One Last Time: I Can't Get No Satisfaction

Aufhören, wenn es am schönsten ist, oder lieber dirigierend vom Podium fallen? In der letzten Ausgabe von 360 Grad bewundert unser Kolumnist die Rolling Stones – und macht es doch wie Salinger.

Aufhören ist eine Kunst. Viele der kreativsten, innovativsten, begabtesten und intelligentesten Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie es nicht können. Das beste Beispiel sind vielleicht die Rolling Stones. Schon vor zwanzig Jahren haben nicht nur die «Simpsons» in einer ihrer erstaunlich prophetischen Zukunftsfolgen gewitzelt, Mick Jagger und Keith Richards würden in den ersten Jahrzehnten des einundzwanzigsten Jahrhunderts noch mit Rollstühlen auf die Bühnen geschoben. So weit ist es noch nicht. Aber ein konzertfreier Ruhestand für diese Band? Eine solche Welt wäre weit unvorstellbarer als die, in der Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist.

Auch Harald Schmidt kann es nicht lassen. Selbst nachdem er in einer mehr als ein Jahrzehnt dauernden Farewell-Tour von Sat.1 zur ARD zu Sat.1 zu Sky getingelt ist und nach der ein oder anderen Absetzung verlauten ließ, mit dem Konzept einer täglichen Late-Night fertig zu sein, war der damals für final verachtete Ruhestand nach dem Ende bei Sky wohl nur eine längere Kreativpause: Bei „Spiegel Daily“ hat der Alleskommentierer kürzlich ein neues, wie für ihn gemachtes Outlet gefunden, für das, was er mitunter am besten kann: intelligentes humoristisches Tagesgeschäft.

Nicht zu vergessen: der Raabschied, der vor zwei Jahren riesige Löcher die Programmtabellen von ProSieben riss. Zwar hat Raab nach wie vor wohl kein Interesse, in größerem Umfang in der Öffentlichkeit aufzutreten, geschweige denn wieder eine Sendung zu moderieren, doch seine von kurzem getroffene Ankündigung, für eine neue ProSieben-Show als Produzent zu fungieren, versieht seinen Abschied vom Fernsehgeschäft doch mit einer wichtigen Fußnote.

Wie Gotthilf Fischer abtreten will: “Dirigierend vom Podium fallen.“ Was J.D. Salinger zwischen der Veröffentlichung seines letzten Buches 1963 und seinem Tod 2010 gemacht hat? Romane geschrieben – nur eben nicht veröffentlicht. Den Finger vom Taktstock, vom Stift oder vom Aufnahmebutton auf dem Smartphoneschirm zu lassen? Für die meisten Kreativen: unmöglich. Irgendwas muss raus – und um noch ein Klischee zu bedienen: Niemals geht man so ganz.

Doch diese Kolumne reitet heute ein letztes Mal dem Sonnenuntergang entgegen: Dem Verfasser fehlt die unbändige Ausdauer von Mick Jagger und Keith Richards.

Und damit schließt sich der Kreis.
04.08.2017 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/94888