Nie mehr Sommerpause: Wie Fußball im TV immer wichtiger wird

An diesem Samstag rollt das runde Leder wieder bei RTL. Der Einkauf der Qualifikationsrechte hat sich gelohnt – und generell werden immer mehr Sendeplätze auf immer mehr Kanälen mit Fußball gefüllt. Eine Bestandsaufnahme.

Live-Fußball im Free-TV

  • Fußball-WM der Frauen (ARD, ZDF, Eurosport)
  • U21-EM (ARD, ZDF)
  • UEFA Champions League (ZDF)
  • UEFA Europa League (Sport1)
  • diverse Club-Testspiele (Sport1)
  • International Champions Cup (Sport1)
  • Telekom Cup (Sat.1)
  • EM-Qualifikation (RTL, RTL Nitro)
  • DFB-Testspiele (ARD, ZDF)
  • 2. Bundesliga (Sport1)
Irgendwie will doch niemand verzichten: Bei bestem Sommerwetter saßen am 6. Juni, einem Samstagabend, fast zehn Millionen Menschen vor dem Fernseher, um sich das Finale der UEFA Champions League anzuschauen. Ein Finale ohne deutsche Beteiligung, wohlgemerkt. Im Vorjahr, beim Finalduell der beiden Clubs aus Madrid – Real und Atletico – sahen rund siebeneinhalb Millionen zu, 2011 gar nur etwas mehr als fünf Millionen, als ebenfalls kein deutscher Club im Endspiel stand. Auch diese Werte zeigen das gestiegene Interesse am Fußball. An einem Sport, der nicht mehr Halt macht vor den Zuschauern, der omnipräsent durch die Programmpläne wandert. Fußball ist die heißeste Ware im TV-Geschäft geworden. Aber auch die teuerste.

Wenn RTL an diesem Samstagabend das nächste deutsche Spiel in der EM-Qualifikation überträgt, wird man sich in Köln nicht über solche gezahlten hohen Rechtegelder ärgern. Denn der Einkauf hat sich gelohnt. Rund 10,7 Millionen Zuschauer hatten die fünf bisher gezeigten Partien, Tendenz steigend. Bei der letzten Übertragung sahen teils sogar über 12,5 Millionen Menschen zu – trotz eines vermeintlich unattraktiven Gegners Georgien. Die Zahlen lassen vermuten, dass RTL in der Endphase der Qualifikation gegen die direkten Konkurrenten Polen und Schottland noch einmal deutlich an Quote gewinnen wird. Im Übrigen hielt man die Einschaltquote der Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft: Die WM-Qualifikation 2014, die ARD und ZDF noch gemeinsam übertragen hatten, kam im Schnitt auf 10,57 Millionen Zuschauer. RTL hat also trotz des Senderwechsels keine Zuschauer verloren – und kann angesichts der anstehenden entscheidenden Partien darauf hoffen, sogar noch stärker ins Ziel zu gelangen.

Die Rechnung für den Privatsender ist voll aufgegangen, er kann sich nach dem Abschluss der EM-Qualifikation auch auf starke Quoten in den kommenden Fußballjahren freuen. Denn auch die Rechte an den deutschen Qualifikationsspielen für die WM 2018 hat man eingekauft. Inhaltlich liefert man zufriedenstellende Arbeit ab: Florian König und Jens Lehmann zeigen als Moderationsduo eine solide Leistung; der Espresso für Jogi Löw nach dem Spiel ist schon zur kleinen Tradition geworden – anfangs verschmäht, nun gern getrunken. Der Bundestrainer scheint sich wohl zu fühlen im RTL-Studio.

Fußball, die begehrte Fernsehware
RTL steht stellvertretend für den wachsenden Markt der Fußballübertragungen im Fernsehen, und für die Vergrößerung von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage steigt zweifelsohne; immer mehr Sender wollen Fußball zeigen, wollen etwas vom Quotenkuchen abhaben. Im Herbst 2015 startet Sport1 seine vielleicht größte Offensive im Live-Fußball: Dann präsentiert man die UEFA Europa League, und angesichts des in diesem Jahr extrem prominent besetzten deutschen Teilnehmerfeldes – mit Schalke 04 und Borussia Dortmund – sind Zuschauerrekorde vorprogrammiert. Auch kabel eins hatte ebensolche, allerdings nicht mit so beliebten Fußballclubs wie besagtem Schalke 04. Zuletzt konnte man an die starken Zahlen der Vorjahre nicht mehr anknüpfen, weil die beliebten deutschen Teilnehmer fehlten, die meist noch früh im Wettbewerb ausschieden.

Sport1 dürfte zumindest in diesem Jahr weniger Probleme haben – und ruft zugleich einen vollgepackten Fußballsommer aus: Bevor die Europa League startet, überträgt man im Juli Testspiele des FC Bayern und des BVB, außerdem zeigt Sport1 den «International Champions Cup», einem hochkarätig besetzten Fußball-Turnier in Spielstätten auf der ganzen Welt. In diesem Jahr nehmen unter anderem Real Madrid, der FC Barcelona und der FC Chelsea teil. Sat.1 überträgt die heimische Variante, den Telekom Cup, seit Jahren. Auch 2015 rollt der Ball, dabei sind vier Traditionsteams. Selbst der Mini-Sender RTL Nitro hat sich ins Geschäft eingekauft, zeigt in den kommenden Jahren mindestens 20 Live-Spiele der EM- und WM-Qualifikationen ohne deutsche Beteiligung. Die RTL-Gruppe ist wortwörtlich auf den Ball gekommen.

Aber selbst bis dahin können Fußballfans auf ihre Kosten kommen: Derzeit übertragen ARD und ZDF prominent im Hauptprogramm die Fußball-WM der Frauen, fünf Millionen Menschen sahen den Auftakt der DFB-Elf, sogar sieben Millionen das zweite. Selbst Spiele wie Schweden gegen Nigeria lockten am Spätabend fast zweieinhalb Millionen Sportinteressierte an, Eurosport überträgt weiterhin das gesamte Turnier. Schon in der kommenden Woche startet außerdem die U21-Weltmeisterschaft, ein Wettbewerb, den ARD und ZDF ebenfalls in der Primetime live übertragen werden – anders als vor vier Jahren. Sport1 zeigt außerdem weitere Partien ohne deutsche Beteiligung.

Der Live-Faktor als Argument
Dieser Fußballsommer legt zweifelsohne eine neue Messlatte in Sachen Fußball-Übertragung. Bislang galt mehr oder weniger die Regel: Wenn nicht gerade eine WM oder EM der deutschen Nationalmannschaft stattfindet, dann ruht der Ball im Sommer größtenteils – also alle zwei Jahre. Es ist zu vermuten, dass diese Regel nicht mehr gilt, dass es künftig gar keine Pause mehr gibt. Die Turniere der DFB-Frauen wurden bereits in den vergangenen Jahren gezeigt und sorgten für das eine oder andere Sommermärchen. Jetzt also sind auch noch die Jungmannschaften dran, allen voran die U21. Im Unterschied zu 2011 wird dieses Turnier prominent gefördert, auf Primetime-Sendeplätzen der Öffentlich-Rechtlichen. Vor vier Jahren versandete das Turnier mit mäßigen Quoten bei kabel eins – dies ist in diesem Jahr nahezu ausgeschlossen.

Geht die Entwicklung weiter, wird es also keine fußballfreien Sommer mehr geben: 2016 steht die traditionelle EM an, 2017 dann wieder weitere Turniere, darunter die U21-Europameisterschaft und die EM der Frauen. Auch diese werden wohl zur besten Sendezeit zu sehen sein – sofern die Quoten stimmen, und das taten sie im Fußball zuletzt immer. Warum die Nachfrage steigt, ist durchaus zu erklären: Einerseits wegen des allgemeinen weltweiten Fußballbooms, der in den vergangenen Jahren nicht nur zu steigenden Einschaltquoten, sondern auch zu volleren Stadien, mehr verkauften Merchandising-Artikeln und ausgelasteten Public-Viewing-Plätzen geführt hat. Fußball ist eine Art Gladiatorenkampf der Neuzeit, an dem sich die ganze Welt – zunehmend auch Amerika – erfreut. Und andererseits steuert man mit Live-Fußball einem ganz grundsätzlichen Problem des linearen Fernsehens entgegen: Immer weniger lohnt es sich, das klassische TV einzuschalten, wenn man alle Programme – insbesondere Serien und Filme – auch zeitversetzt in Mediatheken oder auf Streaming-Plattformen viel bequemer empfangen kann. Die Informationsrelevanz des Fernsehens sinkt ebenfalls, Nachrichten holen sich die meisten aus dem Netz. Wo es sich lohnt, vor dem Fernseher zu sitzen, ist für Live-Events – für Sendungen also, die man direkt miterleben will und nicht zeitversetzt, die mitreißen und spannende Momente produzieren. Live-Fußball ist das größte dieser TV-Events, und es wird daher immer mehr nachgefragt, auch bei kleineren Sendern.

Dies beschreibt zugleich die anfangs angesprochenen Vergrößerung des Angebots: Weil die Nachfrage nach Fußball-Übertragungen steigt, werden immer mehr Spiele und Turniere für das Fernsehen eingekauft und prominent gezeigt. Beispiel U21-EM, die ARD und ZDF diesmal groß aufziehen. Beispiel Test- und Freundschaftsspiele: Sender wie Sport1 oder RTL Nitro kaufen interessante Duelle fleißig ein, zur Not natürlich auch ohne deutsche Beteiligung. Das Angebot wächst also, irgendwann aber werden die attraktiven Rechte vergeben sein. Ob dann Turniere wie die der U20 oder U19 auch noch in den Blickpunkt rücken, bleibt abzuwarten. Weiterhin gibt es Wettbewerbe wie die Youth League, welche die UEFA immer stärker vermarktet. Eine Champions League für junge Spieler. Bislang liegen die Rechte bei Eurosport.

Es ist aber auch damit zu rechnen, dass die bereits vergebenen Rechte immer begehrter werden – und immer teurer. Schon jetzt hat sich die Bundesliga öffentlich in Sachen TV-Vermarktung unter Druck gesetzt und will künftig deutlich mehr erlösen. Dies mag dazu führen, dass der Spieltag weiter aufgeteilt wird oder dass die Übertragungsrechte künftig von mehreren Parteien geteilt werden. Es ist möglich, dass wir Zuschauer uns auch hier auf neue Sender, auf neue Gesichter einstellen müssen. So wie 2014, als RTL sich kurzerhand die EM-Qualifikationsrechte schnappte. Auch das hätte vorher niemand gedacht.
13.06.2015 12:17 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/78843