Popcorn & Rollenwechsel: Cinema Purgatorio – Woran Filmkritiker leiden

Als Filmkritiker sitzt man nicht rund um die Uhr im Kino und glotzt selbstzufrieden auf die Leinwand: Vier Mitglieder dieser cinephilen Zunft verraten, welche Ärgernisse sie in ihrer Tätigkeit plagen.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das wissen wir Filmkritiker nur zu gut! Schließlich handeln viele Filme handeln davon. Und wenn wir dieses Sprichwort als Gesetz der Physik verstehen, trifft es ebenfalls zu: Kein Wechselspiel aus Licht und Schatten, kein Kinovergnügen. Darüber hinaus wissen wir von der Wahrheit dieser Redewendung, weil wir einen erfüllenden, spannenden, interessanten Beruf ausüben. Dessen vergnüglichen Aspekte wir mit vielen, vielen kleinen, nervigen Details bezahlen müssen. So, als bekämen wir einen maßgeschneiderten, unfassbar chicen Anzug geschenkt – bei dem das Schildchen im Nacken extrem kratzt und dessen Manschettenknöpfe lächerlich aussehen. Und bei dem die Naht in der rechten Achselhöhle aus irgendeinem Grund pikt, wenn wir uns zu hektisch bewegen. Ja, wir können über das große Ganze freuen. Die plagenden Feinheiten verschwinden dadurch aber nicht.

Welche Ärgernisse unser Job so mit sich bringt? Darüber möchte ich gern berichten … lassen. Um einen vielfältigen Blick auf die nervigen Kleinigkeiten zu erlauben, habe ich nämlich vier Kollegen gebeten, sich ihren Frust von der Seele zu schreiben …

Stefan Turiak, freier Filmkritiker, u.a. tätig für 'Widescreen'
Zunächst einmal sei gesagt, beziehungsweise geschrieben: Es ist mir ein Privileg, vor allen anderen Filme zu sehen und über sie zu schreiben. Ich liebe Filme und Kino, habe beides immer geliebt und werde beides noch lieben, wenn Kino nur noch eine blasse Erinnerung ist und wir Filme über eine Steckdose im Hinterkopf direkt in unser Gehirn einspeisen. Es handelt sich hierbei also über Meckerei auf höchstem Niveau. Etwas, was mich allerdings nervt, sind die teilweise willkürlichen Kontrollen, die mich und meine Kollegen vor den Pressevorführungen erwarten. Ein besonders schlauer Filmkritiker könnte ja schließlich, anstatt darüber zu schreiben, einfach den gesamten Film aufzeichnen und ins Internet stellen. Nach dem Motto: Seht es euch selbst an!

Ich schreibe „willkürlich“, weil diese Art von Kontrollen nicht bei allen Filmen geschieht. Auch das Ausmaß der Kontrollen unterscheidet sich von Film zu Film und von Verleih zu Verleih. Gelegentlich bittet uns ein netter, breitschultriger, zwei Meter großer Security-Angestellter, das Handy auszuschalten. Gelegentlich, insbesondere im Falle von Sony-Pressevorstellungen, gehen wir durch einen Metalldetektor, von dem ich immer leise hoffe, dass es ein Portal ist, das mich in eine andere Dimension voller Abenteuer führt. Auf der anderen Seite wartet allerdings meistens nur eine Security-Person, die mich freundlich, aber bestimmt, noch einmal mit den Händen abtastet. Ich schätze, Sony ist nach diversen Sicherheitslücken im letzten Jahr mittlerweile etwas paranoid geworden. Und es ist vielleicht ein geringer Preis dafür, dass wir Filme umsonst sehen können, dennoch kreiert es eine Atmosphäre des Misstrauens. Vor allem aber ergibt es keinen Sinn. In all den Jahren, in denen ich schon über Filme schreibe, habe ich noch nie erlebt, dass irgendjemand irgendetwas aufgenommen hat. Ich wiederhole: wir lieben Filme, wir lieben Kino, die meisten von uns jedenfalls, und deswegen möchten wir auch das Kino und die Kinoerfahrung erhalten und fördern. Wir würden unseren eigenen Interessen zu wider handeln, wenn wir diese Filme aufnehmen und womöglich über das Internet weiter verbreiten. Schließlich nehmen nicht nur Filmschaffende und Verleiher dadurch Schaden, sondern auch wir, diejenigen, die über Filme schreiben und mit Leidenschaft ins Kino gehen.

Das einzige Mal übrigens, dass ich jemanden beim Aufnehmen eines Filmes beobachtet habe, war in einer regulären Vorstellung von «Fast & Furios 7». Ein Herr, der eine Reihe vor mir saß, nahm Szenen des Films mit seinem Smartphone auf und verschickte diese per Whats App. Ich musste nicht einmal direkt über seine Schulter schauen, denn das Display des Smartphones ist besonders im dunklen Kinosaal so penetrant hell, dass ich das gesamte Geschehen aus den Augenwinkeln beobachten konnte. Hierbei handelte es sich um einen erwachsenen Mann, der mit seinem Sohn ins Kino ging und man kann sich vorstellen, wie der Herr Sohnemann sich zukünftig im Kinosaal verhalten wird. Sollten Sie, lieber Leser, dieser Herr sein, geben Sie sich bitte selbst eine heftige Ohrfeige, zeichnen Sie sich dabei mit dem Handy auf und schicken mir das Ganze bitte per Whats App zu. Und machen Sie das verdammte Handy im Kino aus!!!!

Zugegebenermaßen, ich komme hier von Hölzchen aufs Stöckchen. Mein Punkt ist: Falls es wirklich irgendwo einen Filmjournalisten gibt, der Aufnahmen während einer Pressevorführung macht, sollte sie oder er aus der Filmkritiker-Allianz ausgeschlossen werden. Außerdem: Es sollte eine Filmkritiker-Allianz geben! Wir könnten einen Eid schwören, einen geheimen Handschlag vereinbaren und geheime Treffen veranstalten, wo wir zeremoniell Smartphones auf einem Altar opfern.

Auf der nächsten Seite heißt es: Ranking-Zeit! Denn dort wartet eine Top 5 der nervigsten Dinge an der täglichen Arbeit als Filmkritiker auf uns!


Jörg Gottschling, freiberuflicher Texter und Journalist
Wer behauptet, ein Filmkritiker lebt ein cineastisch aufbrausendes Leben auf der Überholspur ratternder Filmrollen, der vermag bisher noch nicht zu sehen, dass wir uns nicht nur über gute Filme freuen dürfen, sondern wirklich alles sehen müssen. Obendrein setzen wir uns im Hintergrund jeden Tag mit schwerfälligen Presseservern auseinander und sind der scheinbaren Willkür mancher Verleiher ausgeliefert, die in ihren kleinen Köpfen wieder große Dinge planen und dabei nicht merken, dass weniger manchmal mehr ist.

Die Hürden des Filmkritikers liegen dabei vor allem in einem lückenhaften Informationsfluss: Auf der einen Seite wird man mit Trailern überflutet und auf der anderen Seite darf man bis eine Woche vor Kinostart noch auf das offizielle Filmplakat warten. Obendrein zeigt sich so manches Presseheft als lexikalisch-biografische Auflistung des Werdeganges von Hauptdarsteller, Regisseure bis hin zum Maskenbildern und scheitert daran, dem Filmkritiker eine gescheite Inhaltsangabe mitzuliefern. Diese fünf Dinge nerven mich als Filmkritiker jedoch am meisten:

1. Kinostartänderungen:
Wie oft fieberte man einem Termin entgegen und malte sich im Geiste schon einen perfekten Kinobesuch aus, nur um dann festzustellen, dass man noch ein paar Monate länger darauf warten musste, als gedacht? Es ist natürlich durchaus legitim, wenn der ein oder andere Film aus bestimmten Gründen (z.B.: die Konkurrenz ist zu hoch, der Film noch nicht fertig, die Synchro hat Probleme, die Zeit ist einfach nicht reif) nach hinten oder manchmal auch nach vorne verschoben wird. Aber der Halbtagsfilmkritiker kann nicht auf jeden Film zu jeder Stunde ein Auge drauf haben. Und wenn dann (trotz Presseakkreditierung) die E-Mails mit den Hinweisen auch noch ausbleiben, verkündet man als Filmkritiker schnell mal den Kinostart eines Filmes in der verkehrten Woche. Für einen wohl-geplanten Blogger, der Kinostart-Meldungen oft Wochen im Voraus plant und den Film gar nicht mehr auf dem Schirm hat, kann dieser fehlende Informationsaustausch beziehungsweise diese „plötzliche“ Kinostartänderung schnell peinlich werden.

2. Willkürlich-unlogische Filmtiteländerungen:
Meine Kritik an Kinostartänderungen lässt sich bei Filmtiteländerungen nahtlos fortsetzen. Denn auch hier ist man nicht immer sofort darüber im Bilde, um welchen Film es sich eigentlich gerade wirklich handelt. Klar, kann man bei fremdsprachigen Filmen den Titel nicht immer geschickt und wohlklingend ins Deutsche übersetzen. Eine Neubetitelung ist so oft unumgänglich. Doch hierin liegt eigentlich gar nicht der Kern meiner Kritik verborgen.
Schlimm wird es erst in dem Moment, wenn die Verleiher ihrer Kreativität freien Lauf lassen und auf das Fahrwasser erfolgreicher Filme aufspringen wollen oder sich von diesen distanzieren müssen. Dieses Jahr schaffte es Disney mal wieder für Verwirrung auf breiter Ebene zu sorgen, indem aus «Tomorrowland» zunächst [Projekt: Neuland]] wurde, nur um dann in «A World Beyond» umgetauft zu werden. Zwar hatte hier die erste Änderung rechtliche Gründe, mehr als eine Neubetitelung muss jedoch wirklich nicht sein. Lieber eine Woche länger am neuen Titel feilen, als alle zwei Woche den Titel ändern.

Gerne neigt man auch dazu, dass dem Originaltitel noch auf zweiter Ebene eine weitere Überschrift dazu gedichtet wird, damit der Zuschauer auch kapiert, dass es sich um einen Film aus derselben Reihe handelt – in diesem Fall durchaus nützlich, wenn es denn wirklich immer Filme aus derselben Reihe wären. Und was Wild Bunch dazu getrieben hat, aus «Burnt» am Ende «Im Rausch der Sterne» zu machen, ist mir bis heute nicht klar. Die Mühe hätte man sich ohnehin sparen können, den berauschend ist der Film wirklich nicht.

Aber das sind hier nur zwei Beispiele aus dem aktuellen Kinojahr, die einen Filmkritiker zum Meisterdetektiven machen, der akribisch digitale Filmdatenbanken durchkramt und nach dem wahren Film hinter einem kryptisch-deutschen Titel forscht.

3. Die unnötige Trailerflut:
Ein Blockbuster erhält heute mindestens drei reguläre Trailer. Dazu kommen noch der „finale Trailer“, Dutzende Filmclips und eine Handvoll Featurettes, die einen Blick hinter die Kulissen der Produktion erlauben. Alleine, was das bewegte Bildmaterial anbelangt, ist der potentielle Kinobesucher schon übersättigt, bevor er überhaupt im Kinosaal mit seiner überteuren Tüte Popcorn sitzt. Seit einigen Jahren bleibt es zudem gar nicht bei den großen Produktionen, sondern auch die Kleinen erhalten ihre audiovisuelle Werbefläche in Form von Trailerfluten im Internet.
Die Folge dieses Wahns, den der Zuschauer sogar verlangt, indem er immer wieder nach neuen Bilder zu «Star Wars VII» brüllt, zeigt sich an einer eiskalten Animationsfortsetzung sehr gut: «Ice Age 3» ist es gelungen, fast EIN VIERTEL des Films in Trailer und Clips vorab im Internet zu verbreiten. Ein lobenswerte Leistung, die jedoch einer marketing-technischen Katastrophe gleicht. Immerhin läuft man Gefahr, so ziemlich jedes Highlight eines Filmes bereits vor dem offiziellen Start zu verschleudern. Besucht werden diese Filme dann trotzdem, weil man sich als Zuschauer noch mehr erhofft. Doch am Ende wird man unweigerlich nur enttäuscht. Brillant vergeigt hat es so auch 20th Century Fox mit den «Minions». Die besten Szenen waren größtenteils in die Trailer und Clips verpackt und das große Lachen wurde im Kinosessel zu einem kleinen Schmunzeln degradiert, da der Zuschauer die wenigen wirklich guten Stellen leider schon kannte.

4. Launische Presseserver:
Der Zuschauer will Bilder, Trailer und harte Fakten zu seinen heiß-erwarteten Filmen bekommen. Das ist auch sein gutes Recht, immerhin will er auch davon überzeugt werden, dass er wirklich diesen oder jenen Film nicht verpassen darf. Bis dieses Material jedoch für ihn zugänglich ist, muss sich der Filmkritiker erst einmal selbst Zugang dazu verschaffen. Mittlerweile ist dies in unserer heutigen, digitalen Welt deutlich einfach als noch vor zehn Jahren. Und doch hinkt so mancher Presseserver in all seiner Kompliziertheit hinter her. Das Passwort stellt sich hier nur als das kleinste Problem heraus: In manchen Pressebereichen hält man sich Minuten, manchmal gar Stunden auf, um sich sein Material zusammen zu suchen und diesen dann herunterzuladen, nur um es dann für sich noch mal neu zu bearbeiten und auf seinen Portalen und Blogs wieder hochzuladen. Die Zeit für Kreativität bleibt hier auf der Strecke. Tatsächlich verbringe ich mehr Zeit damit, das Material zu sichten, zu ordnen und zu verarbeiten als ich für das Schreiben von Kritiken aufwende – wenn dann auch noch der Server streikt, ist die Nachtschicht schon vorprogrammiert.

5. Optimistisch-unrealistische Sperrfristen:
Zu guter Letzt noch eine der größten Hürden, die dem Filmkritiker in den Weg gelegt werden: Die Sperrfrist. Da darf man schon mal zwei Monate vor dem Kinostart den Film sehen, aber erst zwei Tage vorab über den Film berichten. Währenddessen muss man mit zusammengebissenen Zähnen mitansehen, wie die PR-Maschinerie einen mittelmäßigen Film zum Sommerhighlight verklärt. Natürlich ist diese Taktik legitim und der PR-ler in mir würde nicht anders vorgehen, doch Sperrfristen sind nicht nur ein großer Nachteil für den Filmkritiker, sondern vor allem für den Zuschauer, der sich informieren möchte, und das nicht erst einen Tag vorab. Obendrein ist durch den Konsum von Serien und Filme im Originalton sowieso ein Großteil der Zuschauer in der Lage, fremdsprachige Kritiken zu lesen, die bereits vorher das Internet überschwemmen.
Andersherum trifft es nicht selten auch wirklich gute Filme, bei denen eine Sperrfrist verhindert, dass sie schon frühzeitig gute Presse erhalten und dadurch Gefahr laufen, vom Zuschauer verpasst zu werden, weil dieser sich für diesen Kinomonat bereits für andere Filme entschieden hat.

Auf der nächsten Seite wird es persönlich! Denn dann lassen wir die Steinchen, die uns in den beruflichen Weg gelegt werden, aus den Augen. All das, um uns den anstrengenden Wesenszügen zu widmen, die unserer Zunft so häufig vorkommen …


Filmnärrin Antje Wessels, ihres Zeichens u.a. die hauseigene Quotenfrau von Quotenmeter.de
Mit der Geselligkeit unter Filmkritikern ist das so eine Sache. Gerade als selbstständige Journalistin hat man eigentlich nur bei den täglichen Pressevorführungen direkten Kontakt zu Kollegen. Es sei denn, man arbeitet in einer Redaktion unter vielen anderen, professionellen Filmguckern. Doch das ist die Seltenheit. Filmkritiker sind zumeist Eigenbrötler. Gerade meiner Wenigkeit kommt diese Arbeitsweise entgegen – ich bin von Natur aus ein Mensch, der gern sämtliche Fäden selbst in der Hand hält – es ist auch diese ganz spezielle Natur des Filmkritikers, weshalb ich nur mit den wenigsten meiner Zunft tatsächlich in Berührung kommen möchte. Dies hat mehrere Gründe.

Punkt eins: die Bequemlichkeit. Kein Berufszweig stöhnt schneller auf, wenn man zwischen zwei Filmvorführungen gefühlte 200 Meter vom einen zum anderen Kino fahren (nicht einmal laufen!) muss. Im Idealfall bringt der Filmverleih die zu besprechende Produktion ohnehin mittels Screener (also als DVD oder Online-Stream) in die eigenen vier Wände. Bloß nicht mehr bewegen, als nötig. Wie gut, dass es im Kino (noch) keine Stehplätze gibt.

Punkt zwei: das nicht vorhandene Pünktlichkeitsempfinden. Journalisten sind nicht pünktlich. Nie. Das ist Gesetz und bedarf keiner weiteren Erklärung. Wer sich dennoch selbst davon überzeugen möchte, der braucht nur einmal zehn Minuten nach offiziellem Filmbeginn ins Pressevorführungskino kommen und wird feststellen, dass der Film grundsätzlich noch nicht begonnen hat, da ein Großteil der schreibenden Zunft noch nicht eingetrudelt ist. Ist ja auch echt früh, so um zehn Uhr morgens.

Punkt drei: die Fehlerguckerei. Liebe Kollegen: Kritiker sein bedeutet nicht, einen Film auf Fehler abzuklopfen. Ihr schreibt Eure Rezensionen nicht für „die Kunst“ (meine Wenigkeit muss jedes Mal schmunzeln, wenn Kollegen felsenfest davon überzeugt sind, nicht für den Zuschauer, sondern die Kunst selbst zu schreiben), sondern für jene Leute, die möglicherweise vorhaben, sich Film xy im Kino anzusehen. Es bringt Niemandem etwas, wenn Ihr immer wieder beweist, wie anspruchsvoll Ihr in Eurem Filmgeschmack seid. Es bringt niemandem etwas, wenn Ihr Euch und Eure persönlichen Vorlieben als Maßstab nehmt. Fangt endlich an, im Sinne der Allgemeinheit zu denken und entfernt Euch aus Eurem sperrigen „nur Arthouse ist das wahre Kino“-Denken.

Gäbe es kein Unterhaltungskino, dann wäre die Filmbranche längst tot, weil der Massengeschmack auf Dauer nicht befriedigt wird. Dann würde sich vielleicht die vermeintliche Elite brav einmal die Woche in einem Programmkino treffen und sich selbst aufgrund des anspruchsvollen Filmgeschmacks auf die Schulter klopfen, doch die breite Zuschauerschaft würde in die Röhre schauen – und das Kino wäre dem Untergang geweiht.

Zu guter Letzt geht es passioniert zu! Denn auf der nächsten Seite steht ein nerviger Grundsatz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, der die Filmkritik als solches plagt – und nur mit Leidenschaft überkommen werden kann!


Sebastian Selig, Schreiberling & Kinoaktivist
In Deutschland über das Kino zu schreiben, heißt dies barfuß auf gleichförmig grauen Betonplatten im ganz kalten Wind stehend zu tun. Man schreibt dann in einem Umfeld, in dem das vorschnelle Aburteilen, die feige Ironie, wie leider vor allem auch immer nur wieder verkrampftes Schubladendenken gang und gäbe sind.

Am schlimmsten sind in dem Zusammenhang wohl die Genrefilmnerds zu nennen, die Blogs, Foren und Social Media mit ihrer bereits im Vorfeld feststehender, an Dummheit sich gegenseitig übertreffender Kritik zumüllen. Dabei immer und immer wieder in schlichtestem Deutsch, mit den immer gleichen falschen Stempeln, wie „Kultfilm“, „Trash“ oder „Für Fans ein Muß“ in der Hand, den Filmen die Freiheit versuchen zu nehmen. Deppentexte, die es einfach nicht begreifen können, warum man sich nicht an die Regeln hält und ihre simpel gestrickten Erwartungen von subversivem Getue und ironischer Distanz erfüllt sehen wollen. Schmollende Kinder. Empfindlich und ohne Mitgefühl. Als Nerds meinen sie, das Vorangegangene gut zu kennen und erwarten nun vom Kino, sich immer und immer wieder mit diesem vergleichen zu lassen. Kotzen sie wieder und wieder nur deswegen auf das Kino ab, weil es sie immer wieder spüren lässt, ihr kaltes Expertentum ist ein Sackgasse, die direkt in die völlige Lieblosigkeit führt.

Sie nerven. Und ebenso tut das jeder, sei er nun Schreiberling, Verleiher oder Kinobetreiber, wenn er glaubt, das Kino hätte Grenzen, wäre ein Medium um sich abzugrenzen. Diese Schubladenbauer zementieren sich hier eine enge Welt mit immer neuen Mauern zusammen, weil nichts schlimmer sein könnte, als mit offenem Herzen im Wind zu stehen und dort einfach mal Berührung zuzulassen.

Kino ist sinnlich. Ist in all seiner unbegreifbaren Größe, seiner hemmungslosen Vielfalt und Unberechenbarkeit ein kein Ende findendes, flirrendes Sexfest. Ein Liebesreigen. Ist Dir direkt ins Herz brandendes Licht und Hitzigkeit. Ist nichts, dem man deswegen zu verkopft gegenübertreten sollte. Es kleinzureden, es rund zu lutschen, weil man hofft, es passt dann vielleicht doch in irgendwelche Schubladen, wäre und ist in letzter Konsequenz nicht nur falsch, sondern auch zerstörerisch. Gegen all die kalten Arschlöcher, die das immer wieder versuchen, gilt es deswegen glühend anzuschreiben. Die Kritiker zu kritisieren. Die Klein-Klein-Bäcker mit dicken cinephilen Fruchttorten zu bewerfen. Im Kino unbefangen mit heruntergelassener Hose zu feiern. Jetzt.
16.11.2015 13:35 Uhr  •  Antje Wessels, Sebastian Selig, Stefan Turiak, Jörg Gottschling und Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/82020