«Cape Town» - Stadt ohne Identität

Die Produzentin Annette Reeker wagt sich mit dem liebsten deutschen Genre, dem Krimi, hinaus in die Welt und kommt damit bis ins südafrikanische Kapstadt.

Deutsche TV-Macher strecken ihre Hände immer weiter in die Welt hinaus: Die prestigeträchtige UFA-Spionageserie «Deutschland 83» feiert internationale Erfolge, die Stuttgarter Effektschmiede Mackevision kümmert sich um die Animationseffekte einer kleinen, recht populären Serie namens «Game of Thrones» - die TV-Welt wird immer kleiner, die Möglichkeiten immer größer. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch viele deutsche TV-Produzenten über die geografischen und erzählerischen deutschen Grenzen hinaus träumen.

Unabhängiger Krimi-Export


Einer dieser Hoffnungsträger soll die Mini-Krimiserie «Cape Town» sein, ein Leidenschaftsprojekt der Produzentin Annette Reeker und ihrer Produktionsfirma all-in-productions. Diese arbeitet schon seit 1991 im Fernsehgeschäft, zuvor war sie als Journalistin für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio tätig - und produzierte fürs Fernsehen bereits für die beiden Genres, die vor allem in Deutschland höchst beliebt sind: Comedy («Switch», «Alles außer Sex») und natürlich Krimi («Der Taunus-Krimi»). Kein Wunder, dass sie also eines dieser liebsten deutschen Genres auch ins Ausland exportieren wollte. Dieses Unterfangen gestaltete sich allerdings nicht ganz so einfach.

Ausgewählt hat sie sich dafür die Adaption des Romans eines der erfolgreichsten südafrikanischen Thrillerautoren Deon Meyer namens «Der traurige Polizist». Ein Autor, der einen Faible für gebrochene und fehlerbelastete Figuren hat: alkoholsüchtige und depressive Polizisten, Ex-Killer und Bodyguards - Archetypen, die genau in die heutige Fernsehwelt passen, die allerdings auch so alt sind wie das Genre selbst. Reeker hatte bereits die TV-Rechte inne und eine beachtliche Summe aus privaten Finanzierungen zusammengetragen. Trotz dieser Voraussetzungen und der beliebten und zeitlosen erzählerischen Versatzstücke konnte sie Programmverantwortliche und Filmförderer nicht für ihr Vorhaben begeistern. Wahrscheinlich unter großer Anstrengung nahm sie das Heft selbst in die Hand und besorgte sich das gesamte Budget bei privaten Investoren - insgesamt sechs Millionen Euro für sechs Episoden.

Autark arbeitete Reeker weiter: So schrieb sie die Drehbücher selbst, nachdem sie mit den Arbeiten anderer Autoren unzufrieden war, ließ sie aber von dem britischen Autor Mark Needham ins Englische übersetzen. Frei von jeglichen Einflüsterungen irgendwelcher TV-Sender übernahm sie auch als Showrunnerin das Ruder. Maximale Freiheit, weitestgehend finanzielle Unabhängigkeit, der Traum eines jeden Serienmachers bzw. Serienmacherin und wahrscheinlich ist es auch diesen Umständen zu verdanken, dass die hochkarätige Produktion so reibungslos ablief sowie pünktlich ihren Abschluss fand. Schon allein wegen dieser Geschäftigkeit, Leidenschaft und diesem Fleiß, von dem es mehr und nicht weniger im deutschen Fernsehen geben sollte, gönnt man der Serie sowohl inhaltlichem, damit verbundenem kritischen sowie kommerziellen Erfolg.

Drinking Detective


Bei so viel Eigenständigkeit und Freiheit bleiben der Plot und seine Figuren jedoch recht konventionell: Mat Joubert (Trond Espen Seim) hat sich von einem hochangesehenen Profipolizisten zum Profitrinker entwickelt, der sich nach dem Mord seiner Frau regelmäßig die eigene Dienstwaffe an den eigenen Kopf hält. Seine verstorbene Frau, ebenfalls Polizistin, wurde brutal ermordet, die Umstände nie aufgeklärt, die Täter nie gefunden. Eine Tatsache, die Mat neben der Trauer bis heute verfolgt. Von seinem neuem Vorgesetztem wird er zu Sport, Therapie und einer Diät verdonnert. Zusätzlich setzt er Mat noch einen neuen Partner vor die Nase, den Elite-Polizist Sanctus Snook (Boris Kodjoe). Mit Disziplin, einem schicken, sportlichen Audi und für offensichtliche, dramatische Zwecke ist Snook das genaue Gegenstück zum ranzigen, zynischen Joubert. Außerdem verfolgt er ganz nebenbei seine eigene Agenda und ermittelt selbst im Fall von Jouberts ermordeter Ehefrau.

Zunächst aber müssen sich die beiden zusammen raufen, um andere Mordserien aufzuklären: Ein Serienkiller tötet scheinbar wahllos Männer. Das Kuriosum: Der Täter setzt seinen Opfern Papp-Masken von Prominenten auf. Woanders werden junge Frauen tot, vergewaltigt und unter Drogen gesetzt (nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge) aufgefunden. Taten, die scheinbar unabhängig voneinander stattfinden, aber wie es das Genre verlangt, wahrscheinlich im Laufe der Handlung zusammenfinden werden. Intrigen, düster dreinblickende Gestalten, Parties, an denen junge, angehende Models teilnehmen, von denen einige später tot aufgefunden werden, zynische, selbstmordgefährdete Polizisten - man kennt diese erzählerischen Tropen zur Genüge. Eines der Probleme von «Cape Town» ist, dass ihnen kein frischer Anstrich verliehen wird. Konflikte entstehen hier nicht aus den verschiedenen Charakteren heraus, sondern werden in den Plot gezwungen: Warum etwa ein Polizeichef essentielle Details einer Mordermittlung an Presse und Klatschblätter weitergibt, wird bestenfalls auf lächerliche Weise erklärt. Dumme Chefs gibt es schließlich überall, außerdem sorgen sie für überdramatische Streitereien mit aufmüpfigen Untergebenen.

Ein einzigartiges Setting, das ungenutzt bleibt


Produktionstechnisch gibt man sich sichtlich Mühe, lange Einstellungen und Kamerafahrten, sogenannte tracking shots, können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass gelegentlich gewählte Kamerawinkel und einige verwackelte Nahaufnahmen ungelenk wirken und auf fehlgeleitete, produktionstechnische Entscheidungen hindeuten. Auch darstellerisch versuchen Hauptdarsteller Trond Espen Seim und Boris Kodjoe über die eingeschränkten Grenzen ihrer Charaktere hinauszuwachsen. Man kann nur hoffen, dass sie im Laufe der ersten Staffel auch abseits der bekannten Figurenklischees Raum dafür finden werden. Vieles davon wäre zu verzeihen, ein großes Versäumnis bleibt allerdings zumindest in den ersten beiden Episoden: nämlich dass das Setting Kapstadt quasi ungenutzt links liegen bleibt.

Ein Los Angeles-Krimi spielt unverwechselbar in Los Angeles, ein New York-Krimi unverwechselbar in New York, Alabama-Krimi in Alabama und ein London-Krimi in London. Das Etablieren eines Settings, dessen Menschen, Bewohner, Eigenarten ist in etwa so wichtig für einen interessanten Genrevertreter wie das Verbrechen und die Frage nach dem „Wer hat es getan?“ selbst. Wer sind die Menschen, abseits der zu grobkörnig gezeichneten Polizisten, die in Kapstadt leben? Welche Rolle spielt Kriminalität in ihrem Leben und in dieser Gesellschaft? Welche Beziehung haben sie zu ihrer einzigartigen Geschichte? Gibt es immer noch Rassenanspannungen? Das sind alles Dinge, die durchaus organisch in einen guten Krimi mit einfließen können, sogar essentiell sind, damit er unverwechselbar bleibt. Ein paar etablierende Kameraeinstellungen vom Stadtpanorama, Stadtschluchten aus der Vogelperspektive und Strände bei Sonnenuntergang reichen noch nicht, um die Serie wirklich geografisch und individuell zu verorten. Denn bis auf den südafrikanischen Dialekt, könnte die Geschichte auch in jeder anderen Stadt und in jedem anderen Land spielen, und das ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal.

Vieles davon wirkt sich auch auf die generelle Atmosphäre des Krimis aus, die durch und durch altbacken und europäisch wirkt. Die Frage, warum man die Mühe auf sich genommen hat, um die Produktion nach Südafrika zu verlegen, sollte gestellt werden und die Antwort sollte nicht lauten, weil es die Romanvorlage so vorschreibt. Möglicherweise liegen die Probleme auch im Buch vergraben, dennoch hat eine gute Adaption die Aufgabe, grobkörnige Charakterzeichnungen auszubügeln und Defizite auszugleichen. Versäumnisse, die «Cape Town» in den nächsten Episoden beheben muss. Ansonsten bleibt es ein austauschbarer und nur leidlich solider Krimi.

«Cape Town» startet am Montag, 4. Juli im Pay-TV: 13th Street zeigt ab 21 Uhr eine Doppelfolge.
04.07.2016 10:15 Uhr  •  Stefan Turiak Kurz-URL: qmde.de/86593