Der Fernsehfriedhof: Böhmermanns ahnungsloser Vorgänger

Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 318: «Rudis Tagesshow», die mit einem satirischen Beitrag vor knapp 30 Jahren versehentlich eine internationale Staatsaffäre auslöste.

Liebe Fernsehgemeinde, derzeit bestimmt die sogenannte „Causa Böhmermann“ das mediale und politische Geschehen in Deutschland und damit die Frage, wie weit Satire im Fernsehen gehen darf. Auslöser für die anhaltenden Diskussionen ist dabei ein satirisches Gedicht des Komikers Jan Böhmermann, durch welches sich der türkische Präsident Erdoğan verunglimpft fühlte und juristische Konsequenzen seitens des deutschen Staates forderte. So sehr der Fall aktuell die Gemüter erregt und zu einem Präzedenzfall für die Unantastbarkeit von Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit erhoben wird, so sehr beweist er, dass sich Geschichte und insbesondere die Mediengeschichte zyklisch bewegt, denn vor rund 30 Jahren ereignete sich ein Vorfall, der bemerkenswerte Parallelen aufwies. Ein Anlass, in dem es ebenfalls um sexuelle Anspielungen und verletztes Ehrgefühl geht – wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Im Jahr 1987 wurde nämlich gegen eine deutsche Sendung der Vorwurf erhoben, sie hätte das damalige Staatsoberhaupt des Irans, Ajatollah Ruhollah Chomeini, durch einen beleidigenden Witz diffamiert.

Eine Nachrichtensatire ohne Biss


Bei der betroffenen Sendung handelte es sich um «Rudis Tagesshow», die erstmals am 12. Oktober 1981 im Gemeinschaftsprogramm der ARD lief und vom holländischen Entertainer Rudi Carrell stammte, der sie auch präsentierte. Das ist insofern überraschend, weil Carrell zuvor nie für seine politische und gesellschaftskritische Haltung aufgefallen war - eher im Gegenteil, bis zu diesem Zeitpunkt hatte er hauptsächlich durch nette Samstagabendshows mit harmlosen und eher platten bis infantilen Witzchen geführt. Ebenso glänzte er nie durch allzu große Originalität und reproduzierte in seinen Nummern stattdessen regelmäßig gängige Klischees ohne sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen.

So verhielt es sich auch mit seinem neuen Format, das obwohl es sich als Nachrichtensatire tarnte und Carrell seine Späße in einer der «Tagesschau» nachempfundenen Optik vortrug, genauso zahnlos daherkam. Zwar basierte es auf der englischen, wenig zimperlichen Parodie «Not the Nine O’Clock News», doch für seine deutsche Adaption hatte Carrell vorsorglich alle bissigen Elemente der Vorlage eliminiert. Letztlich beschränkte er sich darauf, Originalausschnitte aus Nachrichten mit albernen Texten neu zu synchronisieren oder mit zusätzlichem Material neu zu arrangieren. Besonders gern griffen Carrell und sein Team auf Szenen zurück, in denen Abgeordnete oder Regierungsmitglieder stolperten, sich versprachen oder ihnen andere menschliche Missgeschicke unterliefen, um auf diese Weise simple Gags und billige Lacher zu erzeugen. Carrell schuf also eine mutlose Satire, die niemanden ernsthaft wehtun wollte. Aus heutiger Sicht war sie daher eher mit der «Wochenshow» von Sat.1 oder dem Nachrichtenblock in «RTL Samstag Nacht» zu vergleichen als mit den kabarettistischen Programmen der «heute-Show», von «The Daily Show» oder von «Last Week Tonight With John Oliver». Der unpolitische Ansatz von «Rudis Tagesshow» offenbarte sich allein dadurch, dass die Zeit zwischen den vermeintlich satirischen Nachrichtenblöcken mit abgegriffenen und noch belangloseren Sketchen aufgefüllt wurde. Ausgerechnet diese Reihe sollte nun mit ihrer Ausgabe vom 15. Februar 1987 eine internationale politische Affäre verursachen.


Fatale Damenunterwäsche


Den Auslöser bildete dafür ein kurzer Beitrag, den Carrell mit den Worten ankündigte: "Diese Woche feierte man im Iran den achten Jahrestag der islamischen Revolution. Ayatollah Chomeini wird von der Bevölkerung gefeiert und mit Geschenken überhäuft." Danach folgte ein Einspielfilm, in dem Chomeini zunächst vor einer jubelnden Menschenmenge gezeigt wurde, bevor in der nächsten Einstellung Hände zu sehen waren, die in einem Haufen Damenunterwäsche wühlten. Dies sollte den Eindruck erwecken, dass das iranische Staatsoberhaupt von seinen Anhängern wie ein Popstar mit Dessous beworfen würde. Die Montage war handwerklich nicht besonders geschickt vorgenommen und sowohl der suggerierte Inhalt als auch der Rahmen, in dem dieser dargeboten wurde, war unmissverständlich als komödiantisch zu erkennen.

Dennoch dauerte es nach der Ausstrahlung bloß wenige Minuten bis sich der damalige iranische Botschafter Mohammed Djavad Salari telefonisch bei Reinhard Schlagintweit, dem Nah- und Mittelost-Beauftragten des Auswärtigen Amtes, meldete und seinen Zorn zum Ausdruck brachte. Chomeini sei nämlich das Staatsoberhaupt der islamischen Republik Irak sowie das „geistige Oberhaupt aller Muslime“, weswegen die „Muslime in aller Welt“ beleidigt geworden wären. Diese Aussage war allein deswegen gewagt, weil Chomeini auch in der muslimischen Welt nicht unumstritten war. Davon abgesehen, beginnen hier die Parallelen zum Fall von Jan Böhmermann, da der iranische Botschafter von der deutschen Bundesregierung eine offizielle Entschuldigung einforderte – und zwar ebenso für einen satirischen Beitrag, der im deutschen Fernsehen lief.

Die deutsche Regierung knickt unter Druck ein


Die nächtliche Telefon-Beschwerde sollte aber lediglich den Beginn der durch den Witz ausgelösten Proteste bilden, denn am nächsten Morgen wurde der deutsche Botschafter von der iranischen Regierung einbestellt, um sich für den Vorgang zu rechtfertigen. Zur Erinnerung, der deutsche Botschafter in der Türkei erhielt rund 29 Jahre später wegen Böhmermanns „Schmähkritik“ eine ähnliche Aufforderung. Doch während der türkische Präsident schnell juristische Konsequenzen anstieß, demonstrierte der Iran seine Empörung vor allem auf politischer und diplomatischer Ebene, indem er die iranischen Konsulate in Hamburg und Frankfurt/Main schließen sowie zwei deutsche Diplomaten aus dem Iran ausweisen ließ. Das iranische Religionsministerium ließ außerdem erklären, die Szene sei ein Beispiel für den westlichen Hass auf die Islamische Republik Iran sowie den gesamten Islam, weswegen es über das Fernsehen die Schließung des deutschen Goethe-Instituts in Teheran veranlasste. Zusätzlich stellte Iran-Air den Flugbetrieb nach Deutschland ein und rund 300 Personen protestierten vor der deutschen Botschaft in Teheran. Aus dem 14sekündigen Clip war innerhalb weniger Tage ein ernsthafter diplomatischer Konflikt und die Parodie der «Tagesschau» selbst Bestandteil der echten Vorlage geworden.

Ähnlich wie im Fall Böhmermann schmetterte die deutsche Regierung die Vorwürfe nicht mit einem schlichten Hinweis auf die Zulässigkeit nach dem deutschen Grundgesetz ab, sondern versuchte die Lage zu beschwichtigen. So bemühte Jürgen Chrobog, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, sich von den Vorwürfen freizusprechen: "Wenn Dritte etwas machen, können wir es nur bedauern." Abgesehen davon, dass eine solche „Ich war’s ja gar nicht“-Haltung wenig selbstbewusst wirkte, schlug er sich mit ihr indirekt auf die Seite des Irans, weil in seinen Augen tatsächlich ein Sachverhalt zu existieren schien, den es zu bedauern gab. Noch deutlicher offenbarte sich diese Position in einer offiziellen Erklärung der Bundesregierung, derzufolge man den Sketch nicht billigen, ihn bedauern und ihn sogar für geschmacklos gehalten habe. Schon damals distanzierte sich die deutsche Regierung also vom Inhalt einer Satiresendung und fällte gleichzeitig ein nicht zulässiges Geschmacksurteil. Diesen Fehler wiederholte Angela Merkel im April 2016, als sie über ihren Sprecher Steffen Seibert verkünden ließ, dass sie Böhmermanns Gedicht für „bewusst verletzend“ halte. Immerhin hat sie diese Bewertung mittlerweile als einen Fehler ihrerseits eingeräumt.

Dass die deutsche Regierung im Jahr 1987 eine derart defensive Haltung einnahm, mag an den damaligen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gelegen haben, da der Iran als der wichtigste Handelspartner und Abnehmer im Mittleren Osten galt, mit dem sich ein milliardenschweres Export-Volumen verband. Zeitgleich wurden zwei deutsche Staatsbürger im Libanon von der dortigen Hisbollah festgehalten, die jenen Chomeini als ihren geistigen Führer ansahen und der Staat Iran deswegen als Unterhändler für die Befreiung der Geiseln auftrat. Einmal mehr verhinderten demnach politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten die Verteidigung der eigenen verfassungsmäßigen Freiheiten gegenüber einer ausländischen Regierung.

Bloß ein Versehen aus Unwissenheit


Rudi Carrell erhielt derweil Personenschutz, weil gegen ihn und seine Familie Morddrohungen wegen der Sequenz eingegangen waren. Er selbst bezeichnete die Tage nach dem Vorfall als „die schlimmste Woche meines Lebens" und entschuldigte sich mehrfach beim iranischen Volk: "Jeder macht mal Fehler [...] Wenn mein Gag mit Ajatollah Chomeini im Iran Verärgerung verursacht hat, bedauere ich das sehr und ich möchte mich beim iranischen Volk entschuldigen.“ In einem anderen Interview ergänzte er: „Meine Aufgabe ist nicht, Leute zu ärgern, ich werde dafür bezahlt, dass Menschen Spaß haben. Also bedauere ich es einfach, dass hier eine Gruppe von Menschen beleidigt ist." In diesen Worten wird sehr deutlich, wie unfreiwillig er die Kontroverse herbeigeführt hat. Der SPIEGEL zitierte ihn damals sogar damit, dass er erst aufgrund der Diskussionen einige Artikel gelesen habe und erst danach mehr davon verstanden habe. Anders als Böhmermann, der eine negative Reaktion einkalkuliert und geradezu provoziert hat (wenn sicherlich nicht in dieser Heftigkeit), entfachte Carrell seinen Skandal schlicht aus Versehen und Unwissenheit. Offenbar war es lediglich das Bildmaterial als solches, das ihn oder sein Team zur Montage inspirierte. Es lässt sich schon beim stotternden Verlesen der Anmoderation erahnen, dass er nicht wusste, wer dieser Ayatollah Chomeini eigentlich genau war.

So war es erwartbar, dass Carrell in der nächsten Ausgabe von «Rudis Tagesshow» auf die Situation kaum Bezug nahm. Nur ein kurzer Cameo-Auftritt von Horst Tappert in seiner Rolle als Fernsehkommissar Derrick verwies auf die nun nötig gewordenen Sicherheitsvorkehrungen bei der Aufzeichnung. Eine ausführliche Thematisierung folgte nicht. Vielmehr ignorierte Carrell die Angelegenheit offensiv, in dem er sein Newssegment zwar mit der Ankündigung einleitete "Das wichtigste Thema der vergangenen Woche war...", dann beim Verlesen stockte und direkt zum "zweitwichtigsten Thema" überging, in dem er sich wie gewohnt über die Bonner Politikpersönlichkeiten lustig machte.

Trotzdem gingen die Geschehnisse nicht spurlos an ihm vorbei, da er die Lust an dem Konzept verlor, das ihm einfach zu heikel wurde. Schließlich hatte er stets versucht, solche Konflikte zu vermeiden. Zwar beendete er die laufende Staffel pflichtbewusst, ließ aber obgleich ihres massiven Erfolgs von rund 20 Millionen Zuschauern pro Folge keine weitere mehr herstellen. Die Übertragung vom 08. März 1987 sollte somit die letzte werden. Stattdessen widmete er sich der harmlosen Kuppelshow «Herzblatt», in der keine Gefahr bestand, eine weitere Staatskrise zu verursachen. Erst mit seinem Auftritt im RTL-Wochenrückblick «7 Tage, 7 Köpfe» wagte er sich ab dem Jahr 1996 wieder an aktuellere Themen, wenngleich er sich dort eher auf platte Holländer-Witze und gegenseitige Neckereien mit seinen Kollegen beschränkte.

Selbstzensur des deutschen Fernsehens


Abseits all der inhaltlichen und politischen Ähnlichkeiten zwischen den Vorfällen aus den Jahren 1987 und 2016 besteht die größte und zugleich auffälligste Gemeinsamkeit darin, wie mit dem kontroversen Material in der nachkommenden Debatte umgegangen wurde. Wie bekannt hat das ZDF bereits am Tag nach der Fernsehpremiere die Passage mit Böhmermanns Gedicht aus der betreffenden Folge des «Neo Magazin Royale» entfernt und diese trotz mehrfach öffentlicher Beistands-Bekundungen bisher nicht wieder öffentlich zugängig gemacht. So verfuhr man ebenso bei Rudi Carrell, denn der betreffende Ausschnitt verschwand anschließend im Giftschrank und wurde nie wieder herausgeholt, obwohl die Reihe mehrfach wiederholt und in Form von Best-Ofs (u.a. im Rahmen von «Rudis Suchmaschine») unzählige Male aufgewärmt wurde.

Sogar als das „Haus der Geschichte“ in Bonn (also das offizielle Museum für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland) im Jahr 2010 eine Ausstellung zum Thema „Spaß beiseite. Humor und Politik in Deutschland“ plante und in diesem Rahmen auch diesen Fall historisch aufbereiten und ausstellen wollte, verweigerte Radio Bremen den betreffenden Beitrag freizugeben, weil er „zu erheblichen Kontroversen“ geführt hätte und „von manchen als ehrverletzend wahrgenommen“ wurde (Sendersprecher Michael Glöckner). Selbst als die «Tagesthemen» jüngst in der Ausgabe vom 11. April 2016 mit Bezug auf den Fall Böhmermann an die Ereignisse rund um den Scherz von «Rudis Tagesshow» erinnerte, blendete man die Originalausschnitte in dem Moment aus, als die Damenunterwäsche ins Bild gekommen wäre.

Ein analoger Umgang ist seit Wochen bei Böhmermann zu beobachten, denn immer wieder wird in Talkshows, Nachrichtensendungen oder Boulevard-Magazinen über sein Gedicht gesprochen, es aber nie gezeigt. Ersatzweise greifen die Redaktionen – egal ob bei «Anne Will», «Stern TV» oder gar dem Medienmagazin «Zapp» - auf ungelenke Umwege wie Zitate oder Text-Einblendungen zurück oder lassen sonore Off-Sprecher ausgewählte Passagen wiederholen. Das jedoch verändert den Charakter des Werks erheblich; einerseits weil es nie vollständig zitiert und somit verkürzt sowie aus dem Zusammenhang gerissen wird und andererseits, weil Böhmermann seinen Text ursprünglich mit einem ironischen Unterton vorgetragen hatte, der durch solche Transferierungen verloren geht.

Nun könnte man als Entschuldigung zu Recht anführen, dass die Redaktionen, solange das Verfahren schwebt, kein Risiko eingehen möchten oder die Emotionen durch eine erneute Ausstrahlung nicht weiter anheizen bzw. die Gefühl der Betroffenen nicht weiter verletzen möchte. Das ist eine nachvollziehbare Haltung, sie stellt allerdings keinen hilfreichen Beitrag und kein selbstbewusstes Statement für die deutsche Presse- und Kunstfreiheit dar. Dabei geht es gar nicht darum, die vermeintlichen Beleidigungen zu ihrem Selbstzweck zu wiederholen, vielmehr um die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk, an dem gerade öffentlich die Grenzen von Satire gesellschaftlich ausgehandelt werden. In diesem Diskurs muss es eigentlich in seiner ursprünglichen Form auf legalem Wege zugänglich sein. Sicherlich, im Fall Böhmermann sind die Gemüter noch heiß. Das Verstecken des Carrell-Clips zeigt hingegen, wie es wirklich um die deutsche Pressefreiheit steht, wenn ein fast 30 Jahre alter Ausschnitt sogar für eine historische Aufarbeitung unter Verschluss bleibt.

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 26. Mai 2016.
28.04.2016 11:05 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/85185