Der deutsche «ESC»-Vorentscheid und die Quoten sind keine Freunde

Quotenmäßig dümpelt der deutsche Vorentscheid zum «Eurovision Song Contest» im Ersten seit Jahren vor sich hin. Gerade einmal der Senderschnitt wurde erreicht. Dabei hatte der deutsche Vorentscheid in den vergangenen Jahren einiges Aufregendes zu bieten. Schlagzeilen und Skandale gab es genug.

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Eine neue Punktevergabe wird im Mai beim «ESC» eingeführt. Die neuen Regeln haben wir hier in aller Ausführlichkeit erklärt.
Von den Einschaltquoten in den 80er-Jahren kann der für den «Eurovision Song Contest» verantwortliche NDR heute nur träumen. Vor 30 Jahren lag die Quote des deutschen Vorentscheids bei rund 15 Millionen Zuschauern. Das waren zum Teil mehr als beim internationalen Finale.

In den 90er Jahren vertrat überwiegend gediegener und langweiliger Schlager die Bundesrepublik. Den Zuschauern kann man bei der Wahl der Siegers keinen Vorwurf machen: Sie konnten einfach nur aus mangelhaften Beiträgen den deutschen Vertreter wählen. Dementsprechend gingen die Zuschauerzahlen in den Keller.

Bis er kam: Der Meister. Guildo Horn wollte 1998 zusammen mit der Band „Die Orthopädischen Strümpfe“ und Komponist Stefan Raab den angestaubten deutschen Vorentscheid revolutionieren. Und das gelang ihm: Er holte nicht nur den Fahrschein zum internationalen Finale in Birmingham, sondern verhalf dem Grand-Prix zu einem Comeback. Die Sendung, die von Nena co-moderiert wurde, war die Renaissance des Grand-Prix-Vorentscheids.

1999 holte ein Skandal den deutschen Vorentscheid ein. Die blinde Sängerin Corinna May wurde nach ihrem Sieg nachträglich disqualifiziert. Das Lied „Hör den Kindern einfach zu“ wurde vom Komponisten vorher unter einem anderen Namen bereits veröffentlicht. Deshalb reiste die Ralph-Siegel-Band „Sürpriz“ mit „Reise nach Jerusalem“ in die israelische Hauptstadt. Und kam mit Platz 3 zurück.

Stefan Raab: Retter des Grand-Prix
Im Jahr 2000 trat Stefan Raab nicht nur als Komponist sondern auch als Sänger an. Mit seinem selbst komponierten Song „Wadde hadde dudde da?“ holte er damals überragende 96 Punkte im deutschen Vorentscheid.

Es folgten drei Jahre ohne Raab-Beteiligung am Grand Prix. Innerhalb von «TV total» startete er Ende 2013 die Castingshow «SSDSGPS». Damit wollte Raab einen talentierten Sänger für den deutschen Vorentscheid 2004 suchen. Der Sieger hieß Max Mutzke. Beim Vorentscheid stach Mutzke im Finale Scooter mit über 90 Prozent der Stimmen aus. Sein Song „Can’t wait until tonight“, natürlich komponiert von Stefan Raab, erreichte Platz eins der deutschen Charts und Rang acht beim internationalen Finale in Istanbul.

Zwischen Stefan Raabs «ESC»-Beteiligungen war es ruhig um den deutschen Vorentscheid. Der Beitrag der rothaarigen Lou „Let´s get happy“ ging 2003 bei dem Hype um das Finale der ersten Staffel von «Deutschland sucht den Superstar» total unter. Obwohl der Vorentscheid und das «DSDS»-Finale nicht direkt am gleichen Tag konkurrierten, sprechen die Quoten eine eindeutige Sprache: 12,84 Millionen zu 5,64 Millionen.

Mit Gracia und den No Angels ging es musikalisch und quotentechnisch abwärts
Nach dem Quotentief des vergangenen Jahres schalteten 2004 noch einmal zwei Millionen Zuschauer weniger ein, als beim bisherigen Tiefpunkt im Jahre 2003. Die ehemalige «DSDS»- Kandidatin Gracia („Run And Hide“) gewann den Vorentscheid. Die Kooperation zwischen dem Ersten und dem Jugendsender Viva reformierte die Sendung nicht wirklich. Auch die geänderten Bewerbungs- und Auswahlmodalitäten, die eine Chartplatzierung notwendig machte, halfen nichts. Nur 3,5 Millionen Zuschauer verfolgten die von Reinhold Beckmann moderierte Sendung.

Als sich 2008 die No Angels dem Zuschauervoting stellten, war der deutsche Vorentscheid schon lange kein Gesprächsthema mehr. Gemessen an der Einschaltquote ist der Grand-Prix-Vorentscheid am Tiefpunkt angelangt. Magere 3,47 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 11,0 Prozent) schalteten die ARD-Show ein. So niedrig war die Quote noch nie, seit der NDR 1996 die Federführung übernommen hat. 2007 sahen immerhin noch 4,60 Millionen den Sieg von Roger Cicero gegen das Mädchen-Trio Monrose.

Dabei hatte der NDR sein Konzept bereits überarbeitet, denn auch die Quote von 2007 war im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Den Sieg von Texas Lightning wollten 2006 noch starke 5,28 Millionen sehen.

2009 fiel nach dem desaströsen letzten Platzes der No Angels die Wahl des deutschen Beitrags nicht durch einen Wettbewerb. Eine interne Jury entschied, wer Deutschland vertritt. Genützt hat der Verzicht auf einen Vorentscheid nichts. Alex Swings Oscar Sings! landete abgeschlagen beim Finale in Moskau im letzten Drittel. Die einzige Erinnerung an diesen Auftritt dürfte der Striptease von Burlesque-Tänzerin Dita von Teese sein. Weniger das Lied „Miss Kiss Kiss Bang“.

Raab verhalf den Quoten und Lena zum Sieg
2010 sollte alles anders werden. Die ARD kooperierte in einer bisher noch nie dagewesenen Form mit dem Privatfernsehen. Die NDR-Verantwortlichen holten Stefan Raab ins Boot. Der Entertainer sollte den Grand Prix retten. Zusammen mit ProSieben trug das Erste eine Castingshow «Unser Star für Oslo» aus. Nach mehreren Vorshows stand Lena Meyer-Landrut im Finale und brach mit „Satellite“ den Bann. Das Finale des deutschen Grand-Prix-Vorentscheids sahen durchschnittlich 4,5 Millionen Zuschauer (14,6 Prozent). Bei den 14- bis 49-Jährigen schalteten bei der Endrunde von «Unser Star für Oslo» 2,5 Millionen Zuschauer ein (20,3 Prozent). Die ersten Auswahlshows hatten allerdings lediglich knapp zwei bis drei Millionen Zuschauer vorzuweisen.

Das Ergebnis im internationalen Finale im Mai in Oslo war klar: Deutschland gewann zum zweiten Mal überhaupt den Eurovision Song Contest. Für den 2011 in Düsseldorf stattfindenden «ESC» war Lena als Teilnehmer fest gesetzt - in einem Vorentscheid sollte das Publikum lediglich über das Lied entscheiden. Die Fernsehzuschauer wählten „Taken By A Stranger“ unter sechs Liedern aus. Im Schnitt 3,25 Millionen Zuschauer (Marktanteil 10,1 Prozent) sahen die mehr als zweistündige Sendung. Insgesamt war der Vorentscheid «Unser Song für Deutschland» auf drei Shows ausgelegt. Die ersten beiden Shows, die bei ProSieben liefen, waren noch schwächer gewesen: Sie hatten 2,62 Millionen (8,5 Prozent) und 1,82 Millionen (5,5 Prozent) Zuschauer.

ARD im Tal der Tränen
So richtig floppte der Vorentscheid «Unser Star für Baku» 2012. Daran konnten auch die Jury-Mitglieder Thomas D. und Stefan Raab nichts ändern. Nach bereits quotenmäßig schlechten Vorentscheidungen holte die Casting-Show auch im Finale mäßige Werte. Gerade einmal 2,19 Millionen Menschen wollten die Live-Show im Ersten miterleben. Bei den jüngeren Zuschauern waren es 1,13 Millionen und ein Marktanteil von 8.9 Prozent. Übrigens: Roman Lob mit „Standing Still“ vertrat Deutschland beim «Eurovision Song Contest» in Aserbaidschan.

2013 konnte sich die Quote des deutschen Vorentscheids ein wenig steigern, lag aber immer noch unter dem Senderschnitt. 3,24 Millionen Zuschauer schalteten ein, als Cascada mit „Glorious“ gewann. Das entsprach einem Marktanteil von 10,4 Prozent. Bei den 14- bis 49-Jährigen wollten «Unser Song für Malmö» 1,38 Millionen sehen (11,5 Prozent). Das Promi-Special der Jörg-Pilawa-Show «Rette die Million» hatte parallel dazu wesentlich mehr Zulauf: Dort sahen 4,80 Millionen zu (14,9 Prozent). Auch die RTL-Actionserie «Alarm für Cobra 11» war mit 4,58 Millionen (13,9 Prozent) beliebter als der Vorentscheid. Und sogar Sat.1 schob sich bei den Zuschauerzahlen vor die ARD. 3,27 Millionen verfolgten damals die US-Krimiserie «Criminal Minds» (9,9 Prozent).

Auch 2014 blieb der deutsche Vorentscheid unter der Vier-Millionen-Marke. «Unser Song für Dänemark» interessierte durchschnittlich 3,95 Millionen Zuseher. Immerhin der Marktanteil von 13,3 Prozent erreichte den Senderschnitt. Von den 14- bis 49-Jährigen sahen 1,50 Millionen zu, wie das bisher unbekannte Trio Elaiza mit „Is It Right“ den Vorentscheid gewann.

Skandal 1: Kümmert lehnt Teilnahme am Finale ab
«Unser Song für Österreich» sollte am 05. März 2015 zu einem der größten Aufreger in der Geschichte des Vorentscheids werden. Der frühere Gewinner von «The Voice of Germany» Andreas Kümmert lag in der Zuschauergunst ganz weit vorne. Sein Lied «Heart of Stone» wählte das Publikum als Beitrag für den in Wien stattfindenden «ESC». Kümmert lehnte die Wahl auf der Bühne ab. Moderatorin Barbara Schöneberger erklärte, ohne Rucksprache mit den Verantwortlichen, die Zweitplatzierte Ann Sophie zur Siegerin. Durchschnittlich 3,20 Millionen Zuschauer waren live dabei (10,3 Prozent) bzw. 1,25 Millionen der jüngeren Zuschauer (11 Prozent).

Angesichts der weniger bekannten Teilnehmer am diesjährigen Vorentscheid dürfte mit neuen Quotenrekorden nicht gerechtet werden. Ein alter Hase ist aber wieder an Bord: Ralph Siegel ist zurück auf der deutschen «ESC»-Bühne. In den vergangenen Jahren war Siegel für San Marino sehr aktiv, jetzt will er in Deutschland wieder punkten. Als der Komponist seine letzten Erfolge feierte, hieß der Wettbewerb noch Grand Prix.

Skandal 2: Xavier Naidoos Direktnominierung
Für die eigentlichen Schlagzeilen um den Vorentscheid sorgte die ARD selbst. Sie nominierte willkürlich Xavier Naidoo als Vertreter für Stockholm. Ein heftiger Protest der Medien, in den sozialen Netzwerken und auch ARD-interne Kritik führten schließlich zum Rückzieher. Der NDR nahm Naidoos Direktnominierung zurück. Stattdessen stehen mehr oder weniger bekannte Künstler am 25. Februar in Köln auf der Bühne. Verständlich, dass sich angesehene Musiker auf der europäischen Bühne bei der Punktevergabe nicht abwatschen lassen wollen, ist doch die Schmach bei einem letzten Platz zu groß.
24.02.2016 11:58 Uhr  •  Tobias Ott Kurz-URL: qmde.de/83900