Die Kritiker: «Tatort - Narben»

Ein afrikanischer Arzt wird vor einer Kölner Klinik niedergestochen. Täter könnten viele sein. Doch der neue «Tatort» begnügt sich dramaturgisch nicht mit einem reinen Whodunnit. Gut so.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Klaus J. Behrendt als Max Ballauf
Dietmar Bär als Freddy Schenk
Patrick Abozen als Tobias Reisser
Joe Bausch als Dr. Roth
Juliane Köhler als Lydia Rosenberg
Julia Jäger als Dr. Sabine Schmuck
Anne Ratte-Polle als Vivien Wangila

Hinter der Kamera:
Produktion: Bavaria Fernsehproduktion
Drehbuch: Rainer Butt
Regie: Torsten C. Fischer
Kamera: Theo Bierkens
Produzentin: Sonja Goslicki
Als Hans Hoff sich drüben bei DWDL noch jede Woche am «Tatort» abgearbeitet hat, hat er Ballauf und Schenk aus Köln die liebevollen Beinamen Schnarch und Sack verliehen. Das war vielleicht etwas polemisch überspitzt, im Kern aber treffend: Aus der «Tatort»-Stadt Köln gingen schon viele Jahre keine Impulse mehr aus und das Verwalten altbackener Erzählstrukturen und überkommener Stoffe für noch überkommenere Alt-Herren-Krimis wurde langsam aber sicher ein einziges Elend.

Nun keine falschen Erwartungen: Auch ihren neuen Fall, „Narben“, kann man weder innovativ nennen, noch als Ausgangspunkt für neue Impulse ausmachen. Trotzdem ist er, ähnlich wie bereits die letzte Folge, wesentlich besser gelungen als das Standardrepertoire aus verklärend vorgetragenen Kalendersprüchen und Currywurstbudendramaturgie.

Das liegt hauptsächlich am Thema und dem Willen, es zu problematisieren: Vor einer Kölner Klinik wurde ein schwarzer Arzt erstochen, Dr. Patrick Wangila. Er war vor einigen Jahren aus der von langen Bürgerkriegen zerrütteten Demokratischen Republik Kongo als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Die Ärztin Dr. Sabine Schmuck hat damals einen umfangreichen Papierkrieg auf sich genommen, um ihm die Stelle zu verschaffen. Gegenüber Ballauf und Schenk beschreibt sie ihr Verhältnis zu dem getöteten Arzt aber nicht als sonderlich eng.

Verheiratet war Wangila mit der einer deutschen Beraterin. Eine Ehe, die, je länger die Kölner Ermittler nachforschen, nicht sonderlich innig schien. Einzig zu seinem Bruder, der ebenfalls in Köln lebt, schien er ein wirklich enges Verhältnis zu haben. Auch finanziell. Denn seit fünf Jahren landeten jeden Monat eineinhalbtausend Euro auf einem gemeinsam geführten Konto.

Unterdessen erfahren Ballauf und Schenk mehr oder weniger durch Zufall, dass vor wenigen Tagen eine Kongolesin in einer Kölner Asylunterkunft zu Tode gekommen ist. Bei einer Razzia, durchgeführt von einer bis an die Zähne bewaffneten Polizeieinheit, habe sie die Nerven verloren und einen Genickbruch erlitten, als sie bei ihrer Flucht von der Feuertreppe gestürzt sei. Eine andere Kongolesin ist seitdem spurlos verschwunden. Und ausgerechnet der jetzt ermordete Patrick Wangila war damals am Tatort und hat den Totenschein ausgestellt.

Als mögliche Täter kommen viele infrage: Neo-Nazis, die Schwarze abschlachten, wahlweise in Asylbewerberunterkünften oder vor Kliniken. Eine vielleicht vom Corspgeist zersetzte Polizeieinheit, die mit rabiaten Methoden vorgeht. Oder, etwas trivialer: eine eifersüchtige Ehefrau oder eine verschmähte Geliebte, wahrscheinlich aus dem Klinikumfeld.

Schnarch und Sack, äh, Ballauf und Schenk, sind in dieser Folge außerordentlich zurückhaltend mit markigen Kalendersprüchen oder taktlosen Verdächtigungen. Das tut diesen Rollen unheimlich gut. Keine Spur von den früheren Alt-Herren-Versuchen von Pseudo-Coolheit oder miezigen Assistentinnen. Stattdessen: ein relevanter und auch emotional eingängier Fall, hintergründig erzählt, mit zwei nahbaren, rund geschriebenen Ermittlern im Zentrum des Figurenkonstrukts. Sicherlich nicht sonderlich innovativ, aber gut erzählt und überzeugend gespielt.

Ballauf und Schenk dürfen ihre polemischen Beinamen mit dieser Folge getrost ablegen.

Das Erste zeigt «Tatort – Narben» am Sonntag, den 1. Mai um 20.15 Uhr.
30.04.2016 14:34 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/85293