Pro und Contra: Sollte der neue Homer-Sprecher Norbert Gastell imitieren?

In rund zwei Wochen startet bei ProSieben die neue «Simpsons»-Staffel, die aufgrund von Norbert Gastells Ableben eine neue Homer-Stimme einführen muss. Sollte Gastells Nachfolger versuchen, seinen grandiosen Vorgänger so gut wie möglich zu imitieren?

Quotenübersicht der «Simpsons»

  • 23. Staffel: 6,14 Millionen
  • 24. Staffel: 5,41 Millionen
  • 25. Staffel: 5,01 Millionen
  • 26. Staffel: 4,80 Millionen
  • 27. Staffel: 4,07 Millionen
Durchschnittswerte der letzten fünf Staffeln bei der linearen TV-Ausstrahlung in den USA
Pro von Antje Wessels
Wo endet die Orientierung, eventuell gar die Hommage an die alte Stimme und wo beginnt die Neuinterpretation einer Rolle? Das beste Beispiel dafür, dass diese Unterscheidung gar nicht immer genau gemacht werden kann, ist bereits seit einiger Zeit innerhalb der «Simpsons»-Reihe zu hören. Im Falle von Marge Simpson, die jahrelang von Elisabeth Volkmann synchronisiert wurde und nach seit Ableben von Anke Engelke gesprochen wird, war es ein schleichender Prozess für die Vorzeigekomikerin, sich mit ihrer Rolle so zu arrangieren, bis auch eingefleischte Liebhaber der Reihe irgendwann mit ihr warm wurden. Das Rezept: Eine authentische Mischung zwischen der Berufung auf Volkmanns Duktus und neuen Ideen Engelkes, wie sie die Rolle zu ihrer eigenen macht. Auch die Figur des Homer Simpson erfordert jetzt leider eine Umbesetzung. Der bis heute noch unter Verschluss gehaltene Synchronsprecher tritt deshalb ein solche schweres Erbe an, weil er fortan einer Figur seine Stimme leiht, die charakterlich über Jahre lang von Norbert Gastell geformt wurde.

Insbesondere eine Zeichentrickfigur ist stark davon abhängig, wie Stimme und Charakter zu einer Einheit verschmelzen. Sich jetzt als Neuling vollständig vom Duktus Gastells wegzubewegen, könnte darauf hinaus laufen, die Kontinuität innerhalb der Serie zu gefährden. Die Folge: ein Bruch, der bei der neuen Stimme von Homer Simpson anfängt und sich unterbewusst auf viele andere Faktoren der Serie auswirken könnte. Der neue Stammsprecher des beliebten Springfield-Bewohners darf die Arbeit Gastells also nicht einfach unbeachtet lassen. Sollte auch er später zu dem Schluss kommen, die Figur des Homer Simpson einen Tick anders auslegen zu wollen, sollte er sich ebenfalls die Arbeit von Kollegin Engelke zum Vorbild nehmen und diesen Wandel langsam vollziehen. Sich jetzt brachial an eine Neuinterpretation Homer Simpsons zu wagen, könnte nur dann funktionieren, wenn diese spürbar besser wäre, als das "Original"; dafür hat Gastell aber einfach schon zu viel Kultstatus, um sich den Rang als Homers Idealbesetzung von heute auf morgen ablaufen zu lassen.

Contra von Sidney Schering
Über 25 Jahre begleiten uns die «Simpsons» bereits, und es vergeht seit langer, langer Zeit kein Tag, an dem nicht mindestens zwei Episoden der Kultserie das ProSieben-Programm unterhaltsamer gestalten. Die Stimmen der «Simpsons»-Synchronsprecher haben sich somit fest ins Gehör zahlreicher Fernsehfreunde gebrannt – insbesondere die Stimmen der titelgebenden Chaosfamilie. Die Konsequenz dessen: Jede Änderung, und sei sie noch so klein, fällt auf. Diese Omnipräsenz der «Simpsons»-Stimmen spricht klar gegen einen Imitationsversuch.

Denn wenn sich Gastells Nachfolger darin übt, dessen Timbre nachzuahmen, so werden Fans trotzdem weiterhin überdeutlich raushören: „Nein, das ist nicht Homer, wie ich ihn kenne.“ Etwas nachzumachen und dabei im Detail zu scheitern, ist gerade in solchen Fällen, wo das Original überaus bekannt ist, eine größere Schande, als etwas zu versuchen, und dafür etwas Anlauf zu brauchen. Denn dies ist unvermeidlich: Es wird eine Eingewöhnungszeit benötigen, sowohl für das Publikum als auch für den Sprecher. Aber im Falle einer guten, natürlichen Performance wird es dennoch irgendwann nicht mehr fremd wirken. So wie einst bei der Umbesetzung der deutschen Marge-Simpson-Stimme:

Nach Elisabeth Volkmanns Tod glaubten viele, die «Simpsons» könnten auf Deutsch nicht mehr funktionieren – erst recht nicht mit Anke Engelke als Nachfolgerin der beliebten Komikerin. Aber Engelke versuchte gar nicht erst, Volkmann 1:1 zu imitieren. Stattdessen schuf sie sich eine Nische zwischen der dunkel-kratzigen Volkmann-Marge und der kieksend-kratzenden US-Marge mit der Stimme Julie Kavners. In den ersten paar Folgen war Engelke noch der Versuch, einen Spagat zu begehen, anzuhören, doch alsbald fand sie den richtigen Ton für eine neue, aber bekannt wirkende Marge. So sollte sich auch Homer künftig anhören – statt nach einem „da versucht wer verzweifelt, Gastell nachzumachen“.
16.08.2016 16:00 Uhr  •  Sidney Schering und Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/87489