Die Kino-Kritiker: «Monsieur Chocolat»

«Ziemlich beste Freunde»-Star Omar Sy brilliert in der traurigen Geschichte des ersten schwarzen Clowns Europas.

Filmfacts «Monsieur Chocolat»

  • Regie: Roschdy Zem
  • Produktion: Éric Altmayer, Nicolas Altmayer
  • Drehbuch: Roschdy Zem, Cyril Gely, Olivier Gorce, Gérard Noiriel; basierend auf dem Sachbuch 'Chocolat, clown nègre. L'histoire oubliée du premier artiste noir de la scène française' von Gérard Noiriel
  • Darsteller: Omar Sy, James Thiérrée, Clotilde Hesme
  • Musik: Gabriel Yared
  • Kamera: Thomas Letellier
  • Schnitt:Monica Coleman
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Man kann «Monsieur Chocolat» simpel zusammenfassen: Es ist ein biografisches Drama über den ersten schwarzen Zirkusclown in Europa. Eine treffendere, genauer hinschauende Zusammenfassung würde aber lauten: „Rafael Padilla und der trügerische Schein der gesellschaftlichen Progression.“ Denn das auf historischen Begebenheiten beruhende, französische Filmdrama zeichnet eine vermeintliche Erfolgsgeschichte, die sich wegen der zermürbenden Wirklichkeit zur Tragödie wandelt.

Frankreich auf der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert: Der einst gefeierte Clown George Footit (James Thiérrée) ist auf der Suche nach einem neuen Engagement – und nach dem Ansatz für eine neue Nummer, die ihn wieder erstrahlen lässt. Eines Abends begegnet Footit in einem kleinen Wanderzirkus einem geborenen Performer, der jedoch in der Rolle des ungezähmten, gefährlichen Kannibalenkönigs verschenkt wird. Footit tritt nach der Vorstellung auf ihn zu und erfährt, dass es sich bei ihm um einen geflohenen Sklaven (Omar Sy) handelt. Footit schlägt vor, dass sie als Clown-Duo die Zirkuswelt revolutionieren. Footit spielt die typische Rolle des gescheiten, etwas verärgerten weißen Clowns. Und aus dem ehemaligen Sklaven wird kurzerhand Chocolat, der erste schwarze Darsteller der archetypischen Clownsfigur des „Dummen August“.

Das ungewöhnliche Gespann sorgt für Aufsehen und wird sogar in den womöglich angesehensten Zirkus Frankreichs geladen, wo es sich alsbald zur Star-Attraktion entwickelt. Doch so viele Lacher sie in der Manege auch einsacken mögen: Hinter den Kulissen haben sich Footit und „Chocolat“ nur wenig zu sagen. Aus den befreundeten Kollegen ihrer Anfangstage werden zwei Menschen, die halt eine arbeitstechnische Zweckgemeinschaft eingehen. „Chocolat“ entscheidet sich für ein Leben in Saus und Braus, während Footit grantig daneben steht und ihn dafür beneidet, dass ihm ein Hauch mehr Aufmerksamkeit zuteil wird …

Eben diese Aufmerksamkeit kommt jedoch zu einem großen Preis. Denn alles, was „Chocolat“ vorgaukelt, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, kommt mit einer bitteren Kehrseite. Immer wieder lassen die Dialogwechsel und (die historischen Fakten teils vereinfachenden oder überspitzenden) Entwicklungen des Geschehens das Lächeln über „Chocolats“ Aufstieg entschwinden. Das für das Skript zuständige Autorenquartett führt wiederholt vor, dass die Fortschritte des Clown-Darstellers praktisch unbedeutend sind: Vom Kannibalenkönig zum Dummen August, denn der Gedanke, dass ein Schwarzer vielleicht die „ernstere“ Clownsrolle übernimmt, der ist ja unmöglich. Das Duo bekommt Werbeverträge, womit „Chocolat“ gewissermaßen zum ersten schwarzen Superstar Europas wird – wenngleich er nur als Lachfigur Wertschätzung erhält. Footit nimmt ihm seinen aggressiven Namen aus seinem ersten Zirkus weg – um ihn Chocolat zu taufen, als wäre das eine nennenswerte Besserung.

Dass „Chocolat“ eigentlich Rafael Padilla heißt, will in dieser von Roschdy Zem routiniert inszenierten Geschichte kaum jemand wissen. Die wenigsten Figuren fragen den von Omar Sy mit Feingespür und Melancholie gespielten Komiker, was er sich wünscht. Doch während über Padilla kaum jemand seiner Zeitgenossen etwa erfahren will, bleibt in diesem Film sein Bühnenpartner außen vor: Zwar wird es thematisiert, dass Footit unglücklich ist und keinen nennenswerten Lebensinhalt hat, erörtert wird dies – abgesehen von einer flüchtigen Andeutung unterdrückter Homosexualität – indes nicht. Somit sind die Szenen, die sich näher mit Footit beschäftigen, dabei aber störrisch an der Oberfläche bleiben, narrativer Ballast. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Padilla rund charakterisiert wird: Sy spielt nicht etwa nur die bloße Opferrolle, sondern darf auch selbstzerstörerische Tendenzen seiner Figur zeigen.

Umso bedauerlicher, dass der wegen der Rückständigkeit der Gesellschaft unvermeidbare, tiefe Fall, der erfolgt, sobald sich Padilla den nötigen Respekt verschaffen will, von Regisseur/Autor Zem und seinen Ko-Autoren praktisch übersprungen wird. Während «Monsieur Chocolat» vor allem zu Beginn viel Laufzeit auf die schlichten, fast schon aggressiv-dummen Clownsnummern jener Zeit aufwendet, hetzt das Drama nach Chocolats großer Stunde zum Ende hin. Der Weg vom Höhe- zum absoluten Tiefpunkt wird ausgelassen und das Publikum schlicht mit dem Resultat konfrontiert. Das hat zwar den leider auch heutzutage noch immer nötigen „Der Gesellschaft aufzeigen, wie intolerant sie ist“-Effekt, beraubt der Titelfigur aber ein gutes Stück des ihr gebührenden Mitleids. Denn zum Schluss bleiben eher Fragen des „Und wie konnte das nun passieren?“ über – anstelle der wichtigeren Frage: „Wo sind Fehler geschehen, aus denen wir lernen können?“

Fazit: «Monsieur Chocolat» ist eine stark gespielte, traurige wahre Geschichte, die leider anfangs zu detailliert und gen Ende zu rasch erzählt wird. Trotzdem ist das Drama dank Omar Sys Performance und des hier dargelegten, zweischneidigen Aufstiegs einer historischen Persönlichkeit mehr Top als Flop.

«Monsieur Chocolat» ist ab dem 19. Mai 2016 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
17.05.2016 16:20 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/85616