Die glorreichen 6: Horror aus deutschen Landen (Teil IV)

Schaurig oder brutal. Makaber oder bitterböse. Dunkelromantisch oder fies exzessiv. Aber auf jeden Fall deutsch: Wir reisen querbeet durch die hiesige Horror-Filmwelt. Weiter geht es mit dem Cyberhorror «Unfriend».

Die Handlung


Filmfacts «Unfriend»

  • Regie: Simon Verhoeven
  • Drehbuch: Matthew Ballen, Philip Koch, Simon Verhoeven
  • Produktion: Quirin Berg, Max Wiedemann
  • Darsteller: Alycia Debnam-Carey, Brit Morgan, William Moseley, Connor Paolo, Brooke Markham, Sean Marquette, Liesl Ahlers
  • Musik: Martin Todsharow
  • Kamera: Jo Heim
  • Schnitt: Denis Bachter, Tom Seil
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Laufzeit: 92 Min.
  • FSK: 16
Die beliebte Studentin Laura (Alycia Debnam-Carey) genießt das College-Leben, das sie gern auch mit ihren über 800 Freunden auf Facebook teilt. Aber als sie eines Tages die mysteriöse Freundschaftsanfrage der Außenseiterin Marina (Liesl Ahlers) annimmt, gerät sie in den Bann eines schrecklichen Fluchs: Lauras engste Freunde sterben auf grausame Weise. Ihr selbst bleiben nur wenige Tage Zeit, um das Rätsel des geheimnisvollen Mädchens und ihres Facebookprofils zu lösen und den tödlichen Bann zu brechen.

Was für ein Horror?


Den Grundstein für den sogenannten multimedialen Horror legte einst der Japaner Hideo Nakato, als er für seinen später als «Ring» von Gore Verbinski zu einem waschechten Genre-Meisterstück neu aufgelegten «Ringu» eine Videokassette nutzte, um das Grauen über den Fernseher zu transportieren. Es folgten einige weniger bekannte Produktionen wie etwa «Stay Alive»; hier fungierte ein Computerspiel als Portal für Tod und Terror. Gleichzeitig begannen Filmemacher, das gruselige Potenzial in der Online-Kommunikation zu entdecken. «Open Windows» spielte gar seine ganze Laufzeit über auf einem Computerbildschirm, ähnlich verhält es sich bei «Unknown User», dessen Plot sich auf eine Skype-Unterhaltung beschränkte, die nach und nach außer Kontrolle gerät. Auch im deutschen Kino machte man sich diese Thematik zunutze; «Unfriend» ist nicht der erste Film, der dieses Phänomen thematisiert. «Zimmer 205» stellte sich zwar als gelungen heraus, erweist sich aber mit der Verwendung des StudiVZ als nicht besonders zeitlos. Als weiterer kleiner Geheimtipp, der ebenfalls Facebook als unheilbringende Online-Plattform verwendet, erwies sich vor zwei Jahren Michael David Pates Indie-Produktion «Gefällt mir». Als bisher am weitesten hervorstechende Produktion dieses Kalibers erwies sich allerdings der Anfang dieses Jahres veröffentlichte Horrorschocker «Unfriend», der so gar nicht so wirkt, als wäre er tatsächlich ein durch und durch mit deutschen Mitteln finanzierter Kino-Albtraum.



Die 6 glorreichen Aspekte von «Unfriend»


Simon Verhoevens inhaltlich wie visuell faszinierend aufbereitetes Spukstück «Unfriend» ist der erfolgreichste deutsche Horrorfilm seit «Anatomie» im Jahr 2000. Nun möchte man an dieser Stelle natürlich sofort gratulieren, gleichwohl spielt der Schauspieler und Regisseur aber auch ein wenig mit unfairen Mitteln: Der im Original «Friend Request» betitelte Horrorschocker hat nichts mit dem so gern belächelten, deutschen Genrekino zu tun. «Unfriend» sieht mit seinen weitläufigen Hochglanzbildern weder Deutsch aus, noch wurde er überhaupt in deutscher Sprache gedreht, weshalb Skeptiker es möglicherweise gar nicht wahrhaben wollen, dass man es hier eben doch mit einer durch und durch deutschen Produktion zu tun hat.

Uns ist das egal: Wir mögen «Unfriend», ob deutsch aussehend oder nicht, vor allem aufgrund seiner gruseligen Konfrontation von Tod und Internet. Die cineastische Verschmelzung unseres Online-Ichs mit dem Real Life rückt im Besonderen eine Tat in den Mittelpunkt, die, auf das Wesentliche herunter gebrochen, nichts anderes beschreibt als die abrupte Beendigung einer (virtuellen) Freundschaft. Ebenjener moderne Begriff des „Entfreundens“, der erst in den letzten Jahren in unseren Wortschatz übergegangen ist, dient zugleich auch als Titel. Es ist ein Phänomen der Moderne, das mit dafür verantwortlich ist, dass sich die heutige Kommunikation grundlegend verändert hat. Denn früher, da ließ sich ein Kontakt, geschweige denn eine Freundschaft nicht auf Knopfdruck beenden. Mittlerweile besitzt hingegen genau dieser rigorose Schritt das Potenzial dazu, dunkle Abgründe innerhalb der menschlichen Seele offenzulegen.

Gerade im Horrorsegment hat es sich im Laufe der Jahre eingebürgert, Figuren lediglich am Reißbrett zu entwerfen. Die Charaktere reichen selten über altbewährte Modelle hinaus: Da gibt es den Gelehrten, den Athleten, die Hure, den Narren und die Jungfrau, die wiederum in den meisten Fällen zum Final Girl avanciert. In «Unfriend» sieht das Ganze ein wenig anders aus. Das Skript (Matthew Ballen, Philip Koch, Simon Verhoeven) zeichnet die Protagonisten-Clique als Querschnitt durchschnittlicher College-Studenten und verzichtet dabei auf die Verwendung von Stereotypen. Sämtliche Figuren sind mit einer angenehmen Bodenhaftung ausgestattet, besitzen weder Modelmaße noch karikatureske Spleens. Stattdessen zeichnen die Autoren sie als echte Typen, deren Eigenheiten nicht aufgesetzt wirken und der Story obendrein Würze verleihen. Dies erstreckt sich auch auf die Zeichnung der geheimnisvollen Marina, deren Attitüde trotz Vorliebe für okkulte Themen nie in eine abgehobene Richtung abdriftet. Sämtliche Figuren in «Unfriend» haben somit jene Seele, die es braucht, um mit ihnen mitzufiebern. Dass sie obendrein von Schauspielern zum Leben erweckt werden, mit denen nur eingefleischte Fans bereits in Berührung kamen, kommt der Authentizität ebenfalls zugute.

«Unfriend» ist ein mit viel Fingerspitzengefühl inszenierter Balanceakt zwischen einer durch und durch aktuellen Thematik sowie der Besinnung auf klassisch okkulte Elemente. Letztere seien aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nur marginal umrissen, denn als hauptsächliches Alleinstellungsmerkmal erweist sich im Film ohnehin der Umgang mit den modernen Komunikationsmedien. Ohne Effekthascherei zu betreiben – die Einblendung von Lauras langsam schwindenden Facebook-Freunden erweckt zum Beispiel nie den Eindruck eines nahenden Super-GAUs, sondern stellt lediglich den Zusammenhang zwischen den Geschehnissen im Real Life und denen im World Wide Web dar – nutzt Simon Verhoeven das Internet zur Verbreitung des Schreckens wie einst Hideo Nakato respektive Gore Verbinski das Videoband in «Ringu» / «Ring». Besonders auf visueller Ebene gelingt Kameramann Jo Heim («Männerherzen») und einem Trio aus Cuttern die hervorragende Verschmelzung aus einer überhöht-eleganten Schwarz/Weiß-Stilistik und der unverfälschten und mitunter von der Technik geprägten Realität, was zu jenen Motiven passt, mit welchen Verhoeven das Social-Media-Thema gewitzt auf okkulte Ereignisse überträgt, die mit Online-Stalking mehr gemeinsam haben, als man es ihnen bisweilen zutrauen möchte.

«Unfriend» ist ein wirklich feiner Horrorfilm, der ein Thema beleuchtet, das uns alle angeht. Die unendlichen Weiten des Internets könnten gruseliger nicht sein – vermutlich hätte sich das kultige Brunnenmädchen Samara heute genau so ihren Weg in unser Leben gebahnt. Absolut sehenswert!

«Unfriend» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich, sowie bei Maxdome, iTunes, Wuaki, Google Play, Videobuster, Videoload, Videociety, JUKE, Sony und CHILI als Stream verfügbar.
23.10.2016 11:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/88898