Vor den Oscar-Nominierungen: Lektionen, die wir von den Gewerkschaften lernen können

Selbst wenn die Golden Globes gern als Oscar-Indikator bezeichnet werden: Die von rund 80 Filmjournalisten vergebenen Awards sind als Stimmungsbarometer nicht so relevant wie die Preise der Branchengewerkschaften. Denn zwischen denen und den Oscars besteht eine nicht zu verachtende Deckungsgleichheit.

Oscars Still So White?


Oscar-Minifakt: "Ich hätte mit mehr «La La Land»-Songnominierungen gerechnet"

Wenn die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben werden, so steht schon jetzt fest: Das Musical «La La Land» wird maximal zwei Nennungen in der Kategorie "Bester Song" erhalten – seit wenigen Jahren ist dies nämlich als Obergrenze festgelegt. Zudem können nur Originalsongs nominiert werden, die die Verantwortlichen zur möglichen Nominierung einreichen. Die Köpfe hinter «La La Land» reichten "Audition (The Fools Who Dream)", "City of Stars" und "Start a Fire" ein. Fans der anderen Lieder brauchen also gar nicht erst die Daumen drücken.
Es wurde vergangenes Jahr heftig debattiert: Weshalb gab es nicht eine einzige Schauspielnominierung für nicht-weiße Aktricen und Mimen – und das auch noch, nachdem die Oscar-Vorauswahl schon 2015 scharf kritisiert wurde? Um auf die Onlinedebatte zu reagieren, wurde beschlossen, dass die Academy in den kommenden Jahren schrittweise dafür sorgt, dass durch ethnisch vielfältigen Zuwachs die Zusammenstellung der Oscar-Abstimmungsberechtigten repräsentativer wird – statt alten, weißen Männern die überwältigende Mehrheit zu geben.

Ob dies etwas gebracht hat? Die Nominierungen am Dienstag werden es zeigen – oder auch nicht, denn wir können nicht kontrollieren, wie es ohne den kulturell breit gefächerten Academy-Zuwachs ausgegangen wäre. Wir können uns aber am „Screen Actors Guild Award“ entlanghangeln, dem Gewerkschaftspreis der Schauspieler. Die Nominierungen für diesen Preis decken sich historisch zu sehr großen Teilen mit den Oscar-Nominierungen – und da steht es dieses Jahr in den vier Kinokategorien 14/20: 14 Schauspielleistungen Weißer wurden nominiert, sechs von Schauspielern und Schauspielerinnen anderer ethnischen Zuordnung.

Die Wahl fiel auf:

Bester Hauptdarsteller
- Casey Affleck – «Manchester by the Sea»
- Andrew Garfield – «Hacksaw Ridge»
- Ryan Gosling – «La La Land»
- Viggo Mortensen – «Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück»
- Denzel Washington – «Fences»

Beste Hauptdarstellerin
- Amy Adams – «Arrival»
- Emily Blunt – «Girl on the Train»
- Natalie Portman – «Jackie»
- Emma Stone – «La La Land»
- Meryl Streep – «Florence Foster Jenkins»

Bester Nebendarsteller
- Mahershala Ali – «Moonlight»
- Jeff Bridges – «Hell or High Water»
- Hugh Grant – «Florence Foster Jenkins»
- Lucas Hedges – «Manchester by the Sea»
- Dev Patel – «Lion»

Beste Nebendarstellerin
- Viola Davis – «Fences»
- Naomie Harris – «Moonlight»
- Nicole Kidman – «Lion»
- Octavia Spencer – «Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen»
- Michelle Williams – «Manchester by the Sea»

Dies dürfte im Groben unser Oscar-Feld werden. Wenn für den Academy Award nur Weiße nominiert werden, so steht der nächste Shitstorm an. Wird das Oscar-Feld ähnlich divers, bleibt hingegen die Frage offen: Erreichten „nicht-weiße“ Filme 2016 einfach mehr Branchenmitglieder oder half die Umstrukturierung? Beim vorhergegangenen „Screen Actors Guild Award“ wurde letztlich auch nur Idris Elba als nicht-weißer Mime nominiert – dass er bei den Oscars rausfiel, muss nicht zwingend als Zeichen für Rassismus gelten, sondern liegt noch in der üblichen „Fehlertoleranz“, wenn man die SAG-Nominierungen als 1:1-Vorlage für die Oscars nimmt.

Das Produktiondesign und die Chancen in der Oscar-Hauptkategorie


Oscar-Minifakt: «Arrival» wird nicht in der Musikkategorie landen können

Obwohl die einprägsame Musik in Denis Villeneuves Sci-Fi-Drama «Arrival» sicherlich preisverdächtig ist: Bei den Oscars wird sie nichts reißen. Die Verantwortlichen in der Musik-Branche der Academy haben sie disqualifiziert, weil sie an zu prägnanten Stellen auf bereits existierende Stücke zurückgreift.
Unter den Gewerkschaftspreisen gibt es manche, bei denen die besten Leistungen des Filmjahres genauer aufgeschlüsselt werden als bei den Oscars. So nominieren die Gewerkschaft für Kostümdesigner ebenso wie die für Produktionsdesigner je fünf Filme in den Kategorien „Kontemporär“, „Historisch“ und „Fantastisch“. Kurioses, statistisches Detail: Die Produktionsdesigner haben einen erstaunlich guten Riecher für Filme, die generell bei der Academy gut ankommen – 90 Prozent der „Bester Film“-Gewinner beim Oscar wurden in den vergangenen Jahrzehnten zuvor für den „Art Directors Guild Award“ nominiert.

Wer sich also unschlüssig ist, wie er seine Prognose in der Oscar-Hauptsparte aufstellen sollte, dem ist zu empfehlen, auf die folgenden Filme zu achten:

Beste Ausstattung – Historisch
- «Café Society»
- «Fences»
- «Hacksaw Ridge»
- «Hail, Caesar!»
- «Hidden Figures»
- «Jackie»

Beste Ausstattung – Fantastisch
- «Arrival»
- «Doctor Strange»
- «Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind»
- «[Passengers»
- «Rogue One: A Star Wars Story»

Beste Ausstattung – Kontemporär
- «Hell or High Water»
- «La La Land»
- «Lion»
- «Manchester by the Sea»
- «Nocturnal Animals»

Einer dieser Filme wird den Oscar mit nach Hause nehmen – das ist nahezu garantiert.

Wird «Deadpool» für das beste adaptierte Drehbuch nominiert?


Sicher werden die einen oder anderen Superheldenfilmfans mit dem Gedanken spielen, im Freundes- oder Bekanntenkreis darauf zu wetten, dass «Deadpool» eine Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch einsackt. Als Begründung wird auf die Nominierung in exakt dieser Sparte beim „Writers Guild Award“ verwiesen. Die kurze Antwort auf die Frage „Hat «Deadpool» eine Chance?“ lautet: Nein!

Aber wer eine längere Erklärung haben möchte: Die WGA-Nominierung allein garantiert noch keine Oscar-Nominierung. «Guardians of the Galaxy» holte auch bereits eine WGA-Nominierung, ohne dass eine für den Academy Award folgte. Und im Fall von «Deadpool» sind die Karten schlecht gemischt: Sowohl «Loving» als auch «Moonlight» (beides Filme, die eine WGA-Nominierung für das beste Original-Drehbuch erhalten haben), gelten nach Oscar-Regularien als adaptierte Drehbücher – und könnten «Deadpool» den Platz streitig machen. Außerdem hat das gefeierte, Oscar-typische Drama «Lion» ein adaptiertes Drehbuch – war aber beim Gewerkschaftspreis nicht zulässig. Natürlich kann «Deadpool» dennoch nominiert werden – aber das ist deutlich unwahrscheinlicher als es sich viele ausmalen!
22.01.2017 16:37 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/90727