Pflaume: ,Ein paar Klischees und Vorurteile ausräumen'

Im zweiten Teil unseres großen Interviews sprechen wir mit Kai Pflaume ausführlich über „«Zeig mir deine Welt»“ – über die Hauptdarsteller des Formats, die Kraft der Senderfamilie ARD, Spontanität und den Quotendruck.

Was ist eigentlich das Down-Syndrom?

Bei dem sogenannten Down-Syndrom handelt es sich um eine Genkrankheit, bei der das 21. Chromosom oder Teile davon dreifach vorhanden sind und nicht wie üblich nur zweifach. Das führt dazu, dass Menschen mit Down-Syndrom in ihren geistigen Fähigkeiten eingeschränkt sind. In Deutschland werden jährlich ca. 1200 Kinder mit Down-Syndrom geboren.
Herr Pflaume, am heutigen Abend geht die erste Folge von «Zeig mir Deine Welt» auf Sendung. Was erwartet die Zuschauer?
Lebensfreude pur! Wir machen keine Info-Sendung zu Down-Syndrom, wir gehen da nicht journalistisch heran. Down-Syndrom ist nur die Klammer, die unsere sechs Hauptdarsteller vereint. Im Mittelpunkt stehen der Spaß und die Lebensfreude von Menschen, die ich in ihrem Alltag begleite.

Um konkreter zu werden: Wie ist die Sendung aufgebaut?
Zunächst einmal besuche ich unsere sechs Hauptdarsteller zu Hause und lerne sie kennen. Aus den Gesprächen heraus, die wir mit unseren sechs geführt haben, hat sich eine ganze Menge entwickelt. Ottavio erzählt mir beispielsweise, dass er total gerne zum Frisör geht. Ich frage ihn natürlich wieso. Darauf erzählt er mir, dass er seine Frisörin ganz toll findet. Aus Interesse habe ich dann einfach so gefragt: „Wie heißt die denn?“ – das wusste er aber nicht. Wir haben spontan beschlossen, zum Frisör und der Sache auf den Grund zu gehen. Nach diesem Muster haben sich viele tolle Geschichten ergeben. Mit Anna, die jede Woche reiten geht, bin ich beispielsweise auf den Reiterhof gegangen. Oft habe ich aber noch nicht auf einem Pferd gesessen, da gibt es also einiges zu lachen.

Sieht danach aus, als ob Sie ganz auf den Faktor Spontanität gesetzt haben…
Genau, die gezeigten Dinge sind immer Aktionen, die aus den Gesprächen mit den Menschen heraus entstanden sind. Und das ist der zentrale Unterschied zu anderen Fernsehsendungen: Wir bringen nicht die fertigen Geschichten mit. Wir kommen nicht an und haben einen Drehplan in der Tasche, sondern wir fragen unsere Hauptdarsteller einfach, was sie heute vorhaben. Und dabei begleiten wir sie dann.

Sind Sie mit dieser passiven Haltung nicht auch ein gewisses Risiko eingegangen?
Das Risiko, dass irgendetwas schiefgehen könnte, habe ich nie gesehen. Gut, man weiß halt nicht, was man alles gefragt wird und mit was für Momenten man konfrontiert wird – wie beispielsweise Ottavio, der gleich zur Begrüßung sagte: ,Oh, Du hast aber zugenommen!'(lacht) Solche Überraschungen erlebt man – aber ich liebe Überraschungen, denn sie machen es erst spannend. Immer, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, ist das das Salz in der Suppe – dann bist du nämlich spontan nach Lösungen gefragt und musst in irgendeiner Form reagieren. Das macht mir großen Spaß.

Irgendwelche Schreckensszenarien gehen Sie also nicht durch?
Egal um welche Überraschungsshow es geht: Du kannst sie nicht proben. Wir könnten uns ja immer fünf Varianten überlegen, wie er oder sie reagieren könnte. Im Endeffekt würde sie vermutlich aber in einer Form reagieren, die wir nicht geprobt haben und dann wäre es erst recht kompliziert. Solche Situationen müssen spontan gelöst werden und ich denke, das ist etwas, was mir liegt und Spaß macht. Insofern habe ich das auch hier nicht als Problem empfunden.

Aus Ihren Erfahrungen: Was unterscheidet Menschen mit Down-Syndrom in ihrem Verhalten gegenüber der Mehrheit?
Meine Erfahrungen sind, dass Menschen mit Down-Syndrom sehr körperlich sind und ihre Gefühle sehr intensiv zeigen. Wir verleihen unserer Freude auf ganz andere Art und Weise Ausdruck. Selbst wenn man sich gut kennt, kommt es selten vor, dass sich Männer herzlich umarmen – das gehört nicht zum gesellschaftlichen Bild. Menschen mit Down-Syndrom sind da anders.
Bevor Sebastian, ein Schauspieler mit Down-Syndrom, den wir begleitet haben, einen Auftritt hatte, bin ich zu ihm hingegangen und habe ihm viel Glück gewünscht. Daraufhin hat er mich ganz fest umarmt – und hat mich gar nicht mehr losgelassen. Das führte dann dazu, dass einer nach dem anderen dazukam, einer nach dem anderen hat sich angedockt, was zu echtem Gruppenkuscheln führte. Wir standen da in einer großen Gruppe und hatten alle im Arm – aber das war ein schönes Gefühl und ein guter Moment, den man nicht so häufig hat.

Das Down-Syndrom ist zwar jedem ein Begriff, doch näheren Kontakt mit Betroffenen haben wohl die wenigsten. Wie war das bei Ihnen: Hatten Sie Berührungsängste?
Überhaupt nicht! Ich habe zwar keine Personen mit Down-Syndrom in meinem unmittelbaren Umfeld, bin privat oder beruflich doch immer wieder mal Menschen mit Down-Syndrom begegnet. Berührungsängste sind mir aber insgesamt nicht eigen, da ich ein sehr offener Mensch bin. Ich gehe auf die Menschen zu, lasse Menschen aber auch nah an mich heran. Das ist mein Alltag – und ich denke, dass das für die Produktion wichtig ist.

«Zeig mir Deine Welt» ist sicherlich keine gewöhnliche 0815-Sendung – da werden sich alle einig sein. Zudem kam die Idee zum Format von Ihnen selbst. Wie schwer war es, die Verantwortlichen von Ihrer Idee zu überzeugen?
Ich habe etwas in der Art vor knapp vier Jahren in Holland gesehen und war total vom Thema und der Machart begeistert – damals war ich wie Sie wissen noch bei Sat.1. Dort habe ich meine Idee eingebracht, für die Verantwortlichen stand aber schnell fest, dass sie dem keine Chance geben werden. Bei der ARD hat man sich die Zeit genommen, sich mit diesem Projekt zu befassen. Bis man sich diese ganze Sendung einmal vorgestellt hat und im Kopf durchgegangen ist, braucht es halt seine Zeit. Grundsätzlich waren die Verantwortlichen aber offen für meinen Vorschlag.
Schlussendlich habe ich viele Verbündete gefunden, die meine Idee nicht weniger stark fanden als ich. Nur so konnten wir das Projekt so erfolgreich umsetzen und es so prominent platzieren. Als wir mit Sebastian, unserem Schauspieler mit Down-Syndrom, gedreht haben, fanden wir nämlich zufällig heraus, dass es diesen ARD-Film gibt…

Das war rein zufällig?
Ja, wir hatten Sebastian ausgewählt, weil er Schauspieler am Ramba-Zamba-Theater in Berlin ist – und eine sehr interessante intellektuelle Seite hat. Irgendwann hat er mir dann von dem Film «So wie du bist» erzählt, der von zwei Menschen mit Down-Syndrom handelt. Daraufhin haben wir uns natürlich sofort erkundigt, ob er schon gezeigt wurde. Als wir erfuhren, dass er noch ausstand, war für uns klar: Wir müssen das zusammen bringen! Das ist aber auch eine große Stärke der Senderfamilie ARD – wenn sie sich eines Themas annehmen, bekommt dieses auch eine große Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Wie schwer war es, Menschen mit Down-Syndrom zu finden, die bereit sind, sich begleiten zu lassen?
Das brauchte natürlich Überzeugungsarbeit. Die Eltern haben nicht gesagt: ,Oh, das Fernsehen, endlich wird unser Sohn/unsere Tochter berühmt‘. Ganz im Gegenteil! Erst als sie erfahren haben: Das ist für die ARD, es ist mit Kai Pflaume und mit i&u gibt es eine seriöse Produktionsfirma, haben uns die Familien einen Vertrauensvorschuss gewährt.

Leidet eine derartige Produktion auf der Suche nach Hauptdarstellern auch unter dem Trash im Fernsehen, unter den Sendungen, die Menschen vorführen?
Naja, man merkt es schon an einigen Stellen. Deshalb finde ich es aber gut, dass die Familien zunächst auch kritisch hinterfragt haben. Oft hat man das Gefühl, dass Menschen sich viel zu leicht dem Medium Fernsehen hergeben. Wir unterhalten die Zuschauer nicht, indem wir unsere sechs Hauptdarsteller vorführen, wir lachen mit ihnen, aber nicht über sie. Das ist ein ganz großer Unterschied.

Glauben Sie denn, dass die Zuschauer für ein solches Format aufgeschlossen genug sind?
Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die Leute, die das Format sehen, nicht sagen werden: ,Was war das denn für ein Schmarn?‘ Die werden eher sagen: ,Das hat mir Spaß gemacht, das hat mir gefallen.‘ Die Herausforderung ist es zu schaffen, dass die Zuschauer schon vorher verstehen, dass es bei «Zeig mir Deine Welt» wirklich um gute Unterhaltung geht. Aber in der Kombination mit dem Fernsehfilm «So wie du bist» sehe ich da ein starkes Doppelpack.

Inwiefern wird die Quote für Sie und die ARD entscheidend sein?
Viel interessanter als die Quote ist bei «Zeig mir deine Welt» für mich zu sehen, wie der Zuschauer mit dem Thema umgeht und wie er die Form der Umsetzung sieht. Ich habe vor einem Jahr «Quarks und Co» gesehen, wo Ranga Yogeshwar das Thema aus wissenschaftlicher Sicht präsentierte. Das war wirklich gut und sehr interessant. Wir haben für uns allerdings den unterhaltsamen Ansatz gewählt. Bei «Zeig mir Deine Welt» ist die Quote sicherlich nicht der oberste Gradmesser.

Sie senden also ohne Quotendruck?
Den Quotendruck gibt es schon, nur hat er hier eine andere Bedeutung: Für uns ist es eher die Bestätigung, ob der Zuschauer da draußen das Thema annimmt und weniger die Tatsache, dass Ergebnis xy über dem Senderschnitt liegt oder nicht. Nicht zuletzt, weil es auch eine Herzensangelegenheit von mir ist, würde ich mich über gute Quoten freuen.

Gehen wir einmal davon aus. Wäre eine Fortsetzung denkbar, oder ist «Zeig mir deine Welt» bewusst als Event geplant?
Ich persönlich könnte mir schon eine Fortsetzung vorstellen, aber «Zeig mir Deine Welt» ist sicher keine Sendung, von der man 20 Folgen im Jahr macht.

Welches Ziel verfolgen Sie persönlich mit «Zeig mir deine Welt»?
Ich möchte das Thema von einem unterhaltsamen Ansatz her präsentieren. Ich glaube nämlich, dass man über Unterhaltung andere Menschen für das Thema öffnen kann, weil man mit einer Unterhaltungssendung automatisch anderes Publikum anspricht als mit einer reinen Informationssendung. Vielleicht erreichen wir damit auch vermehrt junge Menschen. Es ist nicht so, dass ich mit den vier Sendungen die Welt verbessern will, aber wenn sie ein paar Klischees und Vorurteile ausräumen könnte, wäre das ein toller Nebeneffekt.

Herr Pflaume, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Die Auftaktfolge von «Zeig mir Deine Welt» sendet Das Erste heute Abend um 21.45 Uhr. Weitere Folgen sind dann am 20. und 21. Juni um jeweils 18.50 Uhr und am 22. Juni um 18.00 Uhr zu sehen.
19.06.2013 11:30 Uhr  •  David Grzeschik Kurz-URL: qmde.de/64403