Die Kino-Kritiker: «Loving»

Das Oscar-nominierte Drama «Loving» startet mit großer Verspätung jetzt endlich auch in den deutschen Kinos. Und wieder einmal steht an erster Stelle die erschreckende Erkenntnis, dass das im Film behandelte Thema nach wie vor von trauriger Aktualität ist.

Filmfacts: «Loving»

  • Kinostart: 15. Juni 2017
  • Genre: Drama
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 123 Min.
  • Kamera: Adam Stone
  • Musik: David Wingo
  • Buch und Regie: Jeff Nichols
  • Darsteller: Ruth Negga, Joel Edgerton, Will Dalton, Michael Shannon, Alano Miller, Chris Greene, Sharon Blackwood
  • OT: Loving (UK/USA 2016)
Jeff Nichols‘ Drama «Loving» hat in Deutschland eine bewegte Veröffentlichungshistorie hinter sich. Ursprünglich für einen Kinostart am 2. Februar (und damit noch vor der Oscar-Verleihung, bei welcher der Film in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ mitspielen durfte) eingeplant, wurde das auf wahren Ereignissen beruhende, weltweit gelobte Leinwandprojekt kurz vor Start auf unbestimmte Zeit verschoben. Wenige Zeit darauf gab der Verleih Universal Pictures bekannt, «Loving» im Juni als Direct-to-DVD-Veröffentlichung für die deutschsprachigen Zuschauer bereitzustellen, woraufhin sich viele Filmfans des Landes entrüstet zeigten. Ob es tatsächlich diese Entrüstung war, die Universal dazu animierte, von diesem Heimkino-Release abzusehen, und nun, Mitte Juni, doch den Gang in die Lichtspielhäuser zu wagen, ist reine Spekulation. Manchmal spielen für derartige Entscheidungen Dinge eine Rolle, von der unsereins noch nie etwas gehört hat. So aber ist bloß wichtig, dass «Loving» doch noch in die Kinos kommt – und damit ein Film, der ein größtmögliches Publikum mehr als verdient hat. Denn nachdem Jeff Nichols mit dem smarten Sci-Fi-Drama «Midnight Special» zuletzt übernatürliche Gefilde betrat, erzählt er in seinem neuesten Film die Geschichte einer Liebe, die nicht sein darf, da eine Ehe zwischen Schwarz und Weiß in den Fünfzigerjahren verboten war. Dagegen lassen sich die Ereignisse von «Midnight Special» selbst auf rationaler Ebene doch wesentlich besser erklären.

Ende der Fünfzigerjahre


Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga) sind sehr ineinander verliebt. Doch Mildreds Hautfarbe macht eine Liebesbeziehung unmöglich. In den Augen der anderen Weißen gehören die beiden nicht zusammen, unabhängig von der starken Zuneigung, die sie füreinander empfinden. Eine Ehe zwischen schwarz und weiß ist in ihrer Heimat Virginia verboten, also reist das Paar in das liberalere Washington DC. Durch eine Hochzeit wollen sie allen zeigen, dass sie für immer zusammengehören, auch offiziell. Doch die Freude währt nur kurz. Nach ihrer Rückkehr werden sie für ihre Tat mit Feindseligkeit und Hass bestraft; als die Polizei sie verhaftet, stellt man sie vor die Wahl: Ein getrenntes Leben in Virginia oder ein gemeinsames Leben fern ihrer Heimat, ihrer Familien, ihrer Freunde. Für die Anerkennung ihrer Ehe, welche heute als ein Grundrecht verankert ist, mussten die beiden viele Opfer bringen. Nach neun schweren Jahren landet ihr Fall 1967 im letzten Schritt endlich vor dem obersten US-Gerichtshof…

Bei jedem Film derartiger Thematik betonen zu müssen, wie wenig der Konfliktpunkt Gleichberechtigung bis heute an Aktualität eingebüßt hat, mag im Anbetracht der andauernden Wiederholung lästig sein; doch was soll man tun, wenn die Menschheit bis heute nicht begriffen hat, dass die Mannigfaltigkeit in Aussehen, Kultur und Glauben ein Segen ist – und nicht etwa ein Fluch? Es ist also wie es ist: Das Schicksal der beiden Hauptfiguren in «Loving» könnte sich in leicht abgewandelter Form heute immer noch zutragen – man erinnere sich nur daran, was in manchen Ländern mit Homosexuellen geschieht, oder wie mancherorts auf Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe reagiert wird. Doch auch wenn beides zusammenhängt, ist der Vergleich schwierig: Das Eine beschreibt die juristischen Verhältnisse – also das Verbot einer Tat unter Androhung von Strafe, das Andere ist billige Intoleranz. Gleichsam ist es fraglich, ob die Betroffenen hierin wirklich einen Unterschied sehen, denn beides hat auf die Opfer den Einfluss der Beschränkung; sowohl seelisch, als auch im Ausführen der von anderen abgewerteten, respektive verbotenen Handlung.

Und so befasst sich Jeff Nichols in «Loving» auch direkt mit beiden Auswüchsen menschlicher Intoleranz und nutzt seine Geschichte, um die Missstände des US-amerikanischen Rechtssystems ebenso aufzudecken, wie den unterschwelligen Alltagsrassismus zu entlarven. Im Mittelpunkt stehen in jedem Fall die beiden Hauptfiguren – und nicht nur weil diese tatsächlich existierten und dieses Martyrium über sich ergehen lassen mussten, schockiert einen die Kaltherzigkeit ihrer Umwelt umso mehr.

Es sind in erster Linie die beiden Hauptdarsteller Joel Edgerton («The Gift») und Ruth Negga («Warcraft: The Beginning»), die das Schicksal von Richard und Mildred so fesselnd und greifbar machen. Man möchte fast an eine plakative Entscheidung von Seiten des hier auch als Drehbuchautor fungierenden Jeff Nichols denken, wenn man hört, dass das Paar auf den vielsagenden Familiennamen Loving hört, womit sich auch direkt die Zweideutigkeit des Filmtitels erklärt. Doch das Ehepaar aus Virginia hieß tatsächlich so und macht seinem Namen alle Ehre. «Loving» ist eine starke, kompromisslose Liebesgeschichte, die von Edgerton und Negga so intensiv, nuanciert und mit all ihren Höhen und Tiefen dargeboten wird, dass Liebesbekundungen und –Schwüre niemals in Kitsch abdriften. Vor allem Ruth Negga, die für ihre Darbietung eine Oscar-und Golden-Globe-Nominierung erhielt, während Joel Edgerton „nur“ die Nennung bei den Golden Globes vorbehalten war, gelingt es, die seelische Zerbrechlichkeit ihrer Figur mit ihrem toughen Aufbegehren gegen das System zu kombinieren und aus ihrer

Mildred eine komplexe, starke, das Geschehen dominierende Figur zu machen. Edgertons Richard lässt sich der Vorlage entsprechend häufiger in die Opferrolle drängen und lässt sich mitunter auch dann von seinen überschäumenden Gefühlen dominieren, wenn das gar nicht angebracht ist. Trotzdem steht auch er seiner Frau in den schwierigsten Situationen bei, ist bereit, jedes Risiko einzugehen und Opfer zu bringen; dank dieser beiden Darsteller werden die Ereignisse aus den Fünfzigerjahren wieder lebendig. In einer kleinen Rolle ist übrigens Jeff Nichols‘ Lieblingsschauspieler Michael Shannon («Nocturnal Animals») zu sehen, doch wie so viele andere Nebendarsteller auch, erfüllen sie alle lediglich ihren inhaltlichen Zweck. Gegen die grandiosen Performances der Protagonisten anzuspielen, gelingt ihnen ebenso wenig, wie es notwendig wäre.

Und so liegt der Fokus von «Loving» dann auch hauptsächlich auf den starken Schauspielleistungen, während sich Jeff Nichols inszenatorisch angenehm zurück hält. Ganz so, als wüsste der Filmemacher, dass das Schicksal der beiden Liebenden ohnehin für sich spricht, bleibt er visuell wie akustisch so subtil wie möglich und begibt sich gemeinsam mit dem Zuschauer in die Rolle des stillen Beobachters. Er benötigt weder dramatisch anschwellende Streicher, um die Geschehnisse in ihrer Tragik zu unterstreichen, noch gönnt sich Jeff Nichols‘ Stamm-Kameramann Adam Stone («Midnight Special») bedeutungsschwangere Symbolbilder oder Zeitlupen, um noch mehr Gefühl aus «Loving» heraus zu kitzeln, als es der Film ohnehin schon freisetzt. Einmal mehr beweist der Regisseur sein Händchen für die Beobachtung kleiner Details. Sein Film ist ein ruhiger, dialoglastiger Film, der die nüchterne Theorie des zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Verständnisses für Recht und Ordnung mit einer entscheidenden Sache zu kombinieren: dem menschlichen Faktor.

Durch das Ehepaar Loving erhält ein eigentlich so irrer Diskurs ein Gesicht, das man so schnell nicht vergessen wird. Vielleicht mag sich das Schicksal dieses Paares gar nicht so sehr von so vielen Schicksalen anderer Filmpaare abgrenzen. Vielleicht fehlt es manch einem Betrachter entsprechend an Überraschung und neuen Erkenntnissen. Doch gerade weil das Gezeigte in seiner Einfachheit so tragisch ist, gehört «Loving» mit Sicherheit zu den wichtigsten, vor allem aber zeitgemäßesten Filmen des Jahres.

Fazit


Regie-Tausendsassa Jeff Nichols macht aus seinem intensiv gespielten Rassendrama «Loving» eine ereignisreiche Mischung aus herzzerreißender Liebesgeschichte, fesselndem Gerichtsdrama und schockierender Alltagsbeobachtung, von der man sich wünschen würde, dass sie einem nicht so vertraut vorkäme.

«Loving» ist ab dem 15. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
15.06.2017 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/93738