'Wir können uns diese Geschichten von damals durchlesen und daraus lernen'

Margot Lee Shetterly, Autorin des jüngst verfilmten Sachbuchs «Hidden Figures», spricht mit Quotenmeter.de über die Bedeutung von Vielfalt im Kino und darüber, wie es war, an der Hollywood-Adaption ihres eigenen Buches mitzuarbeiten.

Dass ich direkt mit meinem Debüt Hollywoods Interesse wecke, war eine Ehre, aber auch überwältigend und angsteinflößend.
Sachbuchautorin Margot Lee Shetterly über «Hidden Figures»
Es ist erstaunlich, wie nah beieinander Ihr Sachbuch «Hidden Figures» und dessen fiktionale Verarbeitung durch Hollywood erschienen sind. Ich weiß bereits, dass dies deshalb gelang, weil Ihr Buch noch während seiner Entstehungsphase optioniert wurde – aber wie genau lief dies ab?
Das habe ich meinem Verleger und Agenten zu verdanken, die mein Material in die Hände von Donna Gigliotti gelegt haben, einer der eher wenigen erfolgreichen Hollywood-Produzentinnen – sie produzierte unter anderem «Silver Linings» und «Shakespeare in Love». Donna mochte, was sie zu lesen bekam und verstand, weshalb ich diese wahre Geschichte über drei afro-amerikanische Frauen, die bei der NASA in Zeiten der Rassentrennung Großes leisten, erzählen will. Sie erkannte, dass es ein Stoff ist, der auch heute viele Menschen inspirieren wird und rief mich daher an, um mir zu erklären, dass sie einen Film daraus entwickeln möchte. Ich war natürlich wahnsinnig aufgeregt: Dass ich direkt mit meinem Debüt Hollywoods Interesse wecke, war eine Ehre, aber auch überwältigend und angsteinflößend. Da ich am Film als Beraterin tätig sein durfte und mit den Drehbuchautoren zusammengearbeitet habe, um ihnen bei der Einordnung der historischen Fakten zu helfen, war es aber letztlich eine wunderbare Erfahrung für mich.

Hat es Ihren weiteren Schreibprozess beeinflusst, sobald Sie wussten, dass Ihr Buch den Weg auf die Leinwand schaffen wird?
Ich würde eigentlich gerne „Nein“ sagen. Als der Deal getätigt wurde, stand bereits die Struktur meines Buches fest, ebenso wie mein Ansatz, wie ich die Hauptpersonen der Leserschaft näher bringen will. Doch je mehr ich darüber nachdenke, könnte es sein, dass ich durch das Wissen, dass mein Buch zu einem Film wird, mich mehr bemüht habe, so bildlich wie mir möglich zu erzählen. Ich nahm mir vor, so zu schreiben, dass sich die Lesenden so fühlen, als würden sie die hier nacherzählte Zeit mit den handelnden Personen durchleben – statt einfach nur deren Geschichte nachzulesen.

Ich habe den Autoren einfach alle Anmerkungen gegeben, die mir in den Sinn kamen, zwischenzeitlich haben sie 20 Seiten Kommentar von mir zurückbekommen.
Margot Lee Shetterly über ihre Arbeit als Beraterin bei der Hollywood-Adaption ihres Buches
War es schwierig, für Sie als Sachbuchautorin, bei einem Spielfilm als Beraterin tätig zu sein? Während Sie sich ja vordergründig um die Fakten kümmern, erlauben sich Spielfilme künstlerische Freiheiten …
Es war gar keine so große Umgewöhnung, da ich schrittweise immer mehr eingebunden wurde. Zunächst war ich Ansprechpartnerin, wenn es um historische Fragen ging, außerdem hangelten sich die Autoren an meinem Buchmaterial entlang. Dann schickten sie mir Skriptfassungen und baten mich darum, sie zu lesen und zu kommentieren. Natürlich gab es vereinzelte Momente, wo ich sagte: „Nein! Das wäre niemals passiert! Und das wäre etwas anders passiert!“ Trotzdem bin ich mir dessen bewusst, dass ein Buch und ein Film als unterschiedliche Medien auch unterschiedliche Grundvoraussetzungen und Ziele haben, noch dazu, wenn wir wie hier vom Übergang von einem Sachbuch zu einem Spielfilm sprechen. Ich habe den Autoren einfach alle Anmerkungen gegeben, die mir in den Sinn kamen, zwischenzeitlich haben sie 20 Seiten Kommentar von mir zurückbekommen. (lacht) Aber sie haben auch wirklich immer wieder berücksichtigt, was ich kommentiert habe und ich finde, dass sie eine gute Balance gefunden haben, aus: „Was wird der wahren Geschichte gerecht?“ und „Was führt zu einer guten, filmischen Geschichte?“

Wie hilfreich war die NASA in Ihrem Rechercheprozess für «Hidden Figures»?
Es ist sehr überraschend: Es gibt ziemlich viele Informationen über die Arbeit der NASA zu der Zeit, es gibt reichhaltige Informationen, die bis hin zum Vorläufer, dem National Advisory Committee for Aeronautics, zurückreichen, der im Ersten Weltkrieg gegründet wurde. Der Film spielt 15 Jahre nach dem Anfangspunkt meines Buches und drei Jahrzehnte nach der Gründung unserer heutigen NASA – und obwohl die NASA sehr gut darin ist, ihre eigene Historie festzuhalten, gab es im Archiv nur wenige Informationen über diese Frauen und über die Ereignisse, die für den Film und zentrale Teile meines Buches relevant sind. Also musste ich zur Faktenrecherche mit den Verwandten und Arbeitskollegen der „unerkannten Heldinnen“ reden, außerdem bin ich in Lokalzeitungsarchiven fündig geworden – vor allem von Schwarzen für Schwarze verfasste Zeitungen haben sich intensiv mit diesen Frauen befasst. Meine Hauptaufgabe war es daher, die Informationen aus zahlreichen Quellen zu sammeln und gegebenenfalls abzugleichen.

Ich schätze, dass dies der Stein des Anstoßes für Sie war, The Human Computer Project zu gründen, welches es sich zur Aufgabe macht, die Leistungen von Frauen zu Zeiten der NACA und in den frühen NASA-Jahren endlich offiziell festzuhalten?
Ganz genau! Ich stieß während der Recherchearbeiten auf so viele wundervolle Frauen, die wirklich spannende Leistungen für die NACA und NASA vollbracht haben, deren Arbeit damals aber nicht mit der Sorgfalt archiviert wurde wie die der Männer. Das betrifft nicht nur schwarze Frauen, sondern Frauen jeglichen ethnischen Hintergrundes. Und ich finde es schade, dass ihre so wichtige, einflussreiche Arbeit droht, in Vergessenheit zu geraten. Darum will ich deren Leben und Schaffen sammeln, präservieren und dafür sorgen, dass wir sie weitererzählen können. Nicht nur aus Respekt ihnen gegenüber, sondern weil ich finde, dass wir alle aus der Vergangenheit lernen können. Wir können uns diese Geschichten von damals durchlesen und daraus lernen, wie sie sich in berufliche Felder gekämpft haben, in denen sie zunächst nicht respektiert werden. Das sind Lektionen, die für Frauen, Schwarze und sämtliche andere unterrepräsentierte Gruppen in diversen beruflichen Feldern noch immer viel Wert haben.

Jeder, der glaubt, etwas aufgrund äußerer Umstände nicht schaffen zu können, wird durch solche Erzählungen, ob wahr oder fiktional, angesprochen. Natürlich ist eine stärkere Repräsentation sogenannter Minderheiten wichtig – durch Filme wie «Hidden Figures» haben schwarze Mädchen glaubwürdige Heldinnen, zu denen sie aufsehen können und bei denen sie denken: „Hey, die sind genau wie ich.“ Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass dadurch andere ausgeschlossen werden.
Margot Lee Shetterly
Das ist ja nicht nur, aber gerade in Hollywood eine derzeit viel diskutierte Sache: Der Ruf nach mehr Vielfalt in der Auswahl von Geschichten und der Herkunft der Darsteller respektive Figuren, damit sich mehr Menschen als bislang im Kino wiedererkennen …
Wobei die Geschichten ja noch immer universelle Wirkung haben. Ich habe etwa auch die Hoffnung, dass sich auch ein kleiner, weißer Junge «Hidden Figures» anschaut und er durch den Film inspiriert wird. Dazu eine kleine Anekdote: Ich lebe in Virginia und kürzlich wurde ich gebeten, im Südwesten des Staates eine Art Lesung zu halten – und der Südwesten Virginias stimmte bei der US-Wahl mehrheitlich für Donald Trump. Und dennoch: Um 5 Uhr morgens erwartete mich dort ein gerappelt voller Saal, es waren fast ausschließlich weiße Kinder, die gebannt zuhörten.

Der Südwesten Virginias ist historisch betrachtet Bergarbeiterland, dort wurde mit dem Kohleabbau Geld verdient und es ist noch immer eine sehr ländliche Gegend – und die Kinder aus eben dieser Region haben sich am frühen Morgen versammelt, um mit mir über diese großartigen Frauen, deren Leben ich in «Hidden Figures» beschreibe, zu unterhalten und darüber, was sie aus dem Buch lernen können. Wir sprachen auch über die Rassentrennung und weitere dunkle Kapitel der Geschichtsschreibung. Es war eine sehr ergiebige Diskussion und sie hat mir gezeigt: Jeder, der glaubt, etwas aufgrund äußerer Umstände nicht schaffen zu können, wird durch solche Erzählungen, ob wahr oder fiktional, angesprochen. Natürlich ist eine stärkere Repräsentation sogenannter Minderheiten wichtig – durch Filme wie «Hidden Figures» haben schwarze Mädchen glaubwürdige Heldinnen, zu denen sie aufsehen können und bei denen sie denken: „Hey, die sind genau wie ich.“ Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass dadurch andere ausgeschlossen werden.

Die können sich ja noch immer über die Persönlichkeit dieser Leute respektive Figuren oder über die Situation, in der sie sich befinden, mit ihnen identifizieren …
Richtig. Für mich ist die Mathematikerin Katherine Johnson, die Taraji Henson im Film verkörpert, eine regelrechte Superheldin, und ich habe ihre Geschichte für alle nacherzählt. Ich wurde dazu gewissermaßen von «Hamilton» inspiriert – ich habe das Musical leider noch nicht gesehen, es ist ja irrsinnig schwer, an Tickets zu kommen (lacht). Aber ich kenne die Songs und das Buch und ich liebe es, wie dort eine spezifische Geschichte so erzählt wird, dass sich alle angesprochen fühlen und so ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht.

Besten Dank für das Gespräch.
31.01.2017 12:01 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/90923