Etienne Gardé: ‚Die Leute wollen mehr Authentizität und Echtheit‘

Wir sprachen mit dem Mitgründer von Rocket Beans TV über den Deutschen Fernsehpreis, Ratschläge ans klassische Fernsehen und neue Entwicklungen bei Rocket Beans TV.

Zur Person:

Etienne Gardé wurde am 8. Dezember 1978 in Frankfurt am Main geboren. Seine ersten Schritte als Fernsehmoderator und Redakteur ging Gardé ab dem Jahr 2000 im Rahmen der Videospiel-Sendung «GIGA Games» des Senders GIGA, für die er durch über 3000 Live-Sendungen führte. Von 2009 bis 2011 war er Redakteur und von 2011 bis 2014 Moderator der Computer- und Videospielesendung «Game One». Gardé ist Mitbegründer der Medienproduktionsfirma Rocket Beans Entertainment GmbH und Moderator bei deren Sender Rocket Beans TV.
Herr Gardé, kurz vor dem Start von Rocket Beans TV im Januar 2015 hatte MTV Ihre Sendung «Game One» gerade eingestellt und Sie haben den riskanten Versuch unternommen, einen nicht rentablen YouTube-Kanal in Deutschlands ersten 24-stündigen Online-Sender zu verwandeln, der zunächst zu großen Teilen über Spenden Ihrer Fans finanziert wurde. Was würden Sie dem Etienne Gardé von damals mit auf den Weg geben?
(lacht) Ich würde sagen: Entspann dich, alles wird gut! Aber das ist mit dem Wissen von heute leicht gesagt, denn damals bestand ein großes Risiko, gepaart mit einer großen Unsicherheit, Existenzängsten und 1000 Fragezeichen. Wir haben uns damals schon gefragt, was das genau eigentlich werden wird. Es ist ja nicht so, dass wir geplant hatten, innerhalb von drei Monaten 30 Mitarbeiter mehr zu haben oder dass wir auf eine genaue Vorstellung unserer Website hinarbeiteten. Wir haben einfach versucht, 24 Stunden irgendwie Content zu produzieren und dann geschaut, wie weit wir kommen. Dass das dann so eine große Geschichte wird, hat wirklich niemand gedacht. Wir können es uns auch heute noch nicht richtig erklären (lacht). Wir haben immer noch große Angst, dass uns jemand auf die Schliche kommt und sagt: ‚Moment mal, Ihr seid ja gar nicht so geil!“, oder etwas in der Richtung.

Gerade die finanzielle Unterstützung, die die Community zu Beginn aufbrachte, war essenziell dafür, dass Sie nun schon seit knapp 27 Monaten senden. Wie erklären Sie sich die außergewöhnliche Community-Bindung? Das klassische Fernsehen leckt sich nach einem solchen Verhältnis zu seinem Publikum sicher die Finger…
Es war tatsächlich gar nicht so sehr das Finanzielle. Klar ist dort auch etwas herumgekommen, aber es war nicht so viel, dass wir daraufhin ein Jahr Planungssicherheit gehabt hätten. Das diente eher als Signalwirkung in einem Ausmaß, dass man sagen konnte, da sind wirklich Leute bereit, Geld in die Hand zu nehmen und uns zu unterstützen. Und das waren ja auch nicht nur Geldangebote, sondern alles Mögliche. Es haben sich Anwälte, Maler, Kartendrucker, Leute aus verschiedensten Professionen gemeldet und ihre Unterstützung angeboten, um uns zu helfen. Diese unfassbare Resonanz gab den Ausschlag dafür, dass wir uns entschlossen haben, das anzunehmen und daraus etwas zu machen.

Wir halten nicht die Fahne in den Wind oder gehen nach dem neuesten Trend, sondern machen das, was wir immer gemacht haben und das mit großer Leidenschaft.
Etienne Gardé
Ich erkläre mir das auch mit dem Werdegang von Simon, Nils, Budi und mir. Ich mache das jetzt zum Beispiel schon seit 17 Jahren und wir sind uns immer treu geblieben in unserer Art und Weise und den Inhalten, die wir gemacht haben. Wenn du ein so großes Durchhaltevermögen aufbringst, dann baust du dir auch eine Zuschauerschaft auf, die ein großes Vertrauen in dich hat, dich kennt, die weiß, was sie von dir kriegt und daher sehr treu ist. Wir halten nicht die Fahne in den Wind oder gehen nach dem neuesten Trend, sondern machen das, was wir immer gemacht haben und das mit großer Leidenschaft. Die Leute merken, dass wir echt und authentisch sind und honorieren es. Zu «GIGA Games»-Zeiten waren außerdem viele unserer Zuschauer noch jung, eventuell im Teenager-Alter. Sie sind mit uns gealtert. Wie bei uns haben sich dadurch ihre Interessen vielleicht ein bisschen verschoben, sie können sich aber noch immer mit uns identifizieren und wollen das auch weiterhin.

Wir sind generell sehr transparent in Bezug auf die Vorgänge, die in unserem Haus ablaufen.
Etienne Gardé über Kooperationen
Mittlerweile refinanziert sich Rocket Beans TV sowieso selbst und schloss dafür auch viele Kooperationen und Partnerschaften mit anderen Unternehmen. Gleichzeitig müssen Sie jedoch aufpassen, die treue Community bei Laune zu halten und so authentisch bleiben, wie Sie es gerade beschrieben haben. Gab es schon Situationen, in denen Sie dadurch in ein moralisches Dilemma geraten sind oder es Proteste der Zuschauer gab? Haben Sie für solche Angelegenheiten eine klare Maßgabe?

Wir sind generell sehr transparent in Bezug auf die Vorgänge, die in unserem Haus ablaufen. Natürlich können wir nicht jede Zahl offenlegen und das wollen wir auch gar nicht, weil wir nicht der Meinung sind, Rechenschaft schuldig zu sein. Aber wir versuchen so transparent zu sein, wie es eben geht und den Leuten immer zu erklären, warum wir Entscheidung treffen. Wer uns kennt, weiß auch, dass es bei uns nicht primär um die Kohle geht. Wir hätten beispielsweise schon früher viel leichter als Influencer Geld verdienen können als 80 oder 90 Leuten eine Festanstellung zu bieten – das kostet ja sehr viel Geld. Uns merkt man trotzdem an, dass wir immer versuchen, Dinge zu machen, hinter denen wir stehen. Je mehr Mitarbeiter man hat, desto schwieriger gestaltet sich das, denn wir haben ihnen gegenüber eine Verantwortung und müssen deshalb auch auf die Wirtschaftlichkeit achten. Diese Wirtschaftlichkeit und unsere Leidenschaft versuchen wir immer so gut es geht miteinander zu vereinbaren.

Es gab noch nie so richtig große Konflikte, weil wir bislang nichts gemacht haben, wofür wir uns schämen müssen. Wir hatten mal eine Kooperation mit RTL II You, wo unser Programm gespiegelt wurde und das zu einer Zeit, zu der RTL II bei unserer Community nicht den allerbesten Ruf genoss. Dann haben wir unseren Zuschauern jedoch klargemacht, dass das für uns eine gute Möglichkeit darstellt, unsere Reichweite zu erhöhen und es selber besser zu machen für einen großen Kunden. Das sind Dinge, bei denen uns keiner einen Vorwurf machen kann.

Ich sehe das so: Bei uns gibt es 24 Stunden am Tag kostenlos Programm, deshalb jammert man auf hohem Niveau, sollte mal irgendwo ein Werbespot oder eine Sendung laufen, die man vielleicht nicht gut findet. Ich kenne auch niemanden, dem beispielsweise jede Sendung auf ProSieben gefällt. Da trifft man als Zuschauer ja auch eine Programmauswahl. Wir können es als Sender mit unseren Entscheidungen nicht allen Leuten Recht machen. Solange wir uns und unserer Philosophie treu bleiben, kann daher gar nicht so viel passieren. Die Leute wissen auch, dass wir am Ende des Tages unser Produkt so sehr lieben, dass wir kein Interesse daran haben, das kaputtzumachen. Größere Shitstorms gab es deshalb bisher nicht, nur weil wir versucht haben, Geld zu verdienen.

Sie haben Rocket Beans TV Anfang 2015 auf Twitch gelauncht, seit Sommer letzten Jahres senden Sie über YouTube. Inwiefern hat sich der Wechsel für Sie ausgezahlt?
Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wir hatten die Idee, dass Twitch als Gaming-Plattform vielleicht nicht die richtige für uns ist, da wir ja nicht nur ein Gaming-Sender sind, sondern auch ein Entertainment-Sender, der viele weitere Themen abdeckt. Unsere Hoffnung war, dass bei YouTube als Branchenprimus mehr Leute auf uns aufmerksam werden als bei Twitch. Das hat sich anfangs in Viewer-Zahlen nicht direkt ausgedrückt, weil es immer schwierig ist, eine Plattform zu wechseln. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und man vergisst oft, wie schwer Leuten dieser Wechsel fallen kann und wie viel Laufkundschaft es auch auf Twitch gab, die einfach mal reingezappt und uns nicht gezielt ausgewählt hat. Deshalb sind die Zahlen am Anfang erstmal gesunken.

Uns haben auch bestimmte Features, die Non-Exklusivität und die Inhaltshoheit bei YouTube besser gefallen.
Etienne Gardé über den Wechsel von Rocket Beans TV zu YouTube
Hinzu kam, dass YouTube in dem Streaming-Segment noch eine komplett neue Plattform darstellte. Wir haben bewusst gesagt, wir ziehen dorthin um und bauen das mit YouTube auf, weil wir auch glauben, dass das in Zukunft wachsen wird. Außerdem haben wir zu dieser Zeit intensiv am Programm gearbeitet, sodass einfach sehr viel in Bewegung war. Darunter hat die Quote erstmal gelitten, dafür stiegen die On Demand-Zahlen in unserer YouTube-Mediathek. Nach der Content-Umstellung und nachdem wir eine große Evaluation mit unserer Community durchgeführt haben, ist es dann auch bei YouTube wieder aufwärtsgegangen. Für uns stellt auch die Verweildauer eine sehr wichtige Maßeinheit dar, denn wir machen ja nicht klassische YouTube-Clips mit einer Länge von drei, vier Minuten, sondern richtige Shows. Dementsprechend gilt bei uns eine andere Währung. Uns ist klar, dass ein dreiminütiger Clip, in dem jemand eine Katze in die Mikrowelle steckt, mehr Klicks zieht als eine einstündige Talk-Show über Retro-Spiele. Insofern interessiert uns auch die Qualität und wie lange Leute bei unseren Formaten zuschauen. Diese Zahlen sind bei YouTube alle gestiegen. Letztendlich gibt es Vor- und Nachteile bei beiden Plattformen. Uns haben auch bestimmte Features, die Non-Exklusivität und die Inhaltshoheit bei YouTube besser gefallen. Unterm Strich war der Wechsel zu YouTube aus vielen Gründen ein wichtiger Schritt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite von Etienne Gardés Erfahrungen auf dem Deutschen Fernsehpreis, was sich das klassische Fernsehen von Rocket Beans TV-Formaten abschauen kann und warum Rocket Beans TV für Medienschaffende so attraktiv ist.

Über Rocket Beans TV:

Rocket Beans TV, kurz RBTV, ist ein deutschsprachiger Livestream-Kanal der Fernseh- und Medienproduktionsfirma Rocket Beans Entertainment GmbH mit Sitz in Hamburg. Entstanden ist Rocket Beans TV als YouTube-Kanal parallel zur Ausstrahlung der Videospiele-Sendung Game One auf dem Sender MTV. Nach dem Ende von «Game One» wurde das Projekt der offizielle Sender der Firma und strahlt fortan Inhalte auf der Internetplattform YouTube aus.
Wikipedia
Ihre Entscheidungen haben sich auch dahingehend ausgezahlt, dass Sie seit Bestehen mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurden. Sie haben in diesem Jahr dem „Deutschen Fernsehpreis“ gewonnen und wurden damit erstmals mit einem Preis von der Fernsehbranche geehrt, die selbst in Sachen Innovation noch etwas auf der Stelle tritt. Es entstand dabei ein bisschen der Eindruck, dass man nicht so richtig wusste, wohin mit Ihnen. Statt mit einem Preis für das Gesamtprojekt wurden Sie in der Kategorie „Beste Moderation Unterhaltung“ ausgezeichnet…
Natürlich waren wir zuerst einmal wahnsinnig geehrt, denn der Deutsche Fernsehpreis ist in Deutschland noch immer einer der größten Preise, den man als Fernsehschaffender gewinnen kann. Trotzdem war es für uns auch ein bisschen seltsam, weil damit gar nicht gerechnet haben. Wir haben davor ja schon über zehn Jahre Fernsehen gemacht und waren nicht ein einziges Mal eingeladen, geschweige denn nominiert. Als wir dann ins Internet gegangen sind, weil uns beim Fernsehen keiner mehr wollte, kommt plötzlich der Fernsehpreis. Wir haben uns überlegt, wie das jetzt kommt. Es war lustig, dass wir dann für unsere Moderation ausgezeichnet wurden und wir uns natürlich erst einmal gefragt haben, für welche Moderation denn genau. Wir haben ja schließlich verschiedene Sendungen.

Es wirkte schon auch so, als wollten sie uns eine Art Ehrenpreis verleihen, wofür wir aber noch zu jung sind. Irgendwie hat die Branche schon mitgekriegt, was wir da gemacht haben und wollte das anerkennen, aber sie hatten vielleicht nicht die richtige Kategorie oder wussten nicht genau wie. Das war ein bisschen komisch, im Nachhinein habe ich das aber nicht so mega hinterfragt, weil ich total happy war und mich einfach gefreut habe, diese Anerkennung zu bekommen – unabhängig von der Kategorie. Es war eine tolle Geste einer Branche, von der man ein Stück weit auch enttäuscht war. Eine ganze Menge Leute waren da und auch gerade die jungen Medienschaffenden in dem Raum – ob das Florida TV war, bildundtonfabrik oder andere – haben uns das gegönnt, weil sie eher in der Materie stecken. Dann hattest du aber auf der anderen Seite auch einen Thomas Gottschalk oder einen Johannes B. Kerner, die da gesessen haben und sich dachten: ‚What the fuck? Wer sind die denn?‘

Wir waren ja mal eine reine Produktionsfirma, haben dann aber den Sender gemacht und festgestellt, dass wir immer noch sehr viele Anfragen erhalten. Um die Anfragen wahrzunehmen, müssen wir uns aber anders strukturieren.
Etienne Gardé über den Ursprung einer neuen Produktionseinheit
Vielleicht finden Sie ja schon bald wieder im Fernsehen statt. Ende letzten Jahres kündigten Sie an, eine eigene Production Unit aufbauen zu wollen, um künftig mehr externe Auftraggeber beliefern zu können. Gibt es in dieser Hinsicht schon Konkretes zu vermelden?
Wir waren ja mal eine reine Produktionsfirma, haben dann aber den Sender gemacht und festgestellt, dass wir immer noch sehr viele Anfragen erhalten. Um die Anfragen wahrzunehmen, müssen wir uns aber anders strukturieren. Es geht nicht, dass eine Person als Redakteur einer unserer Formate arbeitet und gleichzeitig eine neue Sendung entwickelt. Deshalb haben wir beschlossen, intern eine Trennung durchzuführen, damit Mitarbeiter, die für uns als Produktionsfirma Formate produzieren, nicht an anderer Stelle fehlen. Daher kann die neue Production Unit als externe Einheit gesehen werden, obwohl sie natürlich infrastrukturell Dinge des Senders mitnutzen kann. Im Falle dieser Produktionseinheit ist es dann wie früher: Dort werden Konzepte entwickelt, Shows konzipiert und Gespräche mit Sendern geführt.

Manche dieser Formate sind für Rocket Beans TV vielleicht zu ambitioniert, aber die könnten auf einem anderen Sender laufen. Trotzdem müssen es auch nicht nur Produktionen für Sender sein, sondern beispielsweise Formate für einen Baumarkt oder eine Limo, die dann wiederum bei uns laufen könnten. Ähnlich haben wir es mit Jägermeister und unserem Format «Weekly Wahnsinn» gemacht. Wir führen diverse Gespräche, auch gute Gespräche, ich darf aber leider noch nichts Konkretes dazu sagen. Und wie so oft bei Produktionsaufträgen macht es erst Sinn darüber zu reden, wenn es wirklich ein Go gibt. Ich habe es schon so oft erlebt, dass Auftraggeber von einem Konzept begeistert waren, das machen wollten und dann ist doch nichts daraus geworden.

Dass Sie viele Anfragen erhalten und mit dem Fernsehpreis ausgezeichnet wurden, spricht dafür, dass viele Leute aus der Branche ein Auge auf Ihre Produktionen geworfen haben und diesen auch etwas abgewinnen können. Was können sich denn Formate aus dem linearen Fernsehen von Rocket Beans TV-Formaten und dem Gesamtprojekt abschauen?
Solche Fragen sind immer schwierig zu beantworten, weil man darin gewissermaßen von oben herab über das ‚alte Fernsehen‘ reden muss, aber ich glaube einfach, dass junge Menschen und Leute, die mit dem Internet groß geworden sind, mittlerweile eine andere Form von Unterhaltung und Entertainment schätzen, als sie im klassischen Fernsehen gelehrt wurde. Es klingt abgedroschen, aber die Leute wollen mehr Authentizität und Echtheit. Authentizität kann vieles bedeuten. Mit den unfassbar hohen Budgets, der perfekten Inszenierung und 20 Mal durchgeprobten Auftritten verliert das Fernsehen für jüngere Zuschauer an Reiz. Es sollte mehr auf Augenhöhe gesendet und mit einer gewissen Lockerheit an die Produktion herangetreten werden.

Es sollte mehr auf Augenhöhe gesendet und mit einer gewissen Lockerheit an die Produktion herangetreten werden.
Etienne Gardé darüber, was sich das Fernsehen von Rocket Beans TV abschauen kann
Ansonsten sollte sich das Fernsehen auch die vielen verschiedenen Tools, die das Internet zu bieten hat, mehr zunutze machen. Das bedeutet nicht, bloß einen Tweet vorzulesen, sondern die Zuschauer mitgestalten zu lassen, wo es möglich ist und die Interaktion zwischen Zuschauer und Format zu verbessern. Es gibt sehr viele Punkte und ich bin mir auch nicht sicher, ob das eins zu eins übertragbar ist. Vielleicht will man auch im Fernsehen an gewissen Dingen festhalten, die immer so waren. Die Quoten von Schlagersendungen mit Florian Silbereisen sind schließlich immer noch überragend, aber die Machart hängt eben von der Zielgruppe ab. Es wird immer schwieriger, die jungen Menschen mit ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne mit Standardformaten bei der Stange zu halten.

Wobei Formate wie «Rising Star» oder «Milionärswahl» mit hoher interaktiver Komponente in den vergangenen Jahren gefloppt sind… Nichtsdestotrotz: Seit Senderstart sind Sie kontinuierlich gewachsen. Sie haben nicht nur viele neue Gesichter für vor der Kamera verpflichtet, viele alte Weggefährten aus «Game One»-Zeiten sind auch in Ihr Haus zurückgekehrt. Was macht Rocket Beans TV für Fernsehschaffende so attraktiv?
Wir zahlen hier einfach Wahnsinnsgehälter, das ist das Geheimnis. Hier wird man reich, auch als Praktikant (lacht). Nein, zum einen haben wir ein junges, sehr kreatives und teilweise wildes Team. Hier findet man sehr schnell Gleichgesinnte, die in allererster Linie einfach Bock haben. Viele sind auch Berufsanfänger, die ihren ersten Schritt in die Webvideowelt wagen und bringen dementsprechend einen sehr hohen Enthusiasmus mit. Wir bieten sehr viele Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und wenig Grenzen, daher kann man sehr viel ausprobieren und findet immer ein offenes Ohr für neue Ideen. Gleichzeitig arbeiten bei uns viele Typen, die wahrscheinlich, aufgrund ihres Äußeren, ihrer Art zu reden oder anderen Facetten, woanders nicht ohne weiteres eingestellt werden würden.

Wir geben Charakteren eine Chance und die haben dann auf Anhieb ein Publikum, denn es schauen eben gleich ein paar tausend Leute zu. Das motiviert natürlich. Hier besteht außerdem ein sehr familiärer Zusammenhalt. Ich beobachte das schon so, dass man hier gerne zur Arbeit geht und viele Kollegen hat, mit denen man nach der Arbeit auch noch ein Bierchen trinken geht. So bleiben die Mitarbeiter auch regelmäßig freiwillig länger da, weil es ihnen Spaß macht und sie gerne hier sind. Zudem besteht bei den Kollegen eine hohe Identifikation mit dieser Art Pionierprojekt, in dem man schnell Dinge bewegen kann. Ich habe das ja auch so in der Form noch nie erlebt (lacht). Jeder zahlt auf das Produkt ein, das merken wiederum die Zuschauer, wodurch eine Art Wechselwirkung entsteht.

Wir sollten noch über «Game Two» sprechen. Nach der Absetzung Ihrer langjährigen MTV-Show «Game One» zum Ende des Jahres 2014, sind Sie mit dem Format-Ableger «Game Two» zwei Jahre später bei der öffentlich-rechtlichen Plattform funk untergekommen, der kürzlich bereits um eine zweite Staffel verlängert wurde. Wie groß war die Freude über die Rückkehr des Konzepts und inwiefern hat sich das Format weiterentwickelt?
Wir haben uns natürlich riesig gefreut, weil wir nach wie vor von dem Konzept total überzeugt sind und immer waren. Das Format wurde ja auch nicht aufgrund von Erfolglosigkeit eingestellt, sondern weil es nicht mehr zu den Firmenzielen des Großkonzerns Viacom gepasst hat. Die Sendung hatte aber weiterhin einen riesigen Fankreis. Dass «Game Two» jetzt bei uns auf Rocket Beans TV läuft, ist ein bisschen Ironie des Schicksals.

Dass «Game Two» jetzt bei uns auf Rocket Beans TV läuft, ist ein bisschen Ironie des Schicksals.
Etienne Gardé
Es ist eine große Freude, nun eine Truppe am Format arbeiten zu sehen, die zum Teil aus Leuten besteht, die schon an «Game One» gearbeitet haben aber auch aus neuen Leuten, die wiederum ihre eigene Farbe, ihre Kreativität und ihren eigenen Style dort hineinbringen. In Zukunft kommt vielleicht der ein oder andere von früher noch zurück zum Projekt, dann würde es vielleicht noch mehr aussehen wie früher. Ich bin aber total stolz auf die Truppe. Dort sind ganz viele dabei, die noch sehr jung sind und wenig Erfahrung haben. Wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft und Hingabe die jede Woche eine dreiviertel Stunde «Game Two» aus dem Nichts zaubern, ist das beeindruckend. Ich freue mich auch, dass uns funk als Auftraggeber da auch machen lässt und uns das Vertrauen schenkt.

Inhaltlich gleicht «Game Two» dem Original größtenteils, aber es wurde erweitert um eine Live-Moderation aus dem Studio, die mittlerweile aufgezeichnet wird. Der moderative Part besteht also nicht mehr wie bei «Game One» aus kurzen One-Linern, sondern aus längeren Studio-Diskussionen zum jeweiligen Beitrag, teilweise mit Gästen, mit Community-Feedback. Das waren auch Wünsche von funk, die wir umgesetzt haben. In Bezug auf die Beiträge selbst ist es aber recht nah am Original.

Sie haben es bereits angesprochen: Sie beschränken sich mittlerweile längst nicht mehr nur auf Gaming, sondern haben auch einen Fußball-Talk, eine Kochshow oder mehrere Game-Shows. Was wäre Ihr persönliches Wunschformat, das Rocket Beans TV noch fehlt?
Wenn ich Demografien außer Acht lasse und nur nach meinen eigenen Interessen gehe, würde ich mir ein HipHop-Magazin wünschen, wie es sie beispielsweise mit «Word Cup» oder «Mixery» früher gab. Ein HipHop-Talk wäre also toll oder auch ein Basketball-Format über die NBA. Wofür wir beispielsweise schon Ideen in der Schublade haben, ist ein Cartoon – eine Art «South Park». Das ist aber sehr schwer umzusetzen. Es gibt eine Reihe von Ideen, die ich hätte und gerne machen würde, ein paar der Sachen sind auch schon im Gespräch, aber es stellt sich auch immer die Frage, ob es nicht auch einen Grund gibt, warum es woanders nirgends läuft. Wir sind immer bereit, etwas auszuprobieren, wie zum Beispiel mit unserem Flipper-Format, aber am Ende des Tages müssen wir auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Wir können nicht immer bloß das machen, was wir wollen, sonst schauen es eben kaum Leute und wir produzieren es für die Tonne.

Vielen Dank für das Interview, Etienne Gardé!
11.05.2017 11:15 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/92966