Karneval im Fernsehen: Warum weniger künftig mehr ist

ARD und ZDF kürzen ihr Karnevals-Programm 2016 deutlich. Wir sprachen mit Bernd Stelter, der erklärte, warum diese Änderung sinnvoll ist und wie es um den Karneval steht.

Zur Person:

Bernd Stelter wurde am 19. April 1962 in Unna geboren. Der heute 54-Jährige machte sich in Deutschland als Komiker, Fernsehmoderator und Musiker einen Namen und ist zudem seit 1988 im Kölner Karneval aktiv. Ab dem 15. März tourt er mit seinem neuen Programm "Wer heiratet, teilt sich die Sorgen, die er vorher nicht hatte" durch die Republik, mit „Wer Lieder singt, braucht keinen Therapeuten“ hat er auch ein aktuelles Musikalbum in den Läden.
Die Deutschen lieben ihre Traditionen und Rituale. So ist es kein Wunder, dass sich neben den kirchlichen Feiertagen auch die Faschingswoche um den Rosenmontag als arbeitsfreie Zeit etabliert hat, damit insbesondere in den Karnevals-Hochburgen Köln oder Mainz den traditionsreichen Umzügen nachgegangen werden kann. Bis ins Jahr 1823 geht dieser Brauch zurück, schon immer war der Karneval in der Bundesrepublik jedoch unterschiedlich populär. Während man den Karneval in vielen deutschen Städten auslässt oder den Feierlichkeiten eher in kleinerem Rahmen nachgeht, findet sich im Raum Köln wohl Deutschlands karnevalistischer Siedepunkt. Fester Bestandteil dessen ist seit 1988 Comedian Bernd Stelter, der sich darin bereits seit fast 30 Jahren als Karnevalist verdient gemacht hat, gleichzeitig aber auch Zeuge eines deutlichen Zuschauerrückgangs des Karnevals im deutschen Fernsehen wurde.

Ginge es nach ihm, würden sich die Reichweiten sicher anders gestalten. Stelter lebt den Karneval, sieht ihn sogar als absolut „lebensnotwendig“, wie er im Gespräch mit Quotenmeter.de betont. „Normalerweise sitzt der Deutsche zurzeit die meiste Zeit vor seinem Computer oder Fernseher und saugt sich die Informationen darüber rein, wie es gerade um die Welt steht“, bewertet Stelter die gegenwärtigen Gewohnheiten vieler Mitbürger. Man checke regelmäßig seine Mails und Nachrichtenseiten, um nachzusehen, was wieder Schlimmes passiert sei und es ginge einem dabei immer schlechter, erklärt der 54-Jährige. „Wenn man positive Bilder sehen will, muss man rausgehen. Das ist im Karneval der Fall: Man sieht bunte Szenen, trifft nette Leute, tanzt, singt und feiert und lacht vor allen Dingen, was genauso gesund ist, wie drei Minuten stark zu Rudern. Insofern sollte es Karneval eigentlich auf Krankenschein geben.“

Also durchaus ein guter Grund, die Faschings-Events vor Ort zu besuchen. Dennoch widmen sich pro Jahr mehrere Millionen Menschen auch den Karnevals-Übertragungen im Fernsehen, allein ARD und ZDF strahlten im vergangenen Jahr neun Karnevals-Programme aus, hinzu kommen zahlreiche Veranstaltungen in den Dritten. Für Stelter liegen die Gründe dafür, dass viele Karnevals-Fans eher die Fernsehübertragungen wählen, als vor Ort mitzumischen, auf der Hand. Vielen Leuten sei es körperlich anders gar nicht möglich. Um vor Ort dabei zu sein, müsse man sich ja schließlich aufraffen und rausgehen. "So eine Sitzung dauert auch mal fünf Stunden, da ist man danach auch fertig mit den Nerven.“ Zum anderen sei die Teilnahme am Karneval auch eine Geldfrage, das sieht auch Stelter ein: „Das ist durchaus ein teurer Spaß. Man braucht schon viel Glück, um eine Sitzungskarte unter 30 Euro zu ergattern. Wenn man dann noch ein Gläschen Wein dazu trinkt und etwas essen will, ist man schnell ganz schön im Geld. Vielen Leuten kommt der Fernseher da gerade recht.“

'Wir haben gar nicht so viele Künstler, die das machen können'
Dennoch ist ein Zuschauerrückgang im Rahmen der Fernsehübertragungen nicht zu leugnen. Zwar finden sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer noch wahre Quotenbringer, wie «Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht», das dieses Jahr im ZDF zu sehen ist, oder «Fastnacht in Franken», das im BR jährlich den Senderschnitt sprengt. Insgesamt nahm das Zuschauerinteresse im Rahmen der Faschings-Programme in den vergangenen Jahren aber deutlich ab, sodass ARD und ZDF erste Konsequenzen zogen: Statt neun Sendungen zeigen Das Erste und Zweite in diesem Jahr noch fünf Veranstaltungen. Auch der Karneval in Köln muss 2016 mit zwei statt wie zuletzt drei Sendungen Vorlieb nehmen. Für Bernd Stelter machen diese Kürzungen jedoch durchaus Sinn. „Als ich mit meinen Eltern damals in der Breitkorbcouch in Unna Stockum saß, gab es noch zwei Karnevalssitzungen im Fernsehen – am Rosenmontag aus Köln und am Freitag vorher mit «Mainz bleibt Mainz». Aus irgendeinem Grund, vermutlich weil es Quote gab, wurden später bis zu fünf Übertragungen aus Köln geliefert. Wir haben gar nicht so viele Leute, die das alles gucken können“, urteilt der Comedian und Liedermacher.

„Jeweils eine Sitzung in ARD und ZDF können wir großartig bestücken, da bin ich sicher. Aber wenn man so viele Sitzungen hat, dass auch Veranstaltungen gezeigt werden, die mit dem Kölner Karneval wenig zu tun haben oder auf denen Redner sprechen, die sonst auf keine große Sitzung kämen, dann macht es auch keinen Sinn“, meint Stelter. Sollte man aber weniger als diese beiden Sitzungen aus Köln zeigen, dann müsse sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen seiner eigentlichen Aufgabe besinnen, denn Karneval sei auch ein Kulturgut, fügt der Entertainer an. Dass der Brauch in Deutschland auch insgesamt an Popularität eingebüßt hat, sieht Stelter nicht: „Ich stehe jeden Abend auf Bühnen und diese Säle sind jeden Abend voll, mit bis zu 11.000 Zuschauern. Es gab vor Jahren mal eine Zeit, in denen teilweise mal fünf bis sieben Reihen leer standen, das ist aber in diesem Jahr absolut nicht der Fall“, schildert Stelter das Interesse vor Ort. Gerade in einer Zeit wie heute, in der man eine ganze Menge Fragen habe und sich Sorgen mache, müsse man zwischendurch mal sagen: ‚Feierabend. Jetzt gehe ich raus und feiere. Ich treffe Leute, tanze, singe und lache, dann ist das eine großartige Sache.‘ „Deswegen mache ich mir um Karneval keine Sorgen“, betont Stelter.

Krampfhaft ein Konzept zu entwerfen und sich zu sagen, dass man jetzt verjüngen müsse, das ist nicht nur bei vielen Fernsehsendern schiefgegangen, sondern würde auch ganz sicher im Karneval schiefgehen.
Bernd Stelter
Doch während sich einige Sitzungen im Fernsehen ungebrochen großer Beliebtheit erfreuen, verzeichnen die Karnevals-Übertragungen bei den 14- bis 49-Jährigen nach wie vor verhältnismäßig sehr niedrige Zahlen - und das obwohl der Karneval, der wie kaum ein anderes Event von seiner Tradition lebt, über die Zeit deutlich moderner wurde. Veränderungen gebe es laut Stelter permanent, nicht nur in Sachen Musik, sondern auch in Bezug auf die Redner. „Was Guido Cantz und ich auf der Bühne machen, ist auch Stand-Up-Comedy und damit nichts anderes, was es auch sonst im Fernsehen zu sehen gibt“, entgegnet Stelter den Unkenrufen, dass Karnevalssitzungen eine angestaubte Angelegenheit seien. Dennoch sei die Marke ‚Kölner Karneval‘ sehr alt. „Auch die Marke Persil werden Sie nie richtig sexy machen können, das ist halt Persil. Und ob das jetzt blaue oder gelbe Tabs hat, ist egal“, führt Stelter lachend aus. Gerade in Bezug auf die Reden seien heutige Auftritte gar nicht mehr mit früheren vergleichbar: „Wenn man sich mal anschaut, wie so eine Rede vor 20 Jahren aussah und das mit heute vergleicht, dann ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Früher wurde gereimt und alles hatte ein viel langsameres Tempo. Wenn man heute mit einer altmodischen, lahmen Rede auftritt, wirst du in Köln von der Bühne gepfiffen, bevor du gerade gucken kannst.“

Insofern macht sich der alteingesessene Karnevalist auch keine Sorgen, dass das junge Publikum dem Karneval langfristig gesehen den Rücken zuwendet. Treten junge Bands wie ‚Cat Ballou‘ oder ‚Kasalla‘ auf, stünden in den ersten fünf Reihen auch nur junge Mädels. „Diese Verjüngung findet permanent statt und das wird mit neuen Künstlern auch immer der Fall sein. Aber krampfhaft ein Konzept zu entwerfen und sich zu sagen, dass man jetzt verjüngen müsse, das ist nicht nur bei vielen Fernsehsendern schiefgegangen, sondern würde auch ganz sicher im Karneval schiefgehen.“ Junge Leute sähen heutzutage ohnehin noch kaum fern, vertrauen laut Stelter lieber auf Netflix oder holen Sendungen in Mediatheken zu einer Zeit nach, zu der es ihnen am besten passt. „Insofern würde jeglicher Aktionismus sein Ziel verfehlen.“
29.01.2016 11:57 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/83434