Formate“. Und Sat.1 hatte 2013 immerhin noch einen regelmäßigen Gesellschafts-Talk im Programm – mit «Eins gegen Eins». Der damalige Moderator Claus Strunz präsentierte auch den Wahltalk an diesem Mittwoch, ging auf Tuchfühlung mit den Politikern. Und musste sich einen Tag später für eine Recherchepanne entschuldigen, die der Redaktion unterlaufen war. Eine befragte Zuschauerin ist Mitglied der Linken, wurde aber als solche nicht dargestellt (siehe Infobox rechts).

Die Panne steht symbolisch für das Problem der Polit-Talks mit diesem Wahlkampf 2017. Lässt sich mit ihm keine Quote machen? Anne Will hat mit dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ am Sonntagabend immerhin 15,1 Prozent Marktanteil eingefahren – die höchste Quote seit Mai, im Frühjahr lief es im Zuge des Schulz-Hypes aber auch schon einmal deutlich besser. Andere Talker reden in dieser Woche lieber über Erdogan und Trump («hart aber fair») oder wahlweise Kim und Trump («maybrit illner»). Alles Sendungen, in denen natürlich auch ein bisschen Wahlkampf gemacht wird, irgendwie. Aber die Themensetzung zeigt, was derzeit wirklich interessiert: Nicht Bundes- und Innenpolitik, sondern das Chaos um uns herum. Und dieses können wir mit unserem Kreuz bei der Bundestagswahl kaum beeinflussen. Umgekehrt fördert diese internationale Lage den Wunsch nach Stabilität und die Einsicht, dass es Deutschland doch gut gehe. Damit macht Merkel eine Art Anti-Wahlkampf, also einen möglichst leisen und unaufgeregten. Pech für Martin Schulz.

Nationale Reibungspunkte sind offenbar für den Großteil der Bevölkerung nicht relevant genug, um die nächsten Wochen spannend zu gestalten. Ob daran das «TV-Duell» am Sonntag noch etwas ändern kann? Es ist für viele Bürger wahrscheinlich die einzige Politsendung, die sie in diesem Wahlkampf verfolgen werden. Und es ist wahrscheinlich Martin Schulz‘ letzte Chance, um eine Art Wechselstimmung anzufachen. Dies hat allerdings bisher keiner seiner Vorgänger mit dem «TV-Duell» geschafft – der Stellenwert des Formats wird dahingehend gemeinhin überschätzt. Eher dient das Duell dazu, politische Meinungen zu bestätigen und relativ sichere Stimmen zu festigen. Möglicherweise kommt aber in diesem Jahr dem «TV-Duell» ein anderer Stellenwert zu als sonst – gerade weil das politische Desinteresse größer ist und die Bürger sich weniger mit der Wahl auseinandersetzen, also nur wenige Medien dazu konsumieren. Das Duell dürfte dabei an erster und wichtigster Stelle stehen. Das bestätigt auch eine Umfrage des „Stern“, der ein „riesiges Interesse“ am verbalen Schlagabtausch zwischen Merkel und Schulz ausgemacht haben will.

Wen erreicht das Fernsehen noch?


In den Wochen danach probieren sich die Sender standesgemäß stärker am Wahlkampf: Maybrit Illner talkt in «illner intensiv» vom 5. bis 8. September täglich zu Wahlkampfthemen im ZDF, am 6. September kehrt auch Sandra Maischberger aus der Sommerpause zurück. RTL II zeigt mit «Endlich Klartext» ein vielgelobtes Format für junge Wähler. Generell aber ist es ohnehin schwerer geworden, Menschen für Politik zu interessieren. Nicht nur in diesem Jahr 2017, nicht nur, weil eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber genau diesem Wahlkampf herrscht. Es ist auch aufgrund der medialen Veränderungen schwerer geworden. Zur letzten Bundestagswahl – 2013 – hatte das Internet als Informations-Leitmedium noch nicht den Stellenwert wie heute. Politik wurde im Fernsehen gemacht, vorrangig. Heute ist es keine Frage mehr, dass die klassischen Wege übers Fernsehen nicht mehr alle Bürger erreichen, vor allem die Jüngeren und Jüngsten – also die Erstwähler – nicht mehr.

Dies ist auch daran zu erkennen, dass medialpolitische Fragen zunehmend diskutiert werden: in den USA zum Beispiel Trumps Onlinewahlkampf mittels Big Data, hierzulande auch die Verbreitung von Fake News über soziale Netzwerke – oder auch die Auswertung der Popularität von Politikern und ihren Statements im Netz, an denen sich Trends ablesen lassen. Keine der Parteien, keiner der großen Politiker hat es bis jetzt in Deutschland geschafft, einen guten und einflussreichen Netz-Wahlkampf zu machen. Ganz anders als Trump, als Macron, als Jeremy Corbyn. Ihre Stimmerfolge sind auch darauf zurückzuführen, dass sie Internet und Politik erfolgreich zusammengebracht haben.

Selbst wenn sich die Fernsehsender und die Polit-Talker also mehr anstrengen würden, um dem politischen Desinteresse entgegenzuwirken: Eine solch einflussreiche Stellung wie vor vier Jahren oder gar früher haben sie ohnehin nicht mehr.
01.09.2017 18:09 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/95529