Popcorn und Rollenwechsel: Der schwammige Leitfaden namens Genre

Anders als der Plot kann das Genre einen Film sinnvoll beschreiben. Aber auch Genrelabels haben ihre Grenzen.

Kürzlich habe ich an dieser Stelle darüber geklagt, dass viel zu oft nach dem Plot eines Films gefragt wird. Da stellt sich die Gegenfrage, mit welchem Mittel Filme gegenüber Nichtkennerinnen und Nichtkennern beschrieben werden sollten. Schließlich sollte es jeder Person vergönnt sein, einen Eindruck von einem ungesehenen Film zu erhalten. Und da ist der Plot ja meiner Aussage nach ja wenig hilfreich.

„Dann nehmen wir halt das Genre zur Hand!“, werden manche nun vielleicht in Gedanken aufschreien. Und damit stünden sie gar nicht einmal so falsch. Zumindest in vielen Fällen. «Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug» ist zweifelsohne eine Komödie, ebenso «Ein seltsames Paar» und «Hangover». Sie als solche zu bezeichnen ist akkurat, und so können Zeitgenossen, denen der Sinn nach amüsanten Filmen steht, die einem zum Lachen bringen, eben diese Produktionen in Erwägung ziehen. «Casablanca», «Vom Winde verweht», «Pretty Woman», «Titanic», all diese Filme können durchaus als Romanzen bezeichnet werden, so dass jeder weiß: „Oha, hier wird es romantisch!“ Und wer sich in der Videothek oder bei Netflix unter der Genrekategorie Actionfilm an «Transporter», «Con Air», «Stirb langsam» oder «Speed» bedient, erhält genau das, was zu erwarten steht.

Allerdings darf niemals, niemals, nie in Vergessenheit geraten, dass Genrebezeichnungen nur eine Hilfestellung sind, um Filme zu kategorisieren. Genres mögen kurz und knackig und übersichtlich einen groben, ersten Eindruck von damit etikettierten Filmen verschaffen. Doch ein klassisches Genrelabel ist letztlich nur ein Stützrad. So ist «Hangover» eine deutlich lautere, wildere Komödie als «Ein seltsames Paar», und «Con Air» ist wesentlich gewalthaltiger als «Transporter». In anderen Genres geht die Spannbreite sogar über „hart oder zart“ hinaus: «Tron» ist als sehr spekulativer Film, der das Innenleben eines Computers visualisiert, von einem ganz anderen Schlag Science Fiction als der Fragen über das Menschsein und Geschlechterbilder stellende «Ex_Machina». Und dann gibt es den gleichermaßen nachdenklichen wie warnenden und drogentripartigen «2001: Odyssee im Weltraum».

Und was ist mit Western? Sie sind klar als Filme definiert, die in der US-amerikanischen Wüste spielen. Es ist ein Genre, das klare, ikonische Bilder hervorruft. Doch sie können so unterschiedlich sein. Optimistisch wie viele John-Ford-Western. Brutal und pessimistisch wie die meisten Sergio-Leone-Western. Und es werden angesichts der klaren Vorstellungen, die wir von Western haben, andere Fragen wach: Können Filme, die im Heute spielen, Western sein? Was, wenn ein Film 1:1 wie ein Western aussieht und mit der genretypischen Langsamkeit erzählt wird, aber in einer afrikanischen Wüste spielt? Wie viel Western-DNA macht einen ganz anders gearteten Film zu einem Western? Quentin Tarantino zumindest erachtet «Inglourious Basterds» als im Europa des Zweiten Weltkriegs spielenden Spaghettiwestern und Gore Verbinski sieht «Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt» als Piratenwestern. Spinnen die zwei Herren oder sollten wir Genres so lose definieren, um mehr Flexibilität für unsere stetig wachsende Filmwelt zu erlauben?

Ich tendiere zu letzterem, denn starre Genrevorstellungen führen zu starren, einen selbst einschränkenden Sehgewohnheiten. So kenne ich Leute, die sich partout gegen Superheldenfilme stellen, weil sie sich nicht für optimistische Actiongeschichten interessieren, die von übernatürlichen Helden handeln, die immer wieder im Kampf gegen böse übernatürliche Menschen den Tag retten. Ihnen beizubringen, dass «The Dark Knight» ganz anders ist als «Spider-Man», ist angesichts der Popularität des Nolan Superheldenthrillers noch machbar. Dass «Guardians of the Galaxy» eher an «Star Wars» als an «Superman» erinnert oder dass «Deadpool» eine Eigenparodie ist, «Iron Man 3» jedem Fan von Filmen wie «Lethal Weapon» ein glückliches Grinsen entlocken dürfte und «V wie Vendetta» eher ein dystopisches Thrillerdrama ist? Klappt alles nicht, weil sie alle irgendwo als Superheldenfilm bezeichnet werden und das ja alles derselbe Kram sei.

Also: Ja. Anders als den Plot finde ich das Genre ganz fein, um einen Film zu beschreiben. Man muss diese Hilfestellung nur tolldreist genug verwenden. Und neben Actionfilmen wie «The Rock» auch schwarzhumorige Thrillerdramen wie «Gone Girl – Das perfekte Opfer», surreal-philosophische Tragikomödien wie «Being John Malkovich», Science-Fiction-Actionthriller-Heist-Movies wie «Inception» und Cyberpunk-Horror-Gothicmusicals wie «Repo! The Genetic Opera» anerkennen.
24.10.2016 14:25 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/88910