VOX-Chefredakteur Kai Sturm: 'Wir machen keine Me-Too-Formate in der Primetime'

Sein Sender ist einer der Gewinner des Jahres 2016 - und die Liste der Hits ist lang. Im Exklusiv-Interview spricht er über vieles, was VOX jüngst ausprobierte. Manches wird weitergehen, anderes nicht. Und er erklärt einige Grundprinzipien von VOX.

Zur Person: Kai Sturm

Kai Sturm ist seit Juli 2006 Chefredakteur bei VOX. Gestartet war er sechs Monate zuvor als Executive Producer für den Kölner Sender. Seine Karriere bei den Medien begann beim WDR Hörfunk und als Moderator und Musikredakteur bei Radio Belcanto in München tätig. Erste TV-Showerfahrung sammelte er 1990 bei Reg Grundy Productions in München, danach folgten drei Jahre als Redakteur und dann Producer bei RTL in Köln. Anschließend wechselte Kai Sturm als Executive Producer zu Endemol Entertainment in Köln und Hilversum und wurde dort 1996 zum Leiter der Entwicklung Entertainment. 1998 wechselte Kai Sturm erneut zu RTL und war als Executive Producer bei RTL Television tätig. Im Januar 2000 gründete er als Gesellschafter und Geschäftsführer das RTL Beteiligungsunternehmen Stormy Entertainment GmbH in Hürth. Nach seinem Ausscheiden im März 2004 war Kai Sturm bis Ende 2005 als Executive Producer bei der Constantin Entertainment GmbH in Ismaning tätig.
Herr Sturm, 2016 war in vielen Bereichen ein außerordentlich gutes Jahr für VOX. In seinem Buch „Die TV-Falle“ hatte Ex-Sat.1-Chef Roger Schawinski mal ausgeplaudert, dass er sein Team angewiesen hatte, explizit zu erforschen, was genau richtig gemacht wurde. Haben Sie das mit Ihrem Team zuletzt auch getan?
(lacht) Nein, das haben wir noch nicht.

Dann besteht da doch Nachholbedarf.
Wir haben qualitativ gute Sendungen ausgestrahlt, die den Zuschauern gefallen haben und den Kritikern auch. Wir haben tolle Marken geschaffen. Und wenn das alles gelingt, dann gefällt das in der Regel auch dem Werbemarkt.

Dann sprechen wir im Detail darüber. Die dritte «Sing meinen Song»-Staffel stand ihren Vorgängern in Nichts nach…
Die Sendung lebt von den tollen Musikern, die mitmachen. «Sing mein Song» ist kein Musik-Format, sondern ein Musiker-Format. Das sind nur zwei zusätzliche Buchstaben, aber ein großer Unterschied. Ich habe großen Respekt davor, wie sehr sich die Stars in der Sendung öffnen. Und ich mag die Leidenschaft, die die Musiker haben, wenn sie bei uns auf der Bühne stehen. Das ist ganz besonderes Fernsehen.

Manche Stimmen sehen dem Weggang von Xavier Naidoo etwas kritisch entgegen. Dabei sind wechselnde Künstler doch im Original-Format Gang und Gäbe.
In Holland hat die Sendung sogar einen klassischen Moderator, der gar nicht mitsingt. Wir wollten das nicht. Die Musiker sollen alle miteinander sprechen – von Kollege zu Kollege.

Ich verstehe manchmal nicht, wieso man vor dem Neuen immer erst Bedenken haben muss. Man muss Bedenken haben, bevor man eine neue Idee umsetzt. Dann muss man Bedenken haben, wenn eine bereits erfolgreich etablierte Idee mal verändert wird.
VOX-Chefredakteur Kai Sturm
Trauern Sie Xavier Naidoo nach?
Ich verstehe manchmal nicht, wieso man vor dem Neuen immer erst Bedenken haben muss. Man muss Bedenken haben, bevor man eine neue Idee umsetzt. Dann muss man Bedenken haben, wenn eine bereits erfolgreich etablierte Idee mal verändert wird. Ich denke nicht so. Ich freue mich auf das Neue. Nach drei Staffeln «Sing meinen Song» möchte Xavier Naidoo jetzt eine neue Herausforderung haben, das ist okay. Ich dachte, dass das vielleicht sogar schon nach zwei Staffeln passieren könnte. Kürzlich hat Jochen Schweizer in einem Interview gesagt, dass er sich für seine Zeit bei der «Höhle der Löwen» bedanken möchte. Und wir bedanken uns bei ihm. Aber jetzt wird ein neuer «Löwe» kommen und das wird wieder eine Chance für das Format sein.

Dass «Die Höhle der Löwen» auf an die 20 Prozent kommt, hätten Sie vor der Staffel, vermutlich auch nicht erwartet. Auch da herrschte ja von außen erstmal Skepsis über die Umbesetzungen der Investoren.
Wenn Sie mir gesagt hätten, dass wir im Schnitt 18,2 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen holen, hätte ich Ihnen vermutlich einen Drink spendiert. Aber nur einen, weil ich mir sicher gewesen wäre, dass Sie schon betrunken sind (lacht).

Die Messlatte für Staffel vier liegt somit aber recht hoch.
Das ist immer so. Wenn Sie mal sechs Meter weit gesprungen sind, wollen Sie das wieder schaffen. Es macht in dem Fall aber keinen Sinn, die Messlatte wirklich bei den 18 Prozent zu sehen.

RTL-Chef Frank Hoffmann hat noch nicht angerufen und gesagt, dass sein Krimi-Dienstag eher solala läuft?
Nein, das hat er nicht. RTL ist aber auch ganz anders positioniert als VOX, sodass wir uns normalerweise nicht in die Quere kommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ist VOX noch immer auf der Suche nach einem Lead-Out für die «Löwen» und wie geht es mit «6 Mütter» weiter?

Wie zufrieden waren Sie eigentlich mit den Lead-Outs, also mit «Goodbye Deutschland» und auch mit dem Test «Fürst Heinz»?
Wir haben einfach gemerkt, dass wir die thematische Hinwendung an «Die Höhle der Löwen» als Lead-Out gar nicht brauchen.
VOX-Chefredakteur Kai Sturm über das Lead-Out von «Die Höhle der Löwen»
«Die Höhle der Löwen» ist ein sehr hoch entwickeltes Format, was Schnitt, Musik und Storytelling angeht. Da ist es immer schwierig, ein Lead-Out zu finden, das zu 100 Prozent funktioniert. Mit «Goodbye Deutschland» war ich aber schon ziemlich zufrieden. Das entspannt ein bisschen und gibt den Zuschauern ein gutes Gefühl. Mit «Fürst Heinz» wollten wir sicher noch mehr an «Die Höhle der Löwen» anknüpfen. Fürst Heinz ist ja tatsächlich jemand, der junge Geschäfte fördert – das Format hatte zudem auch ein bisschen was von dem «Goodbye Deutschland»-Feeling. Damit war ich letztlich aber nicht so zufrieden. Wir haben einfach gemerkt, dass wir die thematische Hinwendung an «Die Höhle der Löwen» als Lead-Out gar nicht brauchen.

Es gab ja auch noch weitere Tests in diesem Jahr: «One Night Song» zum Beispiel…
…wovon wir 2017 nun eine ganze Staffel zeigen werden.

Und Sie haben «Ewige Helden» weiter entwickelt und planen das Format für Frühjahr 2017 ein. Welches Fazit haben Sie nach Staffel 1 gezogen? Sie hatten mal erwähnt, dass Formate mit sportlichem Ansatz ihr Publikum bei VOX erst finden müssen…
Wie Sie schon sagen, werden wir da weitermachen. «Ewige Helden» ist kein Sport-Format, sondern – Sie ahnen es – ein Sportler-Format. Wir haben viel an der Sendung gearbeitet. Sport bleibt freilich ein Thema, aber wenn Sie Staffel 1 mit Staffel 2 direkt vergleichen, werden Sie eine deutliche Evolution feststellen. Wir haben tolle Sportler dabei; Fabian Hambüchen, Julius Brink, Tanja Szewczenko. Das ist ein guter Mix, aus tollen, witzigen, jungen, besonderen Sportlern. Ich habe jüngst erste Ausschnitte gesehen und hatte großes Vergnügen.

Haben Sie aus der Vielzahl an Tests in 2016 auch etwas Allgemeingültiges ziehen können?
Unsere wichtigstes Credo ist: Wir wollen das Ungewöhnliche zum Prinzip machen. Wir wollen in der Primetime keine Me-Too-Projekte zeigen. VOX soll anders sein als andere Sender.

So wie bei «6 Mütter»…
Diese Idee hat mich unglaublich gereizt. Wir haben uns das zugetraut. Nach eineinhalb Jahren hatten wir die sechs Mütter zusammen, die mit uns über ihr Leben sprechen wollten – und wir sind wirklich sehr stolz auf das fertige Produkt. Und ich bin auch nach der Ausstrahlung sehr zufrieden.

Das Format ist stark gestartet, dann aber eher mäßig zu Ende gegangen.
Ich kann mir hier schon vorstellen, dass wir zum Ergebnis kommen, noch einmal eine zweite Staffel zu versuchen.
VOX-Chefredakteur Kai Sturm über «6 Mütter»
Und trotzdem sind wir wirklich sehr zufrieden. Natürlich werden wir darüber jetzt viel diskutieren. Da spielt dann die Besetzung eine Rolle, aber auch Dinge wie Lead-In, Lead-Out, Sendezeit, Jahreszeit und so weiter. Ich kann mir hier schon vorstellen, dass wir zum Ergebnis kommen, noch einmal eine zweite Staffel zu versuchen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum VOX damals wirklich nicht mit «X-Factor» weitergemacht hat und welche Fehler sich Kai Sturm bei «Grill den Henssler» eingesteht.


Sie haben darüber gesprochen, dass Sie keine Me-Too-Formate machen wollen. Keine Kopien, sondern neue Ideen. Das, was sich viele Zuschauer wünschen. Warum macht nur VOX das? Sind Sie einfach mutiger?
Wenn wir etwas machen, dann wollen wir eigentlich immer die Nummer 1 in diesem Gebiet sein. Bei «X Factor» wären wir die Nummer 2 oder Nummer 3 gewesen.
VOX-Chefredakteur Kai Sturm über die Entscheidung «X-Factor» nach drei Staffeln nicht fortzusetzen
Das frage ich mich auch. Und ich verstehe da manche Kollegen auch nicht. Wir haben «X Factor» gemacht und es war eine tolle Show. Aber dann kam «The Voice» und hat gezeigt, wo der Hammer hängt. «The Voice» ist wirklich sensationell und wir haben somit keinen Sinn mehr darin gesehen, mit «X Factor» weiterzumachen. Wenn wir etwas machen, dann wollen wir eigentlich immer die Nummer 1 in diesem Gebiet sein. Bei «X Factor» wären wir die Nummer 2 oder Nummer 3 gewesen. Insofern scannen wir alle unsere Formate nach genau diesem Potential. Unser Ziel ist es, in bestimmten Bereichen ganz vorne zu sein.

Wie es «Club der roten Bänder» gelang, der vielleicht emotionalsten deutschen Serie aller Zeiten. Und dann sagt VOX, dass nach Staffel 3 Schluss ist. Verrückt.
Die Serie ist das Baby von unserem Chef Bernd Reichart. Ich finde das Format auch unglaublich toll. Auch, weil die Serie total konsequent erzählt ist. Zu dieser klaren Konsequenz gehört dann auch das Ende nach drei Staffeln.

Umgebaut haben Sie «Grill den Henssler», die Show, die sich nun auch noch gegen «The Voice» durchsetzen musste. Die Quoten waren dann rückläufig. Was meinen Sie? Lag es an der Sat.1-Konkurrenz oder doch an einigen Dingen, die Sie anders gemacht haben in der zurückliegenden Staffel?
Zunächst einmal machen wir mit dem Format im Frühjahr natürlich weiter. Schon vergangenen Sommer, also bevor Sat.1 sich entschieden hatte, «The Voice» sonntags zu zeigen, hatten wir uns entschieden, «Grill den Henssler» zu renovieren. Wir hatten also ein überarbeitetes Format und neue Konkurrenz. Wir haben klar gesehen, wo wir letztlich Federn gelassen haben. Erwähnen möchte ich aber auch, dass diese Herbst-Staffel trotzdem stärker lief als die im Herbst 2015. Eventuell waren es aber ein paar Änderungen zu viel, die wir vorgenommen haben.

Klar war aber auch, dass man einen Juror wie Heinz Horrmann, der von Anfang an dabei war, nicht so einfach ersetzen kann. Wenn an seiner Stelle dann jemand anderes sitzt, jault der Zuschauer zwangsläufig erst einmal auf – vollkommen unabhängig von den Qualitäten des Nachfolgers.
VOX-Chefredakteur Kai Sturm über die Änderungen bei «Grill den Henssler»
Wissen Sie, man kann eine solche Sendung immer so lange genauso laufen lassen, bis es ein bisschen langweilig wird. Oder man versucht frühzeitig, frischen Wind hineinzubringen. Das war unser Ziel. Klar war aber auch, dass man einen Juror wie Heinz Horrmann, der von Anfang an dabei war, nicht so einfach ersetzen kann. Wenn an seiner Stelle dann jemand anderes sitzt, jault der Zuschauer zwangsläufig erst einmal auf – vollkommen unabhängig von den Qualitäten des Nachfolgers.

Wo wir gerade beim Kochen sind: Am Vorabend läuft seit mehr als zehn Jahren «Das perfekte Dinner» - und während man manchmal schon davon sprach, dass die Sendung ihre Halbwertszeit deutlich überschritten habe, konnte sie 2016 sogar wieder ein bisschen Boden gut machen.
Das führe ich auf verschiedene Effekte zurück. Natürlich auf die harte Arbeit, die in das Format investiert wurde. Man muss aber auch sehen, dass wir das Umfeld verbessern konnten. Die Schiene zwischen 16 und 18 Uhr ist nun stärker. Wir sehen hier eine tolle Quotenentwicklung bei Formaten, die für Qualität stehen. Am «perfekten Dinner» arbeiten wir eigentlich seit über zehn Jahren intensiv und führen immer wieder Mini-Veränderungen ein, um es frisch zu halten. Im März 2017 wird die Sendung elf Jahre alt, wir bereiten dafür gerade ein neues Grafik-Paket und ein paar neue Bilder vor. Ich würde heute sagen, dass wir mit der Sendung noch längere Zeit viel Spaß haben.

Und wir dürfen natürlich dann nicht vergessen über «Kitchen Impossible» zu sprechen…
…das für mich die Entdeckung des Jahres 2016 ist. Die Sendung ist der Hammer. Ich bin auch heute noch total begeistert, wenn ich an die erste Staffel denke. Da kommt der gute, alte Tim Mälzer, mit dem wir früher schon so viel Spaß hatten, zurück und ist reifer, aber nicht weniger außergewöhnlich geworden. Endemol Shine hat die Sendung unfassbar gut umgesetzt und ich freue mich jetzt schon auf die zweite Staffel im Frühjahr.

Worauf freuen Sie sich denn noch im Jahr 2017?
Über Vieles haben wir ja schon gesprochen. Es wird neue Staffeln unserer großen Erfolge «Sing meinen Song», «Die Höhle der Löwen», «Kitchen Impossible», «Club der roten Bänder» und auch «Ewige Helden» geben. Wir werden unseren Montagabend neu gestalten mit frischen Geschichten von «Goodbye Deutschland». Und wir haben ein ganz neues Format, das «The Story of my Life» heißt: Désirée Nosbusch moderiert, Talpa produziert. Wir sprechen darin mit Paaren, die wir im Verlauf der Sendung mit einem versierten Maskenbildner um Jahrzehnte älter machen. Und schon sind wir bei einem sehr emotionalen Punkt einer jeden Beziehung: Dem gemeinsamen Älterwerden. Die Sendung ist absolut außergewöhnlich und wird von Désirée Nosbusch mit einer besonderen Note präsentiert.

Jetzt haben wir fast nur über Tops des Jahres bei VOX gesprochen. Angesichts des Erfolgs des Senders ist das absolut gerechtfertigt.
Wissen Sie, ich spreche genauso gerne über Sendungen, die nicht so gut geklappt haben. Das haben wir dieses Jahr bei VOX auch erlebt, denn es gehört einfach zum Geschäft. Es gibt ja immer das Bild, dass das Arbeiten an Mega-Erfolgen deutlich mehr Spaß macht. Aber das stimmt gar nicht. Ich arbeite genauso gerne an schwächeren Formaten – auch das sind alles Babys von uns.

Danke für das Interview und frohe Weihnachten.
21.12.2016 12:15 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/90098