«Deutschland tanzt»: Bundesvision Dance Contest?

«BuViSoCo» meets «Let’s Dance»? ProSiebens neuestes Tanzformat «Deutschland tanzt» verkeilt sich zwischen ernsthaftem Wettbewerb und Promi-Unterhaltung - und lässt dadurch an Spannung und Konsequenz missen.

Es klingt wie eine Mischung aus «Bundesvision Song Contest» und «Let’s Dance»: in «Deutschland tanzt» treten 16 mehr oder weniger prominente Teilnehmer für ihr Bundesland an und wetteifern um die Gunst der Zuschauer, die in klassischer ESC-Manier im besten Falle zwölf Punkte vergeben. Die zwölf Länder mit den meisten Punkten ziehen ins Halbfinale am kommenden Samstag ein – eine Woche später findet schon das Finale statt. Doch so interessant sich das Konzept im ersten Moment auch anhören mag: bei diesem «Bundesvision Dance Contest» – BuViDaCo, wenn Sie so wollen – krankte es an vielen Stellen.

Der Wettbewerbscharakter, der Dreh- und Angelpunkt dieser Konzeptidee, verwischt durch die Teilnahme von Laien, was es beim «BuViSoCo» nicht gegeben hätte. So mögen Auftritte wie die von „Supergeil“-Schauspieler Friedrich Liechtenstein oder Oliver Pocher als Donald Trump verkleidet durchaus Unterhaltungswert haben, jedoch fehlt ihnen die nötige Qualität und Professionalität für „Deutschlands größten Tanzwettbewerb“, wie ProSieben die Show ankündigte. Bei «Let’s Dance» kann man im Gegensatz zu «Deutschland tanzt» zumindest eine professionell begleitete, qualitative Entwicklung der prominenten Amateure über Wochen hinweg beobachten, woraus sich ein beachtlicher Teil des Charmes der RTL-Tanzshow speist. So fehlt in beiderlei Hinsicht der entscheidende Schritt, um «Deutschland tanzt» die nötige Spannung zu verleihen. Vor allem eine klare Linie hätte der Show gut getan: entweder Profis oder D-Promis – professioneller Wettbewerb oder seichte Samstagabend-Unterhaltung.

Kapitän Wolfgang Lippert tanzt Hip-Hop


Insgesamt muss man den Kandidaten jedoch zugestehen, dass ihre Auftritte überwiegend ordentlich bis gut waren – vor allem angesichts der Tatsache, dass das Teilnehmerfeld hauptsächlich aus Laien bestand. Doch die Lücke zu den Profis war deutlich zu erkennen. Unter anderem stahl die gehörlose Kassandra Wedel den D-Promis die Show – die Weltmeisterin im Hip-Hop (2012) legte einen hervorragenden Auftritt für Bayern hin. Doch auch das Schmunzeln konnte man sich zwischenzeitlich nicht verkneifen – Wolfgang Lippert und sein Hip-Hop-Tanz in Kapitäns-Outfit zur Musik von Jan Delay lassen grüßen. Letztlich wirkte die Reihenfolge der Auftritte allerdings eiskalt berechnend – die aus Quotensicht wohl interessantesten Teilnehmer mussten erst ganz zum Schluss ran. Vor jedem Werbeblock wurde mit größter Präzision darauf hingewiesen, dass Oliver Pocher ja noch auftreten werde. Diese Aufgabe durfte Lena Gercke übernehmen. Auf dem Papier war sie zwar als Moderatorin der Show ausgewiesen, doch zumeist beschränkte sich ihr Beitrag zur Show auf die Betonung der tollen Stimmung im Studio – von der „Tanzparty des Jahres“ war man aber weit entfernt.

Daneben war Komiker Ingmar Stadelmann für den eingerichteten Green Room zuständig und interviewte die Kandidaten nach ihren Auftritten. Hinzu kam ein Expertenteam, bestehend aus Roman Frieling und Nikeata Thompson, die wie Kommentatoren über dem Publikum saßen und die gesehenen Auftritte einordnen sollten. Allerdings machten die beiden Profi-Tänzer dabei kaum stilistische Anmerkungen, sondern spulten in aller Regel kritiklos eine Reihe von Lobeshymnen herunter und waren von einer kritischen Jury im Stile von «Let's Dance» weit entfernt. „Ich war richtig getouched!“ „Hammermäßig!“ Oder der geistreichste Kommentar des Abends: „Bäääm!“ Drastischere Kritik als „Technisch bist du noch nicht da, wo du sein könntest“ gab es nicht. Wo ist Joachim Llambi, wenn man ihn braucht?

Tolles Ambiente, ermüdende Einspieler


Dafür beeindruckten aber vor allem die Bühnenbilder im Laufe des Abends – von Nebelschwaden in nächtlichen Häuserschluchten bis hin zu getrennten Berliner Wohnungen vor der Wende. Von der Produktionsfirma Seapoint ist man eine solche Qualität mittlerweile gewohnt: wie schon bei «Let’s Dance» ist das Produktionsniveau von «Deutschland tanzt» hoch, die Kostüme sind stilvoll, die Musik ist jedem bekannt und passt stets zum dargebotenen Tanz – sei es Macklemores „Can’t Hold Us“ oder Tina Turners „Goldeneye“.

Doch so sehr das Ambiente auch gestimmt haben mag: für eine Tanzshow wird in «Deutschland tanzt» bemerkenswert wenig getanzt. 1 Minute und 40 Sekunden pro Auftritt, das ist definitiv zu wenig: kaum ist man als Zuschauer von einem Tanz fasziniert, ist die Zeit auch schon wieder rum. Nun gut, es gibt 16 Teilnehmer, die alle in eine Sendung gepackt werden möchten. Doch angesichts überlanger Einspieler fragt man sich schon, warum das zentralste Element einer Tanzshow derart marginalisiert wird. Der Mehrwert dieser kleinen Filmchen, in denen die Kandidaten in Homestory-Manier ihr Bundesland vorstellen, ist darüber hinaus zweifelhaft. „Wenn man in Hamburg ist, muss man Fischbrötchen essen!“ Danke für diesen Geheimtipp.

Spannung war aufgrund des fehlenden Wettbewerbscharakters von «Deutschland tanzt» letztlich eher Mangelware. Als Zuschauer begegnete man der Punktevergabe am Ende der Show beinahe mit einer desinteressierten Indifferenz und einem Quäntchen Fremdscham angesichts der Schalten in die einzelnen Bundesländer, die von angetrunkenen Party-Gästen begleitet wurden. (Der Preis für die beste Location des Abends: die größte begehbare Bratwurst der Welt in Thüringen.) Die Wahl zwischen passablen D-Promis und einzelnen professionellen Tänzern blieb nichtsdestotrotz etwas paradox und am Ende verwies Oliver Pocher die gehörlose Tänzerin aus Bayern im Televoting auf Platz zwei. Aber es geht nicht immer um den Sieg – oder wie Friedrich Liechtenstein es nach seinem Auftritt ausdrückte: „Gewinnen ist etwas für Leute, die noch nie gewonnen haben.“

Das Halbfinale von «Deutschland tanzt» läuft am 19. November um 20.15 Uhr bei ProSieben. Das Finale kommt eine Woche später.
13.11.2016 00:35 Uhr  •  Robert Meyer Kurz-URL: qmde.de/89322