Von Mut, Freiheiten und Experimentierphasen

Vor dem Start der zweiten Staffel der «Vice Reports» haben wir mit RTL II-Programmdirektor Tom Zwiessler (rechts) und Tom Littlewood, dem Chefredakteur von Vice in Deutschland gesprochen. Was macht Vice anders als etablierte Magazine im Privatfernsehen? Was lief bei «Echtzeit» falsch und wo liegen die Ziele für Staffel zwei?

Unsere Gesprächspartner

Tom Zwiessler arbeitet seit Oktober 2014 bei RTL II. Zuvor war er Geschäftsführer von Story House Productions (u.a. «Galileo». Zwischen 2008 und 2010 verantwortete Zwiessler als Senior Vice President bei ProSiebenSat.1 TV Deutschland alle Factual-Programme von ProSieben, Sat.1 und kabel eins.

Tom Littlewood ist als Chefredakteur für alle Inhalte verantwortlich, die das deutsche Vice liefert. Dazu gehören neben den «Vice Reports» im Fernsehen natürlich auch die vielfältige Berichterstattung im Internet.
Herr Zwiessler, die erste Staffel «Vice» holte bei Ihnen im Programm ordentliche Quoten. Vor allem der Blick auf die Werte bei den 14- bis 29-Jährigen war für Sie immer erfreulich. Insofern: War es keine schwere Entscheidung, eine zweite Staffel zu bestellen?
Tom Zwiessler: Nicht nur wegen der guten Quoten ist uns das leichtgefallen. Die «Vice Reports» sind ein Format, das unser Programmportfolio sehr gut erweitert. Wir erreichen junge Zielgruppen wie kaum ein zweiter Sender, und wir unterhalten sie nicht nur, sondern wollen sie auch mit relevanten und innovativ präsentierten journalistischen Inhalten fesseln. Gerade bei den jungen Zuschauern haben wir gesehen, dass wir mit der starken journalistischen Medienmarke «Vice» auf dem richtigen Weg sind.

Herr Littlewood, wie ging es Ihnen: Wie sicher waren Sie sich, dass keine Suche nach einem neuen Partner fällig wird?
Tom Littlewood: Von uns aus stand es nie in Frage einen anderen Partner zu suchen, solange wir vom Sender die gleichen Freiheiten bekommen würden, unsere Geschichten so zu erzählen, wie wir es für richtig halten. Es freut mich sagen zu können, das ist bei Staffel 2 genauso gegeben.

Noch im Frühjahr gab es einige, die die Marke Vice nicht unbedingt bei RTL II erwartet haben. Und sie vielleicht auch deshalb nicht gefunden haben. Hat sich das nach zwölf Folgen der ersten Staffel nun geändert?
Zwiessler: Die Ratings sind im Verlauf der ersten Staffel tatsächlich leicht gestiegen. Das spricht dafür, dass das Format nach und nach seine Zuschauer findet. Die Art des Programms ist für RTL II neu und wir wollen den «Vice» Reports die Chance geben, ihr Publikum bei RTL II nachhaltig aufzubauen.

Wird es eine neue thematische Herangehensweise an die Themen von Vice in den neuen Folgen geben? Über welche Themen können Sie zudem schon jetzt sprechen?
Wir sind davon überzeugt, dass das, was wir machen, immer besser werden kann und muss. Insofern haben wir unsere Themenvielfalt in der zweiten Staffel erweitert, um große, relevante Themen der Tagesagenda sowie Menschenrechte, Umweltpolitik und den Umgang mit neuen Technologien zu behandeln
Vice-Chefredakteur Tom Littlewood
Littlewood: Wir sind davon überzeugt, dass das, was wir machen, immer besser werden kann und muss. Insofern haben wir unsere Themenvielfalt in der zweiten Staffel erweitert, um große, relevante Themen der Tagesagenda sowie Menschenrechte, Umweltpolitik und den Umgang mit neuen Technologien zu behandeln, und natürlich das auf eine Art und Weise, die man von «Vice» erwartet - direkt, authentisch und nah dran.

In wie weit soll sich in Staffel zwei auch der Mix aus amerikanischen Beiträgen und eigenen aus Deutschland verändern?
Littlewood: Für die zweite Staffel produzieren wir mehr Geschichten aus Deutschland, aber wie auch in Staffel 1 werden die «Vice Reports» wieder einen Mix aus unserem internationalen Content zeigen.

Herr Zwiessler, ie Sendung läuft weiter montags um 23.15 Uhr parallel zu RTL-Magazinen. Wieso ist dieser Sendeplatz dennoch sehr glücklich gewählt?
Zwiessler: Wir kommen uns da nicht in die Quere. «Vice» spricht vor allem die jungen Leute an und ist gerade bei jungen Männern überproportional stark. «Extra» spricht dagegen vor allem Frauen an. Da gibt es natürlich eine gewisse Überschneidung bei jungen Frauen, aber die ist kleiner als man denkt. Noch dazu sind die Angebote ja auch inhaltlich komplett unterschiedlich.

Welche Rolle spielen künftig eigentlich soziale Medien, also etwa Facebook, um ihre Botschaften zu verbreiten?
Littlewood: Soziale Medien sind seit ihrer Entstehung Teil unserer DNA. Facebook und Twitter sind starke Partner von Vice, die es uns ermöglichen sowohl unseren Content direkt an unsere Zielgruppe zu adressieren, als auch mit ihnen in den Dialog zu treten.

Sich bei journalistischen Inhalten vor allem die Generation Y vorzunehmen, ist ja eine gewagte Aufgabe. Weil Sie diese Frage aber schon öfter gehört haben, gehen wir es mal anders herum an. Was machen viele andere Medien oder Sender denn falsch?
Littlewood: Wir sind einfach mutig und machen uns von konventionellen Erzählformen frei. Aber für mich gibt es auch kein Falsch oder Richtig. Ich glaube, man muss authentisch sein und eine klare Haltung haben, dann wird man auch ernst genommen.

Sie hatten im Frühjahr ja durchaus eine kleine Magazin-Offensive gestartet, Herr Zwiessler, anders als «Vice» waren die Quoten von «Echtzeit» aber meist ziemlich enttäuschend. Wie lange ist Ihr Atem da noch?
Mit seinen individuellen Handschriften für jede einzelne Reportage fordert das Format die Zuschauer sicher mehr als andere. Hier gilt dasselbe wie für «Vice» – wir wollen Journalismus für junge Zuschauer interessant und zugänglich machen und befinden uns da in einer echten Experimentierphase. Bei unseren «RTL II News» sehen wir ja täglich, dass das funktionieren kann. Bei Magazinen und Reportagen sind wir noch auf dem Weg. Insofern arbeiten wir gerade mit den Autoren und Produzenten daran, aus der ersten Staffel «Echtzeit» zu lernen.
RTL II-Programmdirektor Tom Zwiessler über die mauen Quoten von «Echtzeit»
Zwiessler: Montags hat «Echtzeit» besser funktioniert als sonntags, das ist die gute Nachricht. Mit seinen individuellen Handschriften für jede einzelne Reportage fordert das Format die Zuschauer sicher mehr als andere. Hier gilt dasselbe wie für «Vice» – wir wollen Journalismus für junge Zuschauer interessant und zugänglich machen und befinden uns da in einer echten Experimentierphase. Bei unseren «RTL II News» sehen wir ja täglich, dass das funktionieren kann. Bei Magazinen und Reportagen sind wir noch auf dem Weg. Insofern arbeiten wir gerade mit den Autoren und Produzenten daran, aus der ersten Staffel «Echtzeit» zu lernen: was können wir besser machen? Die zweite Staffel wird ebenfalls am Montag in der Latenight laufen und wir hoffen, dass sich Nachhaltigkeit hier auszahlt auf Dauer.

Was macht Vice Ihrer Meinung nach auch erzählerisch anders? Anders als eines Ihrer früheren Projekte «Galileo» oder auch altgediente Magazine wie etwa «Akte 2015» etc.?
Zwiessler: Anders ist die radikal subjektive Perspektive der Reporter und ihre Bereitschaft, sich mitten ins Geschehen zu begeben, daran teilzuhaben. Das ist etwas, das gerade junge Menschen erwarten. Der Begriff ist arg strapaziert, aber es trifft zu: Junge Zuschauer suchen Authentizität und Unmittelbarkeit.

Die «Vice Reports» sind inhaltlich politischer und gehen aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen an. Anders als bei den von Ihnen genannten Magazinen haben wir außerdem eine andere Art von Produzent. Mit ihm verständigen wir uns über die Gesamtstrategie und diskutieren konstruktiv über die Inhalte – das ist ein sehr fruchtbarer Austausch. Die kreative Hoheit liegt jedoch bei Vice, was wir gut finden und unterstützen. Daraus entstehen ungewöhnliche Filme, die die Bedürfnisse der jungen Mediengeneration auf den Punkt treffen.

Gestatten Sie mir noch einen kurzen Schlenker zu einem anderen Magazin. Ihrem neuen Format «Klub»? Von eins bis zehn, wie hoch ist ihre Zufriedenheitsskala da aktuell?
Zwiessler: (lacht)Die Frage könnte ich Ihnen jeden Tag anders beantworten: von sehr zufrieden bis unzufrieden. Der Quotenverlauf ist noch volatil. So lange vermeide ich eine feste Zahl auf der Skala. Ich möchte gern die Testphase komplett abwarten.

Auch deshalb – wegen der enormen Schwankungen – hatte ich gefragt. Herr Littlewood, zum Abschluss unseres Gesprächs: Könnten Sie so nett sein und folgende Sätze ergänzen…

Die größte (und schönste) Überraschung im Jahr 2015 war…

Littlewood: …Herthas Klassenerhalt in der ersten Bundesliga.

Dauerhaft in Erinnerung bleiben wird mir aus diesem Jahr…
Littlewood:…der Rückblick auf die letzten 10 Jahre von Vice in Deutschland und wie weit wir gekommen sind.

Eines der spannendsten Themen 2016 wird…
Littlewood:
.. der Launch von «Vice News» in Deutschland.

Danke für das Gespräch.
16.11.2015 16:21 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/82022