«Ozark» bei Netflix: Nur noch Walter White fehlt

Mit «Ozark» legt uns Netflix einen legitimen Nachfolger für alle Fans von «Breaking Bad» und «Bloodline» vor. Das kriminelle Grauen spielt sich diesmal in den tiefen Wäldern der USA ab - und im Kopf eines idealen Familienvaters.

Cast & Crew «Ozark»

  • Idee und Drehbuch: Bill Dubuque
  • Darsteller: Jason Bateman, Laura Linney, Julia Garner, Sofia Hublitz, Skylar Gaertner u.a.
  • Regie: Jason Bateman
  • Ausf. Produzenten: Jason Bateman, Bill Dubuque, Mark Williams
  • Produktion: Aggerate Films, Zero Gravity Management u.a. für Netflix
  • Folgen: 10 in S1 (je ca. 55 Min.)
Diese Serie fühlt sich an wie eine kleine Reise in eine andere Zeit. In die Zeit vor fünf bis zehn Jahren, als man noch nicht überschwemmt wurde mit dutzenden neuen Qualitätsserien, die man langsam auf seiner Wunschliste anhäuft. Und dann doch nie ansehen wird. Es war die Zeit, als nur wenige Sender die narrative Kraft eines Mediums entdeckten und wortwörtlich Geschichte schrieben. Es war die Zeit solcher Meisterwerke wie «Breaking Bad», «Mad Men», «The Sopranos» oder auch «The Wire», die Zeit der kreativen Serienrevolution, die Zeit des Pioniergeistes.

Dass diese Jahre vorbei sind und dass man vor lauter Optionen kaum mehr weiß, welches Format man als nächstes schauen soll – daran ist auch Netflix schuld. Der gigantische Output des Streamers allein kann unzählige Wochenenden mit guter Serienware füllen. Dass nun also ausgerechnet dieses Netflix eine Serie veröffentlicht, die das alte Gefühl des Pioniergeistes zurückholt, ist eine Ironie des Schicksals.

Was also macht dieses Gefühl aus, woher kommt es? Zum einen von der Art des Erzählens: langsam, dialoglastig, fokussiert auf ausdrucksstarke ambivalente Charaktere und ihre Geheimnisse, und mit einer Exposition, die eine epische Story voller Intrigen und Gefahren verspricht. Zum anderen steckt das Gefühl in der Art der Darstellung: viele ruhige Kameraeinstellungen, extrem authentisch, oft kalt und steril, mit entsprechend reduziertem Soundtrack, der sich langsam in die Gehirne der Zuschauer einbrennt.

«Ozark» vereint all diese Eigenschaften in sich. Die neue Netflix-Serie ist am ehesten mit «Breaking Bad» zu vergleichen: Wieder geht es um einen Ehemann, der neben seinem normalen Job als Inhaber einer Finanzberatung ein dunkles Doppelleben führt. Er ist Geldwäscher für eines der größten Drogenkartelle der USA. Anders als bei «Breaking Bad» führt die Familie Byrd aber eigentlich ein sorgenfreies Leben und muss sich keine Geldsorgen machen – die Motive hinter Martys Geldwäsche-Job bleiben also zunächst unklar. Seine Ehefrau Wendy kennt das Geheimnis, hat aber ein eigenes: Sie schläft mit einem anderen Mann.

Martys größtes Problem ist allerdings sein Geldwäsche-Geschäftspartner Bruce: Dieser schmuggelt seit Jahren Millionen am Kartellboss vorbei, was irgendwann dazu führt, dass Marty und Bruce sich gefesselt in einer Garage wiederfinden und die Pistole an ihrer Schläfe spüren. Bruce – und einige andere Charaktere – gehen drauf, nur Marty entkommt der Situation lebend, dank eines unmoralischen Angebots: Er verspricht dem Kartellboss, viel mehr Geld als bisher in einer aufstrebenden, aber noch „unter dem Radar“ fliegenden Touristenregion waschen zu können, in den Ozarks. Ein noch verschlafenes Nest in Missouri, viele Berge, viele Wälder, viel Wasser. Martys Boss akzeptiert das unmoralische Angebot, lässt Marty am Leben. Und die Familie Byrd findet sich nur wenige Tage später in der wenig einladenden neuen Heimat wieder, die sprüht vor Menschenfeindlichkeit und Schmutz.

«Ozark» bei Netflix: Mit der Attitüde des idealen Familienvaters


«Ozark» bedient sich auf der einen Seite vieler bekannter Themen und Klischees, die wir schon aus den oben genannten Vorbilder-Serien kennen. Auf der anderen Seite durchbricht es einige dieser Klischees: Für Martys Frau ist sein dunkles Doppelleben nicht etwa attraktiv, anziehend oder gar ein Aufflammen der langweiligen Ehe – so schon gesehen in vielen anderen Serien –, sondern zutiefst abstoßend. Unter einem Dach so weiterzuleben, ist eine psychologische Mutprobe der besonderen Art. Auch die bösen Spieler in «Ozark» sind nicht dumm oder einfältig, sondern agieren höchst intelligent. Dies macht wiederum die Dialogszenen vielschichtiger.

Die Serie lebt von einer gewissen Grundspannung, die sich schnell etabliert und auch vor zahlreichen Gewaltszenen nicht Halt macht. Das Setting – das gewaltige, aber tief im Inneren unheimliche Ozark – ist eine Metapher für die gesamte Handlung. Jason Bateman verkörpert das Doppelspiel seines Charakters Marty mit der irritierenden Attitüde eines idealen Schwiegersohns respektive Familienvaters. Martys Frau Wendy wird hervorragend gespielt von der Oscar-prämierten Laura Linney, die die emotionale Achterbahnfahrt der Familie in ihrem Charakter ausdrucksstark vereint.

«Ozark» ist ein spannungsgeladener Krimi mit zahlreichen seriellen Vorbildern. Ob man das Format letztlich mag, liegt also auch daran, ob man mit der bewusst inszenierten Innovationsarmut leben kann. Und ob man eine Teilzeit-Reise zu den Jahren der Serien-Pioniere antreten möchte. Wenn man sie denn antritt, verspricht es in jedem Fall eine kurzweilige und gelungene Reise zu werden.
23.07.2017 12:17 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/94614