Das Gegenteil von gut ist gut gemeint: «Zum Verwechseln ähnlich»

Alles könnte so schön sein, denn Regisseur Lucien Jean-Baptiste hat sich bei seiner neuen Komödie «Zum Verwechseln ähnlich» ein wirklich feines Thema zur Brust genommen. Doch wann immer er das Drama dem schnellen Gag opfert, droht sein Film, zu zerfallen.

Filmfacts: «Zum Verwechseln ähnlich»

  • Kinostart: 13. Juli 2017
  • Genre: Komödie
  • FSK: o.Al.
  • Laufzeit: 95 Min.
  • Kamera: Colin Wandersman
  • Musik: Alexis Rault
  • Buch: Marie-Françoise Colombani, Lucien Jean-Baptiste, Sébastien Mounier
  • Regie: Lucien Jean-Baptiste
  • Darsteller: Lucien Jean-Baptiste, Aïssa Maïga, Zabou Breitman, Vincent Elbaz, Marie-Philomène Nga, Naidra Ayadi, Michel Jonasz
  • OT: Il a déjà tes yeux (FR/BEL 2016)
Die Geschichte davon, wie Regisseur Lucien Jean-Baptiste («Dieumercii») und sein neuestes Projekt «Zum Verwechseln ähnlich» zueinander gefunden haben, würde selbst schon fast einen eigenen Film tragen. Nachdem der gebürtig von der Karibikinsel Martinique stammende Regisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Synchronsprecher einen Artikel über ein nigerianisches Pärchen gelesen hatte, das trotz größter Skepsis Außenstehender ein Baby mit einer anderen Hautfarbe denn ihrer adoptiert hatte, dauerte es nur wenige Tage, bis man mit einem Drehbuch namens «Black Adoption» an ihn herantrat, in welchem exakt diese Ausgangssituation zur Prämisse einer Komödie gemacht wird. Ein gefundenes Fressen für den Filmemacher, für den somit besiegelt schien, dass ein solches Thema unbedingt verfilmt gehöre. Jean-Baptiste liefert damit nicht die erste Regiearbeit ab, sie sich mit der Konfrontation zwischen Schwarz und Weiß befasst. In seiner Tragikomödie «Triff‘ die Elisabeths!» ging es allerdings vornehmlich um das Thema Integration, während sich «Zum Verwechseln ähnlich» – im Original noch ein wenig provokanter «Il a déjà tes yeux», also „Er hat sogar deine Augen“, betitelt – vorrangig mit der Frage befasst, wie wichtig es ist, den ureigenen Wurzeln treu zu bleiben, ohne sich dabei dem Fortschritt zu verschließen. Gerade aufgrund des erfrischenden Perspektivwechsels beginnt «Zum Verwechseln ähnlich» als charmant gedachte, erzählerisch clevere Komödie, doch mit fortschreitender Spieldauer dominieren eine Hysterie und Hektik das Geschehen, die den noblen Ansatz der Geschichte maßgeblich stören.

Eine etwas andere Adoption


Paul (Lucien Jean-Baptiste) und Sali (Aïssa Maïga) sind ein glückliches Paar. Sie haben einen kleinen Blumenladen in Paris eröffnet und es gelingt ihnen sogar, ihre Familien, die aus dem Senegal stammen, mit hinreichend Traditionswahrung glücklich zu machen. Mehr als alles andere wünschen sie sich ein Kind, seit Jahren läuft der Adoptionsantrag. Eines Tages klingelt das Telefon: der kleine Benjamin könnte neue Eltern gebrauchen. Das Baby ist hinreißend: süß, pflegeleicht und – weiß! Paul und Sali sind auf den ersten Blick zwar etwas geplättet, doch sie verlieben sich sofort in den kleinen Racker. Da der liberale Fortschritt der Welt Patchworkfamilien jeglicher Couleur fest etabliert hat, sind sich Paul und Sali sicher, dass schwarze Eltern mit einem weißen Baby offene Türen einrennen werden. Doch als Sali beim Kinderarzt und auf dem Spielplatz stets nur für die Nanny gehalten wird und die senegalesischen Großeltern erst in eine Farbkrise und dann in eine Depression verfallen, stellen sie fest, dass die Welt doch nicht so bunt ist, wie sie dachten. 

Lucien Jean-Baptiste scheint sich von Anfang an nicht ganz sicher zu sein, wie genau er seine Geschichte eigentlich erzählen will. Auf der einen Seite rückt er die Bedürfnisse der liebevollen Adoptiveltern in den Mittelpunkt, nimmt sich aufopferungsvoll ihrer Ängste, Sorgen und Nöte an und wird sogar richtig dramatisch, wenn er die Skepsis ihrer Mitmenschen betont, die Sali schon mal für die Behauptung auslachen, die Mutter des kleinen Benjamin zu sein. Wenn auch ein wenig plakativ, sprechen die Bilder von Stirn runzelnden Umstehenden Bände; wenn Mutter und Sohn das Wartezimmer einer Arztpraxis betreten, ist ihnen sofort jede Aufmerksamkeit sicher und selbst die Ärztin selbst kann zunächst gar nicht glauben, mit was für einer Paarung sie es hier zu tun hat. Hinzu kommen die permanenten Besuche der latent fremdenfeindlichen Betreuerin Claire (Zabou Breitman), die alles daran setzt, die aufkeimende Bindung zwischen Eltern und Sohn zu zerstören, die hohe Skepsis von Salis Eltern gegenüber ihrem weißen Enkelsohn sowie eingefangene Alltagssituationen, die immer wieder verdeutlichen: Das Problem haben in den seltensten Fällen diejenigen, die es wirklich betreffen würde, sondern vor allem jene, die damit überhaupt nichts zu tun haben und sich allenfalls an der nicht eingehaltenen Konvention stören.

In diesen Momenten gerät «Zum Verwechseln ähnlich» äußerst charmant. Die Darsteller, insbesondere die beiden Protagonisten Lucien Jean-Baptiste («Fonzy») und Aïssa Maïga («Ein Dorf sieht schwarz») unterstreichen die Realitätsnähe, agieren jederzeit authentisch und bieten dem Zuschauer einen emotionalen Anker. Dramaturgisch hingegen verläuft der Film in Wellen. Auf ruhige Charaktermomente und echtes Interesse am Schicksal der jungen Familie folgen Slapstick in Reinkultur, minutenlange, hysterische Keifereien und die Interaktion mit Nebenfiguren, an denen die Geschichte mitunter fast vollständig zu kaputt zu gehen droht. Sei es nun der von Vincent Elbaz («Madame Mallory und der Duft von Curry») gespielte, strunzdoofe Manu, die vollkommen überdreht aufspielende Marie-Philomène Nga («Ein Dorf sieht schwarz») in der Rolle von Salis Mutter oder deren Community aus übereifrigen Müttern und Tagesmüttern, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als sich über das Schicksal ihrer vom rechten Weg abgekommenen Schwester Sali zu unterhalten: Keine dieser Figuren treibt das Geschehen erzählerisch voran. Stattdessen bilden sie allesamt die Grundlage dafür, «Zum Verwechseln ähnlich» in den entscheidenden Momenten viel der vorab aufgebauten Tiefsinnigkeit zu rauben. Da wird gezetert, gekeift oder da werden sich abstruse Verfolgungsjagden geliefert; das alles geht zu Lasten der ansonsten so zurückhaltend erzählten Geschichte, wodurch sich die Wucht der wichtigen Aussage kaum entfalten kann.

Fazit


Die noble Intention der eigentlich so liebevoll gedachten, französischen Komödie «Zum Verwechseln ähnlich» wird von lautstarken, hysterischen Auseinandersetzungen und oberflächlichem Slapstick immer wieder fast im Keim erstickt.

«Zum Verwechseln ähnlich» ist ab dem 13. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.
13.07.2017 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/94389