Popcorn und Rollenwechsel: Wie Donald Duck mich lehrte, einfach mal locker zu bleiben

Er ist der König der Wüteriche - und zugleich ein wunderbarer Lehrmeister, wie man zu einem entspannten Fan wird: Nerds, Geeks und Popkulturvernarrte, richtet euch nach Donald Duck!

Wenn sich die popkulturelle Debatte durch irgendeinen Begriff zusammenfassen lässt, dann durch 'zornig'. Ganz gleich ob digital oder im realen Alltag. So ist die Entscheidung des Disney-Konzerns, das frühere «Star Wars» Expanded Universe als 'Legenden' ohne Einfluss auf den Kanon dieses Franchises abzustempeln schon Jahre her – und noch immer begegnen mir Menschen, die deswegen so stinkwütend sind, als hätte ihnen Lucasfilm-Chefin Kathleen Kennedy erst gestern höchstpersönlich die Autoreifen zerstochen. Ebenso gilt J. J. Abrams unter einigen «Star Trek»-Fans noch immer als der Teufel in Person, denn er hat ja den alten Zeitstrang gelöscht (hat er nicht, aber Wut geht ja vor Vernunft). Und so weiter: „Wieso kommt eine neue «Blair Witch Project»-Fortsetzung, ich will das nicht, verdammt!“ „Michael Bay zerstört meine «Transformers»-Kindheitserinnerungen!“ „Ihr dürft die «Jump Street»-Filme nicht mögen, die beleidigen mich als Fan der «21 Jump Street»-Originalserie bis aufs Mark!“ „Wenn das Gerücht stimmt, dass die neue Mary-Jane in den «Spider-Man»-Filmen eine Afro-Amerikanerin ist, dann schau ich das nicht! Die Figur muss eine weiße Rothaarige sein! Das war schon immer so!“

Immer, wenn eine Neuauflage angekündigt wird, eine Kanonneuausrichtung oder ein stilistisches Reboot, ist das Geschrei groß. Und oft, zugegebenermaßen nicht immer, stehe ich daneben. Und zucke mit den Schultern. Natürlich gefallen mir nicht alle Richtungswechsel oder Neuauflagen. Aber sie missfallen mir dann aufgrund dessen, dass ich sie nicht gelungen umgesetzt finde. Ich klage selten mit dem Hintergedanken „Das ist nicht das, was vorher war!“ Ich will mich hier keineswegs als den gelassenen Heiligen aufspielen. Ich bin schlicht durch die harte Schule der Abwechslung gegangen. Ich habe Jahrzehnte lang gelernt, dass unsere popkulturellen Schätze neu interpretiert, durcheinandergewirbelt, mit verschiedenen Schwerpunkten umgesetzt und wechselnden Handlungskontinuitäten versehen werden können. Und dass sie für mich dadurch nicht an Wert verlieren, sondern meist sogar an Reiz gewinnen.

Gelernt habe ich diese Lektion ausgerechnet durch jemanden, der gemeinhin als Wüterich bekannt ist: Donald Duck. Normalerweise bezeichnen wir Fans diesen vom Unglück verfolgten Erpel ja als einzigartig und unvergleichlich. Aber sind wir kurz ehrlich: Einmalig ist Donald nicht. Es gibt ihn mehrfach. Und ich bin in großer Selbstverständlichkeit damit aufgewachsen.

Ein Erpel, viele Facetten


In Cartoons wird wiederholt auf Donalds nuschelig-heisere Stimme verwiesen, diverse seiner Zeitgenossen behaupten, ihn schwer zu verstehen. In den Comics spielt Donalds Stimme praktisch niemals eine Rolle. Mehr noch: Man sollte denken, dass jemand mit Donalds Zeterorgan auch in Verkleidung problemlos zu erkennen ist – doch kaum trägt er andere Kleidung und eine dünne, schwarze Augenmaske, kann ihn niemand als Donald Duck identifizieren, egal, wie viel er daherredet. In vielen italienischen Comics wird Oma Duck als Schwester von Donalds fantastilliardenschwerem Onkel Dagobert bezeichnet – unter anderem beim Amerikaner Don Rosa gilt Oma Duck dagegen als Mutter von Donalds Vater. Und was ist mit Donalds Haustier, einem behäbigen Bernhardiner namens Bolivar, der bei vielen Autoren gar nicht zu existieren scheint, und bei anderen stattdessen eine Katze namens Schnurrli ist?

Dass Donald ein Zeitgenosse ist, der schon Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Jobs hatte, da sind sich praktisch alle einig. Doch was ist sein Standardberuf, seine 08/15-Alltagsbeschäftigung, wenn er sich gerade mal nicht in einer neuen Profession versucht? Je nach Publikation, die der geneigte Comicliebhaber in die Hand nimmt, ist Donald im Normalfall Münzpolierer bei Dagobert Duck oder Fließbandarbeiter in einer Margarinefabrik. Der mit Donald befreundete Ingenieur und Erfinder Daniel Düsentrieb ist im 'Lustigen Taschenbuch' zumeist ein Blondschopf – in den Heftchen mit Magazinformat wiederum regulär ein Rotschopf. Es gibt Donald-Comics, die sich primär um Missgeschicke im Alltag drehen. Es gibt große, abenteuerliche Schatzreisen. Abgedrehten Science-Fiction-Spaß. Alberne, kleine Superheldengeschichten mit Donalds Geheimidentität Phantomias – ebenso wie actionreiche und anspruchsvolle Superheldenepen voller Dramatik. Und das, wo Donald in den Cartoons doch zumeist schon bei den einfachsten Aufgaben an seinem Ungeschick und seiner überschaubaren Geduld scheitert. Ist Donald also nun vollauf ein Erpel wie du und ich – oder ein Erpel wie du und ich, der besondere Dinge erlebt?

Und wenn Donald doch seit Jahrzehnten unsterblich in Daisy Duck verliebt ist – diverse Comics behaupten sogar, sie seien seit frühen Schultagen ein Paar – wie erklärt sich dann seine Schürzenjagd im Kinofilm «Drei Caballeros», seine Zuneigung zur außerirdischen Prinzessin Marbella und seine Phase als Frauenheld in brasilianischen Comicgeschichten? Selbst Duck-Meister Carl Barks hielt sich nicht konsequent an das, was er sich so ausgedacht hat – oder wie oft habt ihr von Dagobert Ducks magischer Sanduhr gehört?

Wütender Erpel, ausgeglichene Haltung


Durch den innigen Konsum zahlloser grandioser und auch so mancher schwacher Entengeschichten habe ich mir eine Grundgelassenheit antrainiert. Die Italiener deuten Donald anders als die Dänen, die ihn anders als die Amerikaner verstehen, die ihn anders als die Niederländer sehen. In Cartoons wird er von einer anderen Seite gezeigt als in Comics, kürzere Comics wirken ganz anders als längere.

Einige grundlegende, wiederkehrende Elemente gibt es überall – ansonsten ist Donald ein komplexes, faszinierendes Prisma, das aus jedem Blickwinkel anders schillert. Manche Perspektiven auf Donald sagen mir mehr zu als andere – natürlich äußere ich Frust über so anspruchslose, nur auf Vorschulkinder geeichte Produktionen wie «Micky Maus Wunderhaus». Nicht zuletzt, weil sie schlecht gemacht sind! Aber ich deklariere Donald daher nicht als für mich gestorben. Ich habe ja noch die ganzen anderen Versionen Donalds.

Und wieso sollten wir diese Entspanntheit auf Donald Duck begrenzen? Wer nach «Die sieben Samurai» und John Sturges' «Die glorreichen Sieben» gesättigt ist, kann Antoine Fuquas «Die glorreichen Sieben» ignorieren, statt eine Hetzkampagne zu starten, dass drei solcher Filme einer zu viel sind. Wenn Mary-Jane im neuen «Spider-Man» anders aussieht als bisher, dann ist dem halt so. Die Performance und das Skript, darauf kommt es an. Wenn mir die «Star Wars»-Animationsserien zu superbunt sind oder ich vom Vorurteil befallen werde, Trickformate seien immer betont kinderfreundlich – wer zwingt mich dann, die Animationsserien zu sehen? Und wenn ich Kindergarten-Donald misslungen finde, nutze ich meine Zeit halt, um lieber ein 'LTB Premium' zu lesen, in dem der tollste Erpel der Weltgeschichte auf findige sowie hochspannende Art Zeitreisende und Außerirdische bekämpft.
19.09.2016 19:52 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/88199