Jörg Pilawa: ‚Das lineare Fernsehen wird sich 2078 mit einer Quizshow verabschieden‘

Der Quizonkel, der jetzt auch wieder Talkonkel ist, im Exklusiv-Interview: Warum er 2017 langsamer machen will, wie es mit ihm am ARD-Vorabend weitergeht, wie sich das Quizgenre in 17 Jahren verändert hat und was ihn nun im «Riverboat» beim MDR erwartet.

Zur Person: Jörg Pilawa

Pilawa, 1965 in Hamburg geboren, begann seine TV-Karriere in den 90ern bei ProSieben und Sat.1. Er moderierte unter anderem «ran», einen Vormittags-Talk und «Die Quizshow». 2001 wechselte er zur ARD, wo er «Herzblatt» übernahm. Mit «Das Quiz» kam eine Raterunde hinzu. Von August 2001 bis Dezember 2007 moderierte er die «NDR Talk Show». Von 2010 arbeitete Pilawa für das ZDF, machte dort «Rette die Million» oder «Der Super Champion». Seit 2014 steht er wieder bei der ARD unter Vertrag - neben dem «Quizduell» steht er auch für «Die NDR Quiz Show» vor der Kamera. Er moderiert zudem «Paarduell», «Spiel für dein Land» und seit Anfang 2017 auch alle 14 Tage die Talksendung «Riverboat» im MDR.
Herr Pilawa, sind Sie gut ins neue Jahr gekommen?
In der Tat: Mit dem «Silvesterstadl» konnte ich perfekt ins neue Jahr schunkeln, hat viel Spaß gemacht.

Dann steht einer neuen Tradition also nichts mehr im Wege?
Nein, nein. Da ist in dieser Richtung gar nichts vereinbart. Wissen Sie, meine Primetime-Show «Spiel für dein Land» läuft ja auch in Österreich und der Schweiz – und ist dort auch sehr beliebt. Da dachten die Kollegen im Ausland, dass es passend wäre, für den neuen «Silvesterstadl» einen Moderator zu nehmen, der in allen drei Ländern akzeptiert ist. Ich habe das mit meiner Familie besprochen und nachdem klar war, dass sie nach Graz mitkommen, haben wir Silvester einfach dort zusammen gefeiert. Und es war wirklich ein Wahnsinns-Spaß an der Seite von Francine. Schon als Gast bei Carmen Nebel und Florian Silbereisen ist mir aufgefallen, wie professionell im Schlagerbereich gearbeitet wird. Das hat mich tief beeindruckt.

Sie sind neuer Moderator vom «Riverboat» im MDR. Wenn ich jetzt sage: Vom Quizonkel zum Talkonkel - dann verdrehen Sie vermutlich ob des Schubladen-Denkens die Augen…
Ach, wir alle leben von und mit Klischees. Ich habe die Bezeichnung Quizonkel ja selbst geprägt. Aber ich freue mich auf die Aufgabe beim «Riverboat». Ich habe ja früher schon die «NDR Talk Show» gemacht – und es ist doch schön, wenn man mit 50 dann noch mal die Chance bekommt, einiges anders zu machen als damals mit 40. Das «Riverboat» ist die erfolgreichste Talkshow am Freitagabend. Und für den Quizonkel ist es natürlich toll, Fragen stellen zu können, die dann ohne A-B-C-D-Antwort-Terror auskommen.

Seit 17 Jahren machen Sie nun Quizformate. Begonnen hatte das 2000 mit der «Sat.1 Quiz Show». Wie hat sich das Quizgenre aus Ihrer Sicht in dieser Zeit verändert?
In allen Bereichen. Das fängt schon bei den Kandidaten an, denen es natürlich auch nicht verborgen geblieben ist, dass es seit rund 20 Jahren Ratesendungen gibt. Die wissen, wie so etwas läuft. Dazu kommt, die Fragen und Antworten haben sich verändert. Früher konnte ich nach dem Baubeginn des Kölner Doms fragen (Grundsteinlegung 1248), vor 10 Jahren nach der Bauzeit (632 Jahre) und 2017 könnte die Frage lauten: Wem gehört der Kölner Dom? Heute muss in Quizshows eher immer um die Ecke gedacht werden. Bei den Einstiegsfragen wird stets der humoristische Ansatz gewählt. Auch das war früher anders.

Da wird jede Frage nochmal recherchiert. Keiner will ja, dass man etwas fragt, das vor zwei Wochen bei «Wer wird Millionär?» schon zu sehen war. Man muss aufpassen, dass die Fragen in einem solchen Baum möglichst aus allen Bereichen kommen und, und, und. Kurz: Ich ziehe meinen Hut vor der Redaktion, die die Fragen einer Show entwickelt.

Und noch etwas ist anders: Während die Leute sich früher von ihrem 5.000-Mark-Gewinn oft einen lang gehegten Wunsch erfüllt haben, heißt es heute immer häufiger, dass sie damit nun ihren Dispo begleichen. Man hat da manchmal das Gefühl, dass die wirtschaftliche Not bei uns etwas größer geworden ist. Hinzu kommt der Einsatz von Musik, Sound, Grafiken – und die Moderation. Früher waren Quizformate noch viel stärker formatiert. Heute werden manchmal sechs Fragen pro Sendung gestellt und am nächsten Tag im identischen Format sind es 20.

Heute glaube ich, dass sich das lineare Fernsehen im Jahre 2078 mit einer Quizshow verabschieden wird.
Jörg Pilawa
Sie hatten damals, im Jahr 2000, aber auch nicht gedacht, dass Sie 2017 noch Quizshows machen?
Nein, ich hatte damals gesagt, dass ich froh bin, wenn es das in zwei Jahren noch gibt. Heute glaube ich, dass sich das lineare Fernsehen im Jahre 2078 mit einer Quizshow verabschieden wird. Der Vorteil von Ratesendungen ist: Jeder auf dem Sofa kann mitraten. Das ist Interaktion ob mit oder ohne App.

Die Anfangsphase Ihres «Quizduells», als die Technik nicht lief, war die verrückteste Ihrer Karriere?
Ja, gerade weil wir ja versucht hatten, etwas vollkommen Neues zu machen. Alle haben gesagt, dass das überhaupt kein Problem wird. Und dann gehst du auf die Bühne, pustest die Backen auf und nichts geht. Das ist wie ein 100-Meter-Läufer, der sich kurz hinter dem Startblock voll auf’s Mett legt. Aber man hat dann die Möglichkeit aufzustehen, sich den Mund abzuwischen, zu lachen und weiter zu machen oder sich minutenlang auf der Aschenbahn zu wälzen. Wir haben Gott sei Dank Ersteres gemacht.

Ist die Zukunft des «Quizduells» nicht zuletzt auch wegen des «Riverboat» nun in Gefahr?
Wir haben darüber noch keine Klarheit. Es gibt den Wunsch, dass wir weitermachen. Aber natürlich hat die Zukunft etwas mit meiner neuen Sendung zu tun. Ich mache 2017 alle 14 Tage das «Riverboat». Am 4. Februar kommt «Spiel für dein Land» und im Frühjahr das «Paarduell». Das weiß ich – und mehr noch nicht. Wissen Sie, es ist ganz schön, dass mein Kalender in diesem Jahr eher luftig aussieht.

Das war im Vorjahr anders.
Von Ende September bis zum 31. Dezember habe ich mit Ausnahme der Weihnachtswoche wirklich kaum Tageslicht gesehen und nur Studioluft geatmet. Es war jetzt zwar nicht so, dass ich zu reden begonnen habe, als bei mir daheim das Kühlschranklicht anging. Man kommt sich aber in solchen Phasen schon wie ein Fließband-Arbeiter vor. Im November haben wir 36 Folgen der «NDR Quizshow» aufgezeichnet – die laufen jetzt bis Ende 2017. Da begrüßt man die Zuschauer gleich mehrfach am Tag mit einem „Guten Abend“ – und weiß dann abends gar nicht mehr, ob es wirklich ein guter wird. Natürlich ist diese Form der Produktion finanziellen Gründen geschuldet – für den Moderator ist eine solche Staffelproduktion aber schwierig. Ich mache eine regionale Sendung für den NDR, kann aber z.B. nicht über den HSV oder Werder Bremen sprechen, weil ich nicht weiß, ob die Clubs nächsten Sommer noch in der ersten Liga spielen. Oder im Special mit den Landwirten nicht über die Ernte quatschen, weil ich nicht weiß, ob die Ernte im kommenden Jahr vielleicht schlecht ausfällt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was Jörg Pilawa beim «Riverboat» vorhat, wie er sich an seine Sat.1-Talkzeit erinnert und was Deutschland von den US-Late-Night-Shows lernen kann.


Wenn man heute aber mal zurückdenkt, die alten Shows anschaut und die Kritik dazu liest, die es damals gab, stellt man fest, dass wir schon ziemlich harmlos waren im Vergleich zu den skurrilen Geschichten, die heute in Scripted Realitys erzählt werden und von denen viele Seher glauben, dass sie real sind.
Jörg Pilawa über TV-Nachmittagssendungen von früher
Mit Ihrem Wechsel zum «Riverboat» kehren Sie ein bisschen zu Ihren Wurzeln zurück. In den 90ern hatten Sie in Sat.1 eine eigene Talkshow um 11 Uhr. Blaue Wände, acht bis zehn Holzstühle…
Das war ja damals ein Wahnsinns-Hype. Ich bin dankbar, dass ich das machen durfte, so konnte ich das Handwerk lernen. Wir hatten viele Menschen bei uns im Studio, haben viele Themen besprochen. Ich bin auch froh, dass wir vormittags etwas sachtere Themen hatten als die Shows, die nachmittags und unter größerem Konkurrenzdruck liefen. Wenn man heute aber mal zurückdenkt, die alten Shows anschaut und die Kritik dazu liest, die es damals gab, stellt man fest, dass wir schon ziemlich harmlos waren im Vergleich zu den skurrilen Geschichten, die heute in Scripted Realitys erzählt werden und von denen viele Seher glauben, dass sie real sind.

Gab es eigentlich in all den Jahren, die Sie jetzt für ARD und ZDF gearbeitet haben, jemals den Gedanken, zurück zu den Privaten zu wechseln?
Als Produzent hatte ich da immer mal wieder Kontakt. Als Moderator nicht. Wir haben da ja eigentlich zwei Parallel-Universen, deren Schnittmenge zunehmend geringer wird.

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihre Zuschauer, die Privaten haben ihre Zuschauer. Und voller Respekt gucke ich auf Formate wie «Die Höhle der Löwen» bei VOX oder auf «Team Wallraff» und das «Jenke Experiment» bei RTL. Auch bei den klassischen Shows wie das «Das Supertalent», «Let´s Dance» oder jetzt wieder der „Dschungel“. Alle Achtung, wie RTL es da geschafft hat, durch Eventprogrammierungen echte Marken zu schaffen.

Beim «Riverboat» soll mit Ihnen nun ein frischer und auch jüngerer Wind wehen?
Verjüngung durch den ergrauten Ü50er (lacht). Zunächst einmal finde ich es gut, dass der MDR die Marke «Riverboat» stärkt. Die Sendung läuft jetzt einmal pro Woche statt wie früher nur alle 14 Tage. Dafür gibt es zwei Moderratoren-Duos, die sich abwechseln. Das gefällt mir. Es war dann schnell die Frage, mit wem ich mir die Moderation vorstellen könnte – und als die Macher mit Stephanie Stumph um die Ecke kamen, war ich wirklich froh. Ich kenne sie vom Panel in «Kaum zu glauben» und habe sie dort immer als tolle und wache Kollegin erlebt. Sie ist nicht auf den Mund gefallen, haut mal einen raus und hat richtig Bock auf diese Aufgabe.

Gerade in Zusammenhang mit dem Wunsch nach einer deutschen Late-Night-Show heißt es ja immer: In Deutschland würde es keine so guten Talkgäste geben. Die kommen ja nur, um ihre CDs in die Kamera zu halten. Haben Ihre Gäste ihre CD fortan auch immer griffbereit?
Das ist schon ein Problem. In Bezug auf Late-Night-Shows sehe ich aber noch ein anderes. Wir haben an Late-Night-Shows auch eine ganz bestimmte Erwartungshaltung. Ich empfehle allen mal die amerikanischen Late-Nights am Tag nach der Trump-Wahl anzuschauen. Viele Moderatoren haben sich da sehr gut selbst reflektiert, sich selbst einen Spiegel vorgehalten und erkannt, dass sie Trump sehr lange nicht ernst genug genommen haben.

Es gibt US-Late-Night-Shows, die in hohem Maße politisch sind. Sie sind in ihren Aussagen viel klarer als Formate, die es bei uns gab. Mit einem Harald Schmidt 2.0 bin ich sicher, dass es für Late Night hierzulande Zuschauer geben würde. Team «heute-Show», bitte übernehmen sie.......

Talkshow darf kein Nummernprogramm sein.
Jörg Pilawa
Zurück aber zu den CD’s und denen, die sie in die Kamera halten wollen. Ein Problem für Sie als Talkmaster?
Natürlich bekomme ich einfacher Leute, die gerade eine CD oder ein Buch vorstellen wollen. Es tut sich aber was, die „Bringschuld“ als Gast ist im Vormarsch. Manche sagen sogar zu mir: Aber bitte lade mich nicht nur ein, wenn ich PR für mein Buch brauche. Wichtiger als der Einzelgast ist immer noch der Mix der Gäste. Talkshow darf kein Nummernprogramm sein. Wo sind die Schnittpunkte, wie bringe ich die Gäste untereinander ins Gespräch.

Letzte Frage: Welche Vorsätze hatten Sie sich für 2017 genommen?
Tatsächlich bin ich jemand, der privat wie auch beruflich schon immer Ende Dezember die Vorsätze der anderen notiert. Rauchen aufhören, mehr Sport, gesünder Essen, die Frau nicht mehr betrügen. Ende Januar kommen die Leute dann immer zu mir und sagen: Ich rauche jetzt doch wieder, mehr Sport schaffe ich nicht… Ich halte es da mit Oscar Wilde, „Gute Vorsätze sind der nutzlose Versuche, die Naturgesetze außer Kraft zu setzen.“

Vielen Dank für das Interview.
15.01.2017 10:42 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/90540