Die Kritiker: «60 Minuten Freiheit»

Am Samstag sendet der BR eine kleine Perle aus dem Doku-Genre. Julian Miller mit einem Einschaltbefehl.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Michael Wende und Andreas Varga
  • Redaktion: Elisabeth Johne
  • Off-Stimme: Herbert Feuerstein
Das Thema „Freiheit“ ist nicht nur aus dokumentarischer Sicht eine Mammutaufgabe. Schließlich sprechen wir hier über eine zentrale Frage der Menschheit, die uns spätestens seit dem Beginn der Zivilisation beschäftigt. Keine philosophische Streitschrift gleich welcher ideologischen Richtung ohne zahllose Absätze zu diesem menschlichen Urthema, kein Werbespot ohne das Transportieren eines konsumzentrischen Freiheitsbegriffs, keine politische Bewegung der Welt, die nicht von sich behaupten würde, sie kämpfe für die „Liberté“. Wie man die auch immer definieren mag.

Und hier beginnt schon eines der Hauptprobleme: nämlich das Definitionsproblem, das die Filmemacher Michael Wende und Andrea Varga sechzig Minuten lang thematisch einkreisen und aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachten: politisch, gesellschaftlich, psychiatrisch, individuell, religiös. In sechzig Minuten kaum zu schaffen, ohne klischeehaft zu werden, wird man zunächst skeptisch meinen.

Weit gefehlt.

Natürlich müssen Wende und Varga reduzieren und sich aus Gründen der dramaturgischen Straffung häufig anhand exemplarischer Beispiele durch den philosophischen Dschungel des bei näherer Betrachtung häufig erstaunlich leeren Wortes „Freiheit“ entlanghangeln. Politisch am Beispiel eines Flüchtlings aus Syrien, psychiatrisch anhand einer Patientin mit schwersten Angststörungen, religiös und kulturell anhand einer siebenundzwanzigjährigen Europäerin, die heute in Ägypten lebt und vor einigen Jahren zum Islam übergetreten ist. Doch narrative Reduktion funktioniert hier ohne Klischees, ohne suggestives Herumgehampel auf der Suche nach der hausfrauengerechten Verklärung eines philosophischen Themas, ohne den tendenziösen Oberlehrerduktus eines Richard David Precht. Die Wertung geschieht allein durch die Auswahl des gezeigten Materials und die Brechung oder In-Bezug-Setzung der verschiedenen Bildebenen, bei denen durch Schrifteinblendungen die jeweilige Erläuterungs- oder Interviewpassage erweitert oder konterkariert wird.

Ein wenig fühlt man sich dabei an die österreichische «Sendung ohne Namen» erinnert – ein intellektuell ähnlich scharfes und künstlerisch ähnlich ambitioniertes Projekt, das sich von «60 Minuten Freiheit» aber durch seinen ironischeren Zugang zu den jeweiligen Sendungsthemen unterscheidet.

Hier sind die Töne dagegen ernster, das Thema birgt einen größeren Anspruch an einen journalistisch harten Hintergrund in sich. Das soll jedoch weder eine Abwertung von «60 Minuten Freiheit» oder der «Sendung ohne Namen» sein, sondern vielmehr illustrieren, dass die Gemeinsamkeiten trotz des auf den ersten Blick ähnlichen Konzepts und der sich stark ähnelnden visuellen Stilmittel bereits an eben jener Stelle enden.

Philosophisch ist die Dokumentation des Bayerischen Rundfunks durchaus anspruchsvoll geworden und besticht durch eine gelungene avantgardistische Umsetzung, die sich sowohl von der Selbstdarstellung einer verkappten intellektuellen Elite als auch der vermeintlich messianischen Philosophie-für's-Volk-Ideologie eines Precht abgrenzen kann. Hauptsächlich dadurch, dass man in jeder einzelnen Minute förmlich spüren kann, dass Wende und Varga für dieses Thema geradezu brennen. Dabei schaffen sie stets den Spagat zwischen intellektuellem Anspruch und dem Mut, die komplexen Themen auch in der nötigen Komplexität zu betrachten; gleichzeitig entwerfen sie ein funktionierendes narratives Konstrukt, das diese Komplexität nahbar und für ein interessiertes Publikum auch verständlich macht. Beeindruckend ist insbesondere, wie hier gekonnt abstrakte wissenschaftliche Abhandlungen über das Thema Freiheit, etwa von Professor Hans-Martin Schönherr-Mann, in einen suggestiv-freien Bezug zu spannenden Lebensläufen gesetzt werden. Die Dokumentation hinterfragt Freiheitsbegriffe auf allen möglichen Ebenen – und das stets mit ehrlichem Interesse, keinem aufgesetzten, sondern einem authentischen Realitätsbezug, und einer knackigen, narrativ wie visuell ambitionierten Aufmachung. Ein wahres Highlight, von dem man sich schnellstmöglich mehr wünscht.

Der Bayerische Rundfunk sendet «60 Minuten Freiheit» am Samstag, den 15. Juni um 22.00 Uhr.
13.06.2013 12:09 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/64309