Die Kritiker: «Freddy tanzt»

Am Sonntagabend zeigt Das Erste im Rahmen des «Tatorts» aus Köln einen überaus gelungenen Fall der Ermittler Ballauf und Schenk.

Cast & Crew

  • Regie: Andreas Kleinert
  • Drehbuch: Jürgen Werner
  • Darsteller: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Joe Bausch, Ursina Lardi, Anna Stieblich, Gudrun Ritter, Theo Pfeifer, Robert Gallinowski, Matthias Reichwald, Laursa Sundermann, Lina Wendel u. a.
  • Kamera: Johann Feindt
  • Schnitt: Gisela Zick
  • Szenenbild: Myrna Drews
  • Musik: Daniel Dickmais
Regisseur Andreas Kleinert bittet die Zuschauer im neuen «Tatort» aus Köln in eine äußerlich spießbürgerliche Lebenswelt, deren Abgründe erst sichtbar werden, wenn man bereits einen Schritt über die Schwelle getan hat. Dabei lässt der Einstieg in die Erzählung eigentlich keine Zweifel daran, dass die kommenden neunzig Minuten einen Blick auf den schmutzigen Kollateralschaden der kapitalistischen Gesellschaft eröffnen werden. Drei erfolgreiche Bänker feiern ihre jüngsten Bonuszahlungen in einer luxuriösen Bar, in der am selben Abend der seit geraumer Zeit obdachlose Pianist Daniel Gerber am Klavier sitzt, um sich eine Anstellung zu erspielen. Weder dem Verantwortlichen des Etablissements, noch den drei Herren gefällt die Darbietung, worauf der erfolglose Musiker nach seinem Rauschmiss mit letzteren in einen Konflikt gerät. Tage später wird seine Leiche gefunden, und obgleich die Ermittlungen Ballauf und Schenk schnell auf die Spur der drei Hauptverdächtigen führt, verkompliziert sich die Lage deutlich, als klar wird, dass das Opfer vor seinem Tod blutüberströmt durch das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses schritt.

Andreas Kleinert, vierfacher Träger des Adolf-Grimme-Preises und Inhaber einer Professur für Film- und Fernsehregie an der Filmuniversität Babelsberg, ist prädestiniert dafür, ein vielschichtiges Drama zu inszenieren. Ballauf und Schenk müssen sich als etablierte Kommissare nicht mit gewagten cineastischen Experimenten im «Tatort»-Kosmos beweisen, stattdessen können Autor und Regisseur auf den komplexen Protagonisten aufbauen – und deren Charakter dabei von neuen Seiten beleuchten. Während Dietmar Bärs Rolle Freddy Schenk zwischen seiner festen Beziehung und einer außerehelichen Liebelei schwankt, muss sich Klaus J. Behrendt als Max Ballauf seinem schlechten Gewissen erwehren, das ihn quält, weil er nach dem tagelang vermissten, von Matthias Reichwald dargestellten, heimatlosen Pianisten, nicht sofort polizeilich suchen ließ, als dessen Mutter an der Wohnungstür klingelte.

Eben jene ist auch seine Nachbarin, wobei ihm dieser Umstand in den vergangenen 17 Jahren verborgen geblieben war. Er muss sich aber kaum dafür schämen, schließlich tun es ihm zahlreiche Nebenfiguren mit seiner Schwäche in Frage sozialer Interaktion gleich. Das Mehrfamilienhaus, in dem der verletzte Obdachlose nach Hilfe suchte, steht ganz im Zentrum der Handlung und stellt eine wunderbar in Szene gesetzte Metapher für die dunklen Winkel der Gesellschaft dar. Dabei präsentieren sich die eigenen vier Wände der Bewohner als „gated community“, wobei unklar ist, ob hier ein- oder ausgesperrt werden soll – in jedem Falle verborgen bleiben sollen sowohl die geheimen Gefühle des dort heimischen Sporttrainers, als auch die zweifelhaften Kontakte der alleinerziehenden Mutter, die Gefahren, der sich die geschieden lebende Übersetzerin mit jedem Schritt vor die Tür aussetzt und die esoterisch verblendete Welt eines Ehepaars im fortgeschrittenen Alter.

Letztere sorgen dabei für die heitersten Momente des «Tatort» – das Wirrwarr um die Hörprobleme der Ehefrau frischt den bei allem oberflächlichen Glanz düsteren Krimi auf, wobei hie und da der Eindruck entsteht, dass die Macher es in diesen Szenen etwas zu weit getrieben haben. Der humoristische Ausflug, angesiedelt relativ zu Beginn der Handlung, lässt die Zuschauer für einen Moment in kritischen Zweifeln zurück, in welche Richtung sich der Film entwickelt. Später werden alle Befürchtungen, dass das Drama auf zwangsbespaßten Nebenstraßen weitererzählt werden könnte, zerstreut, was auch an der famosen Leistung aller Schauspieler liegt. Weder Niobe Carolin Eckert als junge Tochter, die in etwa das hundertfache Talent einer Schweiger-Tochter in ihre Rolle investiert oder Marita Gerber, die der Mutter des Opfers Lina Wendel Leben einhaucht, lassen Zweifel ob der optimalen Besetzung aufkommen.

Ausgereift präsentieren sich nicht nur Handlung und Cast, sondern auch die Kameraarbeit von Johann Feindt, der in der kleinen Welt des Wohnhauses mehr Winkel und Perspektiven auf Film bannt, als man auf unserem Planeten zu entdecken erwartet. Viel Aufmerksamkeit wird dem Thema Musik nicht nur als Teil der Handlung gewidmet, Komponist Daniel Dickmeis beweist darüber hinaus, dass sich seine und die Karrierewege des Regisseurs nicht zum ersten Mal gekreuzt haben. Insgesamt präsentiert sich «Freddy tanzt» als Film, der nicht nur den Freunden des «Tatort», sondern auch den meisten seiner Skeptikern gefallen dürfte. Wäre jede Produktion in Deutschland in all seinen Aspekten so gelungen wie dieser Krimi, müsste man sich hierzulande deutlich weniger der Ergüsse der Branche wegen grämen.

Das Erste zeigt den jüngsten «Tatort», «Freddy tanzt», am Sonntag, den 1. Februar, ab 20.15 Uhr.
01.02.2015 10:00 Uhr  •  Kevin Kyburz Kurz-URL: qmde.de/76052