Die Kino-Kritiker: «Suite française – Melodie der Liebe»

«Suite française – Melodie der Liebe» zeigt Frankreich zur Zeit der Besatzung durch die Nazis: Machtspiele, Horizontale Kollaboration und eine melodramatische Romanze.

Filmfacts «Suite française – Melodie der Liebe»

  • Regie: Saul Dibb
  • Produktion: Romain Bremond, Andrea Cornwell, Michael Kuhn, Xavier Marchand
  • Drehbuch: Saul Dibb, Matt Charman; basierend auf dem Roman von Irène Némirovsky
  • Darsteller: Michelle Williams, Kristin Scott Thomas, Matthias Schoenaerts, Tom Schilling, Margot Robbie, Alexandra Maria Lara
  • Musik: Rael Jones
  • Kamera: Eduard Grau
  • Schnitt: Christopher Dickens
  • Laufzeit: 107 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Die Entstehungsgeschichte hinter dem Roman «Suite française» ist eine denkwürdige sowie tragische: Die französische Schriftstellerin Irène Némirovsky legte ihn während des Zweiten Weltkriegs als fünfteilige Geschichte über die Besatzung Frankreichs durch die Nazis an, konnte jedoch nur zwei Teile fertigstellen. Den Rest ihrer Geschichte über die verschiedenen Formen von Beziehungen, die sich zwischen den Besatzern und französischen Dorfbewohnern entwickeln, konnte die Autorin nicht vollenden, weil sie von den Nazis nach Auschwitz deportiert wurde.

Die Töchter Némirovskys erkannten erst 1998, dass ihre Mutter ein Romanmanuskript hinterlassen hat, und veröffentlichten es 2004 unter dem Titel «Suite française». Das Buch entwickelte sich zu einem internationalen Bestseller und erhielt nahezu durch die Bank weg hervorragende Kritiken. Vor allem fand im Feuilleton lobende Erwähnung, wie differenziert die Autorin auf das Thema der Horizontalen Kollaboration (also die sexuelle Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und Französinnen) eingeht.

Eben jener Aspekt aus der Romanvorlage ist auch die Triebfeder der internationalen Kinoadaption dieses Stoffes, bloß dass in der britisch-französisch-belgischen Gemeinschaftsproduktion aus einer komplexen Frage von Moral, Sinnlichkeit und Politik eine melodramatische Kitschromanze wird. In deren Mittelpunkt steht die junge Lucille (Michelle Williams), die 1940 gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter Madame Angellier (Kristin Scott Thomas) in einer Villa auf dem Lande nahe Paris lebt. Da Lucilles Mann Gaston in den Krieg gezogen ist, übernehmen nun die beiden Frauen die Aufgabe, Geld bei seinen Pächtern einzusammeln. Während Gastons Mutter große Angst davor hat, das Familienvermögen zu mindern und daher mit skrupellosem Kalkül Schulden eintreibt, zeigt die sensible Lucille größeres Mitgefühl mit den ärmlichen Bauern – was die Lage zwischen Lucille und Madame Angellier angespannter werden lässt.

Als Frankreich kapituliert und erst die Pariser Bevölkerung aufs Land flüchtet, bevor ihnen die deutsche Besatzungsmacht auf Schritt und Tritt folgt, intensiviert sich die Lage: Familie Angellier wird angewiesen, einen Nazi-Offizier als Hausgast aufzunehmen – und anders als ihre Bekannten, haben sie mit Offizier Bruno von Falk (Matthias Schoenaerts) noch Glück gehabt: Der zurückhaltende Offizier bewahrt Distanz zu seinen (unfreiwilligen) Gastgebern und bemüht sich, seine Dankbarkeit auszudrücken, während seine Militärkollegen keinerlei Benimm zeigen. Als die unglücklich verheiratete Lucille erfährt, dass Bruno genau wie sie eine große Passion zur Klaviermusik hegt, knüpfen die Beiden langsam engere Bande. Dies müssen sie vor Madame Angellier geheim halten, die wiederum darum bangt, aufgrund der sich veränderten Machtstrukturen im Dorf ihre hohe gesellschaftliche Position zu verlieren ….

Das Drehbuch von Matt Charman und dem obendrein als Regisseur tätigen Saul Dibb versäumt es, aus der Fallhöhe eben dieser Ausgangslage eine dramatische Erzählung zu spinnen, die berücksichtigt, in welchen Zwickmühlen sich Lucille und Bruno befinden. Während diese verhinderten Liebenden jedoch immerhin zweidimensional gezeichnet werden, verkommen die Nebenfiguren zu einseitigen Pappkameraden: Das 107-minütige Drama findet zwar Zeit, seine beiden Hauptfiguren zwischen ihrem inneren Verlangen und der Notwendigkeit, die politisch korrekte Fassade aufrechtzuerhalten, schwanken zu lassen, doch Rollen wie Widerständler Benoit (kernig: Sam Riley), die ärmliche Dorfbewohnerin Celine (verzweifelt dreinblickend: Margot Robbie) oder die Geflohene Leah (sympathisch: Alexandra Maria Lara) profitieren allein durch ihre namhaften, gegen das halbseidene Skript anspielenden Darsteller.

Der ärgste Stolperstein von «Suite française – Melodie der Liebe» ist jedoch, dass der verbotenen Liebe zwischen Lucille und Bruno die feurige Leidenschaft fehlt: Die ungewohnt schlafwandlerische Michelle Williams vermag es noch, die ersten, vorsichtigen Funken zwischen ihrer Figur und Matthias Schoenarts‘ Gentleman-Besatzer mittels strahlender Augen darzustellen. Doch das schleppend voranschreitende Skript und Saul Dibbs‘ zwar galante, aber leblose Inszenierung führen dazu, dass es beim Gefühl erster Sympathie bleibt: Die Figuren mögen sich zwar an der Oberfläche weiterentwickeln, ein Gefühl für deren Inneres, also für das Warum und Wie, bleibt dem Zuschauer indes verwehrt.

Zusätzlich erschweren es die spröden Dialoge den Hauptdarstellern, die bis zum Schluss mit den eingangs gezeigten Mienen durchs Bild schreiten und somit keinerlei charakterliche Wandlung erahnen lassen, auch nur im Ansatz eine erotische oder gar romantische Spannung zwischen ihren Figuren zu erzeugen. Die politische Dimension geht bei den Beiden gar vollkommen verloren: So, wie Rael Jones‘ Originalmusik die inhaltsarmen, in rötlich-güldenem Licht eingefangenen Szenen mit Lucille und Bruno mit Gefühl zu bereichern versucht, könnte der Plot auch aus einem Rosamunde-Pilcher-Film stammen. „Zwei Liebende, die sich nicht lieben sollten, weil … Es soll einfach nicht!“ Für den politischen Aspekt sorgen eher Tom Schillings widerlicher Nazi-Soldat und der wohlhabende Vicomte (Lambert Wilson), der sich die Gunst der Besatzer zu erkaufen versucht – aber für diese Subplots nimmt sich «Suite française – Melodie der Liebe» kaum Zeit, so dass sie flach bleiben. Wenn dann das Filmende zudem den Betrachtern durch Texttafeln jegliche Gedankenarbeit abnimmt, findet diese schale Romanadaption ihren konsequenten, da enttäuschenden Abschluss, ohne dass das Drama jeglichen positiv bleibenden Eindruck hinterlässt.

Fazit: «Suite française – Melodie der Liebe» ist ein visuell solide gestaltetes Drama mit einer ansehnlichen Besetzung, die von einem drögen, nichtssagenden Skript vollkommen unterfordert wird.

«Suite française – Melodie der Liebe» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
17.01.2016 22:22 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/83232