«Spider-Man: Homecoming»: Mehr Humor, weniger Actionbombast

Spider-Man schwingt sich mit Hilfe von Iron Man durch sein erstes eigenes Leinwandabenteuer, das zum 'Marvel Cinematic Universe' gehört.

Geteiltes kreatives Sorgerecht: Ein Superheld, zwei Studios


Filmfacts «Spider-Man: Homecoming»

  • Regie: Jon Watts
  • Produktion: Kevin Feige, Amy Pascal
  • Drehbuch: Jonathan Goldstein, John Francis Daley, Jon Watts, Christopher Ford, Chris McKenna, Erik Sommers
  • Story: Jonathan Goldstein, John Francis Daley
  • Darsteller: Tom Holland, Michael Keaton, Zendaya, Donald Glover, Tyne Daly, Marisa Tomei, Robert Downey Jr.
  • Musik: Michael Giacchino
  • Kamera: Salvatore Totino
  • Schnitt: Dan Lebental, Debbie Berman
  • Laufzeit: 133 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Lange, bevor Comicgigant Marvel eine eigene Filmproduktionsstätte gründete, veräußerte er die Filmrechte an einige seiner beliebtesten Figuren – darunter Spider-Man, der eine Heimat bei Sony/Columbia Pictures fand. Nach der von Sam Raimi inszenierten Trilogie, die in den frühen 2000er-Jahren enorme Erfolge feierte, folgte 2012 mit «The Amazing Spider-Man» ein durchaus positiv aufgenommener Neustart, dessen Fortsetzung zwei Jahre später von Kritikern und vielen Fans in der Luft zerrissen wurde.

Dabei hätte es nicht so kommen müssen: Kevin Feige, Oberhaupt der für das "Marvel Cinematic Universe" zuständigen Marvel Studios, gab Sony während der Produktion zahlreiche, ausführliche Memos, wie man «The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro» verbessern könnte. Doch das Studio, das unbedingt ein riesiges Franchise aus Spider-Man und seinen Schurken formen wollte, ignorierte die kollegial-freundschaftlich gemeinte, konstruktive Kritik. Da «The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro» mit weltweiten Einnahmen von 709 Millionen Dollar zwar nicht gerade einen Totalflop darstellte, wohl aber meilenweit hinter den enormen wirtschaftlichen Erwartungen zurückblieb, taten sich die zwei Konkurrenten einige Zeit später zusammen: Sony und die Filmschmiede der seit 2009 zum Disney-Konzern gehörenden Comic-Marke Marvel handelten einen Deal aus, von dem beide Seiten enorm profitieren sollten.

Sony behält zwar seine Filmlizenz für den Netzschwinger und übernimmt weiterhin Produktion sowie Vertrieb der Kinofilme, in denen er im Mittelpunkt steht. Jedoch übernimmt das von Spider-Man-Fan Kevin Feige geleitete Marvel Studio die kreative Führung (selbst wenn Sony für den Fall der Fälle ein Vetorecht hat). Zudem wird Spider-Man in das von den Avengers bevölkerte "Marvel Cinematic Universe" eingegliedert, taucht in deren Crossoverevents auf und begrüßt in seinen eigenen Abenteuern als Gaststars Figuren aus den von Disney vertriebenen Marvel-Filmen. Sony darf die Kinoeinnahmen behalten, Disney den Gewinn aus dem Merchandisinggeschäft.

Die zumeist sehr erfreute Fanreaktion auf Spider-Mans Gastauftritt in «The First Avenger: Civil War» war im Frühjahr 2016 zudem Grund zur Hoffnung, dass dieses Abkommen für ein geteiltes Sorgerecht um Spider-Man nicht nur für Disney/Marvel und Sony ergiebig sein sollte – sondern auch für die Fans des freundlichen Wandkrabblers. «Spider-Man: Homecoming» bestätigt nun diesen Optimismus: Die Kooperation zwischen zwei Konkurrenzstudios mündete in eine Actionkomödie, die in Sachen Bombast hinter den meisten "Marvel Cinematic Universe"-Einträgen zurücksteckt, und dafür mit frisch-selbstironischem Witz einen jugendlichen Wind in den Superheldenkosmos pustet – all dies, ohne dabei zur Farce zu verkommen.

Heimkehr an die Schule, Fernweh gen Heldentum


Der High-School-Schüler Peter Parker durchläuft ein massives Gefühlschaos: Einerseits befindet er sich in einem emotionalen Hoch. Milliardär, Erfindergenie und Superheld Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.) hat ihn während eines Superheldenzwists auserwählt, um an seiner Seite zu kämpfen – zudem schenkte er ihm einen hochmodernen Superanzug, der ihm dabei hilft, als Spider-Man im New Yorker Stadtteil Queens für Ordnung zu sorgen. Andererseits könnte Peter Parker nicht deprimierter sein – denn seit seinem Minieinsatz im «Civil War» wartet er vergeblich darauf, erneut von Stark kontaktiert zu werden. Zudem ist es für den im Schulalltag eher kontaktscheuen Peter recht ernüchternd, dass die beliebte Liz (Laura Harrier) für sein Alter Ego Spider-Man schwärmt, ihn selbst aber kaum bemerkt.

Als Peters bester Freund Ned (Jacob Batalon) hinter sein Supergeheimnis kommt, ermuntert er ihn, mehr aus sich herauszugehen und seine Fähigkeiten sowie seine Ehrenstellung als Beinahe-Avenger zu nutzen, um endlich sein Selbstbewusstsein aufzupolstern. Jedoch ruft auch die Pflicht nach dem Teenager mit Superheldenpotential: Der frühere Bergungs- und Abfallbeseitigungsspezialist Adrian Toomes, der nach den Ereignissen von «Marvel's The Avengers» seinen Job verloren hat, verdient sich nun sein tägliches Brot, indem er als Vulture Superwaffen bauen und verkaufen lässt. Peter will ihn unbedingt aufhalten und so Iron Man beweisen, was in ihm steckt, doch sein Mentor will ihn unbedingt zügeln – ist er ein sturer Erwachsener, der einen Teenager unterschätzt, oder schätzt Tony Stark Peter korrekt ein und hat erkannt, dass er sich zu viel zumutet?

Regisseur/Drehbuchautor Jon Watts («Cop Car») und seine fünf für das «Spider-Man: Homecoming»-Skript zuständigen Autorenkollegen Jonathan Goldstein, John Francis Daley, Christopher Ford, Chris McKenna sowie Erik Sommers verschmelzen mit ihrer 133-minütigen Story sehr gut zwei filmische Gattungen: Die 175-Millionen-Dollar-Produktion ist sowohl dem Superheldengenre zugehörig, als auch eine Teeniekomödie, die erzählerisch in der Tradition der John-Hughes-Klassiker aus den 80er-Jahren steht, jedoch akkurat der heutigen Schulrealität angepasst wurde. Tom Holland darf daher sowohl als Teenager überzeugen, der sich von störrischen, begriffsstutzigen Erwachsenen unterschätzt fühlt und mit den Stolperfallen der ersten großen Liebe zu kämpfen hat. Und ebenso amüsiert er als liebenswerter Superheldenanfänger. Holland legt seinen Spider-Man stimmig und witzig als die vorlaute, albern-schlagfertige Wunschidentität eines schüchternen, netten Jugendlichen an, der sich zu sehr in seine Spezialgebiete und Hauptinteressen verrennt, um im sozialen Schulalltag die erste Geige spielen zu können.

Die High-School-Szenen von «Spider-Man: Homecoming» imitieren liebevoll das frech-eloquente Naturell ähnlicher Momente in «Ferris macht blau» oder «Breakfast Club» (wenngleich nie dasselbe Level an pointiert-cleverer Respektlosigkeit erreicht wird). Doch statt in 80er-Nostalgie und veralteten Bildnissen der Jugendkultur zu schwelgen, skizziert Watts ein zeitgemäßes Bild des Teenagerseins: Stars werden auf YouTube gemacht, Nerds und Sportler haben zwar Differenzen, kommen aber per se miteinander aus und zumindest Teens machen kein Buhei mehr über Herkunftsgrenzen überschreitende Beziehungen. Umso mehr schwillt im Hintergrund (arg) subtil der wirtschaftliche Leistungsdruck, der in dieser Form den 80er-Teenagerkomödien fremd war – da war es die Gier, nicht der Überlebenswille, der für Antrieb sorgte.

Watts und seine Miniarmada an Drehbuchautoren verschränken diese Selbstfindungs-Teenagerkomödie fließend mit ihrer etwas anderen Superhelden-Origin-Story. Peter Parker ist in «Spider-Man: Homecoming» zwar bereits etwas länger Spider-Man (womit uns Marvel und Sony es ersparen, zum dritten Mal innerhalb von 15 Jahren die ganze "Spinne beißt Junge, Junge bekommt Fähigkeiten, verliert Ziehonkel"-Nummer zu durchleben), dafür muss er jetzt lernen, wo die richtige Balance zwischen Tatendrang und Selbstüberschätzung, Intuition und Superanzug, normalem Leben und Geheimidentität liegt. Das räsoniert reizvoll mit dem Teenie-Komödien-Anteil, allerdings geht dadurch narratives Potential verloren, dass Watts und Co. die Actionszenen (deren CG-Elemente unter dem Marvel-Durchschnitt liegen) zumeist länger laufen lassen als erzählerisch nötig. Vor allem das Finale, das nicht einmal durch eine Parallelmontage zu einem anderen Subplot aufgelockert wird, ist in seiner minutiös geschilderten (doch leicht unübersichtlich gefilmten) Form ein kleine Enttäuschung.

Die Sony-Komödie unter den Filmen des Marvel Cinematic Universe


«Spider-Man: Homecoming» mag keine visuell derart beeindruckende Materialschlacht wie «Guardians of the Galaxy Vol. 2» sein, noch ein Feuerwerk an aufregend inszenierten, hochoriginellen Stunts. Dafür ist der nunmehr 16. Film des Marvel Cinematic Universe nach dem "größer, dramatischer, bedeutsamer" der vergangenen Kapitel dieses «Avengers»-Franchises eine sehr willkommene, kecke Atempause, welche die Weltenbildung der Marvel-Eigenproduktionen mit dem zügig-feschen Stil diverser Sony-Komödien aus den vergangenen Jahren kombiniert.

Zahlreiche Komödien aus dem Hause Sony kommen mittlerweile ein Stückchen schneller und verrückter als ihre Genrekollegen daher, verankern ihren mit selbstironischen Meta-Witzlein bespickten Irrsinn aber durch Figuren, die unter ihren Macken auch etwas sehr Authentisches ausstrahlen. Und in einer behutsamen, aber deutlichen Dosis macht «Spider-Man: Homecoming» dies nun mit dem Marvel-Filmuniversum – es ist der am stärksten auf Komik gebürstete Teil der bisherigen Filmreihe und vom Schlusskampf abgesehen auch einer der temporeichsten. Spider-Mans energiereiches Herumstolpern durch Pubertäts- und Heldenwerdungsprobleme adressiert liebevoll einige Genreklischees und Peter Parkers Mitschüler sprechen in einem lakonisch-ironischen Tonfall über die Avengers und Co. – alternativ ließe sich «Spider-Man: Homecoming» also auch als das Superheldenpendant zu «Scream» bezeichnen, der in den 90ern zu gleichen Teilen persiflierende Hommage und jugendlich-frischer Horrorfilm war.

Die Metaspielereien hebeln nie die innere Logik der Filmreihe aus oder stehen den dramatischeren Storypassagen im Weg – sie stärken sogar die Charakterzeichnung des Schurken. Von Michael Keaton als strebsamer, einfacher Mann der Arbeiterklasse gespielt, der in die Kriminalität abgerutscht ist und nun nicht mehr so ganz weiß, wie eng er seinen Moralkodex noch nehmen soll, gehört er darstellerisch zu den interessanteren Fieslingen der Marvel-Reihe. Trotzdem greift wieder einmal das wiederkehrende Problem: Marvel gönnt den Antagonisten (meistens) zu wenig Zeit im Rampenlicht, um sich zu rundum faszinierenden Gestalten zu entfalten.

Der Vulture funktioniert aber zudem auf einer Metaebene und gewinnt so an Dimension: Er lässt sich auch als Parabel auf das vergangene (und eventuell noch immer nicht endgültig abgelegte) Wettrüsten zwischen Sony und den Marvel Studios lesen. Er karikiert durch seine Aasgeiermentalität, mit der er «Avengers»-Schutt ausschlachtet, wie Sony aus seiner kleinen Marvel-Lizenz unbedingt ein Franchise von der Größe des "Marvel Cinematic Universe" aufbauen will.

Aber selbst jene, die sich nicht an solche Interpretationsversuche wagen wollen, bekommen durch die Hintergrundgeschichte des Vulture und das Schulgeplänkel von Peter Parker eine stimmige Erweiterung des "Marvel Cinematic Universe" geboten: «Spider-Man: Homecoming» macht das, was die Netflix- und ABC-Serien aus dem Marvel-Kosmos gerne wären, und zoomt sanft in eine etwas anders geartete Ecke dieses etablierten Superheldenkosmos heran, so dass sich das Alte und Neue homogen ergänzen. Der Film lässt einen nie vergessen, dass er Teil des «Avengers»-Kosmos ist, und dennoch können auch Iron Mans Mentorenratschläge nichts daran ändern, dass es ganz klar die Geschichte eines kleinen Superheldenfisches in diesem besonderen Teich ist, und der gerne ein großer Fisch wäre.

Komponist Michael Giacchino webt passenderweise wiederholt einige der wenigen eingängigen, etablierten Marvel-Musikstücke in seinen effektiven Score ein, der mit seiner jugendlichen Leichtigkeit definitiv aus dem bisherigen «Avengers»-Gesamtwerk heraussticht – selbst wenn unter den neuen Stücken die dramatischeren und actionreicheren Kompositionen schneller beliebig werden als die komödiantischen und locker-flockigen. Während musikalisch also der "Wann kehren wir in diese Ecke des Marvel-Universums zurück?"-Faktor also noch immer ausbaufähig bleibt, machen die gut aufgelegten Nebendarsteller (darunter Teeniestar Zendaya als sarkastische Außenseiterin und Marisa Tomei als Peter Parkers quirlige Ziehtante) sehr wohl Lust auf mehr.

Fazit


So geht es also auf Schulen im «Avengers»-Kosmos zu: «Spider-Man: Homecoming» ist eine teeniemäßig-locker-schmissige Ergänzung des "Marvel Cinematic Universe", die mit Ironie, Wortwitz und Charme punktet, während die Action weniger spektakulär auffällt.

«Spider-Man: Homecoming» ist ab dem 13. Juli 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und mäßigem 3D.
10.07.2017 08:41 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/94314