Joachim Masannek: ‚Die einzige Möglichkeit, Genregeschichten hierzulande zu produzieren, ist im Kinderfilm‘

«Die Wilden Kerle»-Schöpfer Joachim Masannek spricht mit Quotenmeter.de über die Lage des deutschen Films, den Wert von Til Schweiger und darüber, weshalb er sich bei den Filmen so sehr von seinen eigenen Büchern entfernt.

Zur Person: Joachim Masannek

Der 1960 geborene Joachim Masannek absolvierte nach seinem Germanistik- und Philosophiestudium eine Ausbildung an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Dort studierte er im Fachbereich Regie. Von 2002 an brachte er als Autor die Kinderbücher «Die wilden Fußballkerle» auf den Markt, die er ab 2003 als Regisseur und Drehbuchautor selber adaptiere. Nach Abschluss der Fußball-Buchreihe verfasste Masannek neue Kinderbuchserien und brachte zudem die zweiteilige «V8»-Filmreihe ins Kino.
Wieso haben Sie sich für einen Film über eine Staffelübergabe entschieden, statt für ein direktes Remake oder einen sonstigen Neustart ohne Berücksichtigung der alten «Die Wilden Kerle»-Filme?
Nach der «Die Wilden Kerle»-Reihe habe ich neue Kindergeschichten verfasst, und da bin ich zu der Zielgruppe zurückgekehrt, die «Die wilden Kerle» am Anfang hatten: Die Sechs- bis Zehnjährigen. Und ganz gleich, welche Projekte ich gemacht habe: Die Kinder haben mich immer gefragt, wann denn «Die Wilden Kerle 6» kommt. Die Kinder kennen die Filme auch alle so gut, als seien die erst vor ein paar Tagen im Kino angelaufen, obwohl viele von ihnen erst nach dem letzten Film auf die Welt gekommen sind. Und von denen habe ich auch ganz viele Ideenvorschläge erhalten, wovon der Film handeln könnte. Praktisch all diese Ansätze handelten davon, dass sich ein neues Kind in eine Geschichte mit den alten Wilden Kerlen hineindenkt und dann tatsächlich mit ihnen zusammen ein Abenteuer erlebt. Diese Idee haben wir aufgegriffen und gesagt: Unsere Protagonisten sind Kinder, die von den Wilden Kerlen nur aus Geschichten gehört haben und sich vorstellen, dass es sie gegeben haben könnte – und beim Nachspielen der Erlebnisse der alten Wilden Kerle treffen sie auf die Originale. Dass die alte Generation noch einmal drin vorkommt war uns ganz wichtig, weil wir auch das von den Kindern gesagt bekommen haben: Für sie war es unerlässlich, dass die Neuen ihre Legitimation von den ersten Wilden Kerlen erhalten. Es soll ein Ritterschlag für die Nachfolger sein.

Kam es auch am Set so rüber?
Ja, auch für die Schauspieler war es ein Ritterschlag, nicht nur für die Figuren: Die Alten haben zusammen mit den Neuen gedreht und sich ihre Filmausschnitte von damals angesehen. Und sie alle meinten: „Die sind besser als wir damals!“

Konnten Sie den Umfang des Auftritts der alten Wilden Kerle frei nach Ihren Wünschen umsetzen? Oder mussten Sie äußere Einflüsse – von Drehterminen bis hin zu verlorenem Interesse am Schauspielen – berücksichtigen, als es darum ging, wie groß die Rolle der alten Generation im Film ausfällt?
Nein, das musste ich nicht. Wir wollten in erster Linie die neue Generation aufbauen. Die Story war von Anfang an so gedacht, dass die Neuen beweisen müssen, dass sie das Zeug dazu haben, das Erbe der Alten anzutreten. Und die alten Wilden Kerle kommen zurück, um das zu bestätigen. Mehr Leinwandzeit hätte ich ihnen jetzt nicht geben wollen. Ihr Auftritt ist ja auch durch seine Vehemenz und durch den Pathos sozusagen zum Ausgleich sehr einprägsam.

Gerade durch die Entwicklung der vergangenen Jahre mit Computern, Smartphones, Tablets und Social Media hat sich bei Kindern eine noch stärkere Sehnsucht nach einer analogen Welt herausgebildet. Die Kinder möchten eine Welt, in der sie ohne Erwachsene Abenteuer erleben können. Und mein Ziel war es daher, der heutigen Generation ihren eigenen Film zu geben, der in so einer Wirklichkeit spielt, und wo sie die Erlebnisse ihrer Helden vom Netz und von den Eltern ungestört nachstellen können.
Joachim Masannek
Die ersten fünf Filme haben eine graduelle Wandlung gemacht: Von einer eher konventionellen, relativ alltagsnahen Familien-Sportkomödie hin zu sehr abgedrehten, fantasievollen Geschichten. Wie hat sich der Findungsprozess gestaltet, wo auf dieser Skala von Teil eins bis Teil fünf der sechste Film verortet sein sollte?
Wir hatten uns vorgenommen, einen Film zu drehen, der tonal ungefähr zwischen «Die wilden Kerle» und «Die wilden Kerle 2» liegt. Vom Alter der Figuren her liegen wir aber sogar jenseits von Teil eins: Die Kinder sind teilweise über ein Jahr jünger als es die Jungs beim ersten Film waren. Auf Seite der Produktionswerte und dem Feeling hingegen haben wir versucht, den zweiten Teil zu erreichen. Wobei wir uns gleichzeitig bemüht haben, einen gewissen Realitätsbezug zu bewahren, weil es sich nun einmal um jüngere Kinder handelt, und die wissen es sehr zu schätzen, einen Ankerpunkt zu haben. Trotzdem spielt «Die Wilden Kerle – Die Legende lebt!» in einer leicht von der unsrigen Realität entrückten Welt. Denn gerade durch die Entwicklung der vergangenen Jahre mit Computern, Smartphones, Tablets und Social Media hat sich bei Kindern eine noch stärkere Sehnsucht nach einer analogen Welt herausgebildet. Die Kinder möchten eine Welt, in der sie ohne Erwachsene Abenteuer erleben können. Und mein Ziel war es daher, der heutigen Generation ihren eigenen Film zu geben, der in so einer Wirklichkeit spielt, und wo sie die Erlebnisse ihrer Helden vom Netz und von den Eltern ungestört nachstellen können.

Wie äußern Kinder diesen Wunsch nach einer analogen Welt? Es klingt zunächst ja eher nach einem von Pädagogen ausgedrückten Wunsch: „Leg doch mal das Tablet weg!“
Es ist nicht so, dass Kinder Smartphones abschaffen wollen. Das war zum Beispiel bei unserer Premiere gut zu erkennen: Die Kinder hatten alle Smartphones oder Tablets dabei und sie erzählten alle, welche Computerspiele und Apps sie gern spielen – sie kennen nur diese digitale Welt. Und das muss man sich mal vor Augen halten: Als wir den ersten Teil gedreht haben, kam gerade das erste Handy heraus, das Fotos schießen konnte. Die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuern ist seither, denke ich, nur immer größer geworden. Auf unserer Premiere wollten die Kinder nur tollen und spielen und erleben. Die Fahrräder der Wilden Kerle waren ein echter Hit – die Kinder meinten, die würden dafür sterben, so eins zu haben. Wenn du ihnen so etwas bietest, legen die auch jedes Handy weg.

Kinder lassen sich völlig auf die Welt ein, die ihnen erzählt wird. Und sie brauchen das auch. Das Verlangen, etwas zu glauben ist da. [...] Die Kinder sind völlig drin in dieser Erzählung, das ist für sie genauso wie eine Live-Fußballübertragung. Die gehen da voll auf, denen muss man nichts erklären – schon gar nicht das Fehlen von Handys.
Joachim Masannek
Wird es denn trotzdem durch die immer größere Präsenz von digitaler Technik in unserem Alltag zunehmend schwerer, eine in der Gegenwart spielende Geschichte völlig ohne Smartphones und ähnlichen Geräten zu legitimieren?
Nein. Die Kinder machen den Sprung einfach mit. Dafür haben sie genug Fantasie. Wenn sie mit LEGO spielen oder im Ballpark sind, spielen die Handys auch keine Rolle mehr, und wenn zwei Kinder ein paar Stöcke finden, dann werden die für sie zu Lichtschwertern! Kinder lassen sich völlig auf die Welt ein, die ihnen erzählt wird. Und sie brauchen das auch. Das Verlangen, etwas zu glauben ist da. Bei der Premiere saß hinter mir ein Junge, der wollte beim 8:0 der Galaktischen Sieger unbedingt den Saal verlassen, weil er es nicht ausgehalten hat, die Wilden Kerle verlieren zu sehen. Die Kinder sind völlig drin in dieser Erzählung, das ist für sie genauso wie eine Live-Fußballübertragung. Die gehen da voll auf, denen muss man nichts erklären – schon gar nicht das Fehlen von Handys.

Kinder sind da wohl die gnädigeren Kinogänger. Bei Erwachsenen wird Haarspalterei bei Filmen immer größer geschrieben, scheint mir.
Kinder sind noch nicht in der Lage, zu abstrahieren, daher können sie nicht so wie wir reflektieren. Somit leben Kinder nicht in einer von der Vernunft regierten Welt, sondern in einer, in der die Fantasie bestimmt. Deswegen sind für Kinder auch Gespenster in dunklen Räumen oder Kellern eine Bedrohung. Für Kinder ist das möglich! Dafür sind ihnen Dinge und Regeln aus der Erwachsenenwelt teils völlig fremd.

Auf der nächsten Seite verrät Joachim Masannek seine Gedanken über mögliche «Die Wilde Kerle»-Fortsetzungen mit der alten und der neuen Generation und ruft deutsche Filmemacher dazu auf, mehr Initiative zu zeigen.

«Die Wilden Kerle» in den deutschen Kino

  • «Die Wilden Kerle» (2003): 0,96 Mio. Besucher
  • «Die Wilden Kerle 2» (2005): 1,60 Mio. Besucher
  • «Die Wilden Kerle 3 – Und die biestigen Biester» (2006): 2,13 Mio. Besucher
  • «Die Wilden Kerle 4» (2007): 2,46 Mio. Besucher
  • «Die Wilden Kerle 5 – Hinterm Horizont» (2008): 1,73 Mio. Besucher
Um ganz dreist nach vorne zu blicken: Wie weit haben Sie sich schon Gedanken um «Die Wilden Kerle 7» gemacht und wie wahrscheinlich ist es, dass die neue Generation an Wilden Kerlen wieder so eine Entwicklung hin zum Abgedrehten macht wie die Ursprungstruppe?
Wir haben uns schon etwas vorbereitet, allerdings hängt das natürlich vom Erfolg ab. Den vermag ich nicht abzuschätzen. Einerseits ist die Konkurrenz an guten Kinderfilmen aktuell sehr hoch, andererseits war die Resonanz auf der Premiere super. Wenn es nach uns ginge, würde es jedenfalls noch weitere Filme geben – und die Entwicklung darin steht für mich schon fest. Die Kinder werden älter und somit immer selbstständiger. Teilweise auch zwangsläufig, weil ihnen die Erwachsenen immer weniger Unterstützung geben. Ein weiterer Aspekt betrifft die Wahrnehmung der Zeit. Ich weiß noch: Als ich ein kleiner Junge im Ruhrgebiet war, habe ich mit Freunden während der Fußballweltmeisterschaft wochenlang in ellenlangen Turnieren die Meisterschaft nachgespielt. Und wenn uns jemand gefragt hat, was wir die letzten Tage gemacht haben, haben wir nie erzählt: ‚Ja, wir waren erst in der Schule, und dann haben wir das gemacht, und dann das, und dann haben wir gespielt und dann waren wir im Bett …‘ Wir haben gesagt: ‚Wir haben bei der Weltmeisterschaft gespielt.‘ So komprimiert werden auch die Filme erzählt: Dass etwas, was sich über mehrere Wochen erstreckt für die Kinder nur in wenigen Stunden oder ein, zwei Tagen geschieht. Das würde bei weiteren Teilen immer stärkere Züge annehmen. Ich denke, das trifft auch einen Nerv, denn die Lust der Zuschauer auf solche filmischen Abenteuer ist ja da. Und es werden auch entsprechend viele produziert, nur leider nicht in Deutschland. Die einzige Möglichkeit, Genregeschichten hierzulande zu produzieren, ist im Kinderfilm. Darum fühle ich mich da auch Zuhause.

Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen an Unterhaltungs-Filmemachern, die Risiken eingehen. Til Schweiger macht das, was ich sehr toll finde. [...] Aber ihm wird es hier unwahrscheinlich schwer gemacht! Ich bin großer Fan von ihm und finde es schade, wie ihn die Kritik dauernd klein redet. Es ist sehr bedauerlich, dass er so mit Häme übergossen wird, denn er traut es sich wenigstens, den ersten Schritt zu gehen.
Joachim Masannek
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass im Produktionsland Deutschland die Genres Abenteuer, Action und Fantasy praktisch nicht mehr vertreten sind?
Das Traurige ist: Als ich aufgewachsen bin, gab es das Alles noch. Die «Nibelungen»-Filme, und «Edgar Wallace», «Jerry Cotton» und vieles mehr. Erst in den 70ern hat die Entwicklung ihren Anfang genommen, dass sich die Präsenz solcher Filme ausdünnt. In meinen Augen hat es einerseits mit der Dominanz des amerikanischen Kinos zu tun, andererseits mit der Welle des Neuen Deutschen Films. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland meiner Beobachtung nach kaum noch Wagnisse zulassen. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen an Unterhaltungs-Filmemachern, die Risiken eingehen. Til Schweiger macht das, was ich sehr toll finde. Ich mag es auch, was er mit dem «Tatort» macht. Schweiger verwirklicht große Filme, wie sie überall in der Welt gemacht werden – in den USA, in Frankreich … Aber ihm wird es hier unwahrscheinlich schwer gemacht! Ich bin großer Fan von ihm und finde es schade, wie ihn die Kritik dauernd klein redet. Es ist sehr bedauerlich, dass er so mit Häme übergossen wird, denn er traut es sich wenigstens, den ersten Schritt zu gehen. Im Fernsehen sind solche Versuche schon etwas leichter zu verwirklichen – aber immer noch nicht leicht genug. Ein befreundeter Kollege von mir, Christian Becker, hat für RTL die «Winnetou»-Filme gemacht. Vielleicht haben wir Glück und die schlagen so ein, dass es so etwas wieder häufiger gibt – im Fernsehen und im Kino.

Dahingehend habe zumindest ich bislang ein gegenseitiges Schuld-in-die-Schuhe-schieben zwischen Fernsehen und Kino wahrgenommen. Fernsehproduzenten und -chefs klagen, das Kino traue sich nichts mehr und gewöhne den Zuschauer an seichte Unterhaltung. Kinoproduzenten und -Regisseure nehmen die Fernsehfinanziers in die Mangel, weil sie es seien, die kalte Füße hätten …
Das ist so wie in vielen Liebesbeziehungen: Die Leute leben lieber unglücklich, so lange sie jemanden Anderen dafür verantwortlich machen können, statt selber ihr Glück in die Hand zu nehmen. So kann man Filme aber nicht machen. Filme macht man, indem man das Risiko eingeht, einen Film zu machen! Und ich denke, ein Grund, dass so wenige Genrefilme gemacht werden, ist, dass hierzulande mehrere Versuche gescheitert sind. Deswegen haben die Leute Angst, es auch zu versuchen und ebenfalls zu scheitern.

Als ich auf der Filmhochschule war, habe ich dort meinen ersten Kinderfilm gedreht, weil ich nach meinem Abschluss weitere Kinderfilme machen wollte. Und von allen Seiten hieß es: ‚Vergiss es! Kinderfilme können nur die Tschechen und die Schweden! Deutsche können keine Kinderfilme machen!‘ Dann kam jedoch zum Glück Uschi Reich mit ihren Kästner-Verfilmungen – und wenn man sich jetzt die Kinocharts anschaut? Im Moment ziehen nur noch Schnee-Western und Kinderfilme. (lacht) Ich finde das Hammer, dass das so groß geworden ist. Damals musste einfach jemand anfangen, und jetzt ist das mit Action-, Abenteuer-, Mantel-und-Degen-Filmen und Horrorfilmen für Erwachsene genauso: Es muss einfach jemand voranschreiten! Und er muss es gut machen! Nur weil es gemacht wird, wird es ja nicht sofort geguckt. Es muss interessant sein, in den Zeitgeist passen und handwerklich gut sein. Dann werden die Deutschen es aber mit Sicherheit gerne gucken! Obendrein müssten wir nur zulassen, dass sich hierzulande wieder Stars entwickeln. Wir haben im Moment keinen weiblichen Superstar mehr. Und an Männern haben wir gerade einmal drei.

Ein heutiges, großes Problem ist, dass ein Film, der kein Erfolg war, von Leuten, die ihn nicht gesehen haben, automatisch als schlecht beurteilt wird. Das stimmt ja ganz offensichtlich nicht – es gibt sehr viele gute Filme, die nicht den Erfolg bekommen haben, der ihnen gebührt hätte.
Joachim Masannek
Und selbst wenn wir wieder mehr Stars haben und ein andersartiger Film aufkommt, der gut gemacht ist, muss er zum richtigen Zeitpunkt starten und die Zuschauer auf sich aufmerksam machen. Es gibt genügend gute Filme, die im Kino gefloppt sind …
Eines der bekanntesten Beispiele ist «Blade Runner» … Der hat es aber geschafft, sich zum Klassiker aufzuschwingen. Ein heutiges, großes Problem ist, dass ein Film, der kein Erfolg war, von Leuten, die ihn nicht gesehen haben, automatisch als schlecht beurteilt wird. Das stimmt ja ganz offensichtlich nicht – es gibt sehr viele gute Filme, die nicht den Erfolg bekommen haben, der ihnen gebührt hätte. Was mich da stört, ist, dass deshalb oft das Argument angebracht wird: Wir können keine Risiken eingehen, weil Filmemachen so teuer ist. Gerade hier in Deutschland kannst du so eine Einstellung nicht rechtfertigen, weil es ja die Filmförderung gibt. Deswegen müssen wir viel mutiger sein! Ein Tarantino muss nicht aus den USA kommen, der kann auch in Deutschland entstehen!

Um beim Thema Mut zu bleiben und dennoch einen thematischen Bruch zu wagen: Wenn Buchadaptionen erscheinen, wird gerne von einem „Risiko“ gesprochen, sollte der Film stark von der Vorlage abweichen. Viele Schriftsteller rümpften schon über freie Adaptionen die Nase … Angesichts der Differenzen zwischen den «Die wilden Fußballkerle»-Büchern und den späteren Filmen insbesondere – wo rührt ihr Änderungen gegenüber aufgeschlossener Blickwinkel her?
Buch und Film sind zwei ganz unterschiedliche Medien! Ein Buch kann niemals so verfilmt werden, wie man es liest. Denn ein Buch passiert immer in der Vergangenheit, wenn man es liest, weil es nahezu ausnahmslos in der Vergangenheitsform geschrieben ist. Ein Drehbuch ist hingegen immer im Präsens geschrieben. Film ist ein zukunftsgerichtetes Medium: Er lebt davon, dass man beim Zuschauer Ängste, Erwartungen und Hoffnungen erzeugt und somit Emotionen schafft. Ein Buch wiederum fängt an und muss von da an dramaturgisch so gebaut sein, als würde man Stein ins Wasser schmeißen: Ein Ereignis zieht seine Kreise, und das ist die Geschichte. Beim Film ist es eher umgekehrt: Dort kulminiert alles an einem Punkt am Ende, dann müssen alle Probleme gelöst sein – ob nun zu einem guten oder schlimmen Ende. Im Buch kann man seitenweise Dialoge oder Monologe schreiben, ohne dass es langweilig wird, der Held im Film hingegen definiert sich durch sein Handeln, da ist das Reden nur ein ganz kleines Mittel – und das schwächste. Und in meinem Fall kommt noch hinzu, dass die Länge des Buches wegen der Zielgruppe vorgegeben war, und der Buchinhalt hätte nie für einen 90-Minuten-Film gereicht. Deswegen musste ich füllen, Geschichten zusammenlegen und neu erfinden.

Ein Tarantino muss nicht aus den USA kommen, der kann auch in Deutschland entstehen!
Joachim Masannek
Dann hatte ich noch den Nachteil, dass in Büchern Kinder nicht erwachsen werden dürfen. Die Verlage wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, ihre Kinderhelden altern zu lassen. Pippi Langtrumpf ist seit 50 Jahren neun Jahre alt! Ich habe es heimlich geschafft, dass die Wilden Kerle in den ersten 13 Büchern insgesamt ein Jahr älter werden. In den Filmen konnte ich das nicht verheimlichen! Ich habe fünf Filme innerhalb von sechs Jahren gedreht, und man kann Kinder nicht einfrieren … Also habe ich den Alterungsprozess berücksichtigt, und somit habe ich etwas gemacht, was es sonst so nur bei «Harry Potter» gab – ich habe die Kinder wachsen lassen. Die «Bibi & Tina»-Filme machen das jetzt auch, und am Erfolg sieht man: Wenn die Kinder wachsen, wächst auch die Zielgruppe. Man zieht die alten Fans mit und generiert neue. Das ist doch das Schöne, denn darum geht es ja: Kinder denken über das Erwachsenwerden nach. Wieso sollten ihre Helden sie nicht dabei begleiten? Bei den «Wilde Kerle»-Filmen habe ich es daher so gemacht, dass die ersten zwei Filme noch sehr nah an den Büchern sind, der dritte sich ein klein wenig entfernt und erst der vierte richtig abhebt. Da waren die Darsteller in einem Alter, das ich mit der Welt der Bücher nicht mehr vereinbaren konnte.

Ist das eine Entscheidung, die Sie trotz manchen bitterbösen Rezensionen verteidigen?
Ja! Denn ich hasse es, zwei Mal dasselbe zu machen. Man kann mir mit dem neuen Film vorwerfen, dass ich mich sehr wohl wiederhole, denn ich erzähle die erste Geschichte fast noch einmal. Aber es kommt auch wiederholt zu neuen Ausgängen und es gibt neue Figuren und den vorher nicht dagewesenen Aspekt des Heldennacheiferns. Deswegen hat sich der sechste Teil so ergeben. Wenn jetzt aber Hollywood ankommt und sagt: „Mach ein Remake vom ersten Film“, dann würde ich ablehnen! Das finde ich doof, und aus diesem Grund sind «Die Wilden Kerle» im Laufe der Reihe völlig neue Wege gegangen. Das hat, denke ich, sehr gut funktioniert. Die Bücher gibt es ja trotzdem noch, und mit 13 Bänden haben wir den Markt völlig gesättigt. Sie werden ja noch immer eifrig gelesen. Und für Kinder, die die Bücher kennen sowie die Filme gucken, verschmilzt das in ihrer Fantasie trotz der großen Unterschiede zu einer einzigen, abwechslungsreichen Welt. Das finde ich schön!

Als Fazit darf ich also ziehen: Bei den Filmen ließ man Ihnen mehr Freiraum, während bei den Büchern selbst das Alter der Figuren nahezu festgezurrt war?
Damals waren die Wilden Kerle ein Befreiungsschlag, weil es nach langer Zeit wieder die erste Reihe für Jungs in einem von Mädchen dominierten Literaturbetrieb war. Mädchen durften alles, die durften Piraten, Räuber, Ritter und Detektive und Magierinnen sein. Bücher über Jungs waren verpönt, Jungs durften praktisch gar nichts. Auch bei den Kerlen gab es zunächst eine große Diskussion, weil der Verlag wollte, dass ich Vanessa zur stärksten Figur mache. Das Tabu des Nicht-Älterwerdens war für mich damals nur eine Begleiterscheinung. Heute sehe ich das anders, denn wir leben in einer Gesellschaft, die nicht erwachsen werden will. Wenn ich mit neunjährigen Kindern spreche und sie frage, was sie werden wollen, dann sagen selbst die schon, dass sie Kinder bleiben wollen, weil sie sich vor der Verantwortung fürchten. Meine viereinhalbjährige Tochter dagegen spricht noch davon, dass sie es nicht erwarten kann, erwachsen zu sein. Da müssen wir mal darüber nachdenken, wie wir unsere Kinder erziehen, dass sie nur viereinhalb Jahre später nichts anderes wollen, als jung zu bleiben. Mit Kindern ab 13 Jahren ist das ein noch schwerwiegenderes Thema: Die wollen von Erwachsenen geachtet und respektiert werden, aber keine Verantwortung übernehmen. Da müssen wir Geschichten erzählen, die vermitteln, dass man nur dann die Achtung der Erwachsenen erlangt, wenn man in deren Welt übertritt und sich verantwortlich zeigt!

Ich überlege derzeit, ob wir mit den alten Kerlen nicht noch einmal einen Film drehen. [...] Ich würde mit ihnen so gerne eine Geschichte über das Übernehmen von Verantwortung und die Frage „Will ich erwachsen werden, kann ich das überhaupt?“ erzählen. [...] Das sind sieben, acht Jungs im Alter von 18 bis 25, und die zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie ihr Leben gestalten. Sie fragen sich nicht bloß, wann sie ein neues Auto haben wollen oder ein eigenes Haus bauen, sondern sie grübeln darüber nach, wie die Welt nach ihnen aussieht, was für eine Welt sie für ihre eigenen Kindern hinterlassen.
Joachim Masannek
Wie könnte so eine Geschichte aussehen?
Ich überlege derzeit, ob wir mit den alten Kerlen nicht noch einmal einen Film drehen. Viele von denen wollen ja eigentlich gar nicht schauspielern, aber als wir uns wegen «Die Wilden Kerle – Die Legende lebt!» wiedergesehen haben, sind sie an mich herangetreten: „Komm, einen machen wir noch!“ Und ich würde mit ihnen so gerne eine Geschichte über das Übernehmen von Verantwortung und die Frage „Will ich erwachsen werden, kann ich das überhaupt?“ erzählen. Ich weiß leider nur überhaupt nicht, ob ich das verkauft kriege. Ich finde es aber richtig spannend: Das sind sieben, acht Jungs im Alter von 18 bis 25, und die zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie ihr Leben gestalten. Sie fragen sich nicht bloß, wann sie ein neues Auto haben wollen oder ein eigenes Haus bauen, sondern sie grübeln darüber nach, wie die Welt nach ihnen aussieht, was für eine Welt sie für ihre eigenen Kindern hinterlassen.

Wäre das dann eine Fortsetzung von «Die Wilden Kerle – Die Legende lebt!», also ein Film über beide Generationen?
Nein, es würde allein um die alten Figuren gehen. Marlon, Leon und die Anderen kommen wieder, nachdem sie erwachsen geworden sind – sie waren einmal die Wilden Kerle, und jeder von ihnen wird dort abgeholt, wo er gerade im Leben steht. Das soll dann auch ans wahre Leben angelehnt sein: Einer von ihnen ist Schauspieler, einer Rockstar, und mein Sohn würde dann aus dem Ausland aus bei einem Hilfsprojekt mit dem Pferd herbeigeritten kommen, weil es das umweltfreundlichste wäre. Einer studiert Philosophie, der Andere macht das und das … Es ginge aber nicht um Fußball, sondern um Transformation: Wie übertrage ich das, was mich als Wilder Kerl ausgemacht hat, ins reale Erwachsenenleben?

Herzlichen Dank für das spannende und informative Gespräch!
20.02.2016 10:16 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/83809