Die Kino-Kritiker: «Ice Age 4 – Voll verschoben»

«Ice Age» erreicht mit Teil vier den visuellen Höhepunkt, doch die Ideen gehen langsam aus.

Der Erfolg der «Ice Age»-Reihe ist beeindruckend: Durchschnittlich 8,25 Millionen Besucher pro Film allein in Deutschland, der zweite Teil unterhielt 8,75 Millionen Kinogänger und hält somit hierzulande den Rekord des bis dato erfolgreichsten Computeranimationsfilms. Weltweit war «Ice Age 3 – Die Dinosaurier sind los» am erfolgreichsten, mit Einnahmen in der Höhe von 886 Millionen Dollar war die Ankündigung einer weiteren Fortsetzung früh abgemachte Sache. Ruhe ist der ungewöhnlichen Herde rund um das Faultier Sid, Mammut Manni und Säbelzahntiger Diego, die schon ein Menschenkind zu seiner Familie zurückbrachte, wegen einer drohenden Flut ihre Heimat verließ und gegen Dinosaurier kämpfte, wahrlich nicht gegönnt.

In «Ice Age 4 – Voll verschoben» kommen die Neuigkeiten für die Patchwork-Herde Schlag auf Schlag: Zunächst schlägt Sids durchgeknallte Familie, von der jeder dachte, sie hätte das trottelige Faultier kaltherzig ausgesetzt, wieder bei ihm auf. Lange währt die Familienwiedervereinigung aber nicht, denn es geht seinen Verwandten nur darum, Sids vorlaute und wirre Oma abzusetzen. Manni muss sich derweil daran gewöhnen, dass seine Tochter Peaches in ein Alter kommt, in dem sie gegen Familienzuneigung rebelliert und sich mit Jungs treffen will. Ihr Traumjunge, der fesche Mammutbube Ethan, gehört jedoch zu den coolen Kids und scheint deshalb klar außerhalb ihrer Reichweite. Peaches bester Freund, der schüchterne Maulwurfsigel Louis, befindet sich in der sozialen Nahrungskette noch weiter unten und fürchtet deswegen, nicht weiter gut genug für das junge Mammutmädchen zu sein. Als das ewig vom Unglück verfolgte Säbelzahneichhörnchen Scrat unbeabsichtigt die Kontinentalverschiebung auslöst, beginnt inmitten dieser Familienschwierigkeiten ein neues Abenteuer für Sid, Manni und Diego: Durch das Auseinanderdriften der Kontinentalplatten wird das Trio von Mannis Familie getrennt und landet auf hoher See, wo es einem verrückten Haufen Eiszeit-Tierpiraten in die Klauen gerät. Unterdessen müssen Peaches, Mannis Frau Ellie und ihre Freunde auf eine große Wanderung gehen, denn eine große Felsplatte rückt ihrem Tal immer näher ...

Die «Ice Age»-Filme setzten stets mehr auf das Zusammenspiel ihrer Protagonisten sowie den wilden Slapstick mit Publikumsliebling Scrat, und weniger auf eine ausgeklügelte Geschichte. Dennoch war der erste Teil noch warmherzig und keine reine Gagparade – war über «Ice Age 4» kaum noch behauptet werden kann. Denn so viel Bewegung auch in diesem Trickabenteuer stecken mag, all diese Handlungsbögen sind selten mehr als das rudimentäre Mittel zum Zweck, um das langsam überbordende Figurenrepertoire von A nach B (gerne auch über den Umweg C) zu bringen. Das Pubertäts-Familiendrama zwischen Peaches und Manni ist hauchdünn, das Liebesdreieck zwischen Peaches, Ethan und Louis all zu leicht zu durchschauen und die große Tierwanderung längst da gewesen – und in «Ice Age 4» kommt beim gemächlichen Tempo, mit dem Ellie und Co. fliehen können, niemals ein Gefühl der Gefahr auf.

Das Hauptaugenmerk liegt glücklicherweise auf dem altbekannten Trio, welches dieses Mal durch Sids Oma verstärkt wird, die einerseits recht aufgeweckt ist und andererseits trotzdem sämtliche Erwartungen an eine verrückte Rentnerin erfüllt, was sie zum wohl kultigsten Neuzugang in «Ice Age 4» macht. Das gemeinsame Abenteuer gegen den streitsüchtigen Kapitän Utang und seine bunt zusammengewürfelte Crew ist von vereinzelten Spannungsspitzen abgesehen zwar ebenfalls überschaubar brisant, jedoch bewährt sich erneut das Zusammenspiel von Sid, Diego und Manni, während die absonderlichen Piraten für ein paar skurrilere Lacher (und eine grauenvolle Gesangsnummer) sorgen. Ein Nebenplot über ein von den Piraten unterdrücktes Insel-Tiervölkchen hilft zwar nicht gerade, den eh mit halb ausgeführten Ideen vollgestopften Film zu entlasten, ist aber sehr goldig geraten und gehört so zu den Höhepunkten dieser Odyssee.

Dennoch bleibt das Kernproblem von «Ice Age 4», dass zahlreiche Nebenschauplätze aufgemacht und dem Familienpublikum immer mehr ulkige Tiere vorgestellt werden, die allesamt ihre Leinwandzeit für sich beanspruchen, so dass letztlich nahezu alle zu kurz kommen. Darunter leiden vor allem die Versuche der Regisseure Steve Martino & Mike Thurmeier, ernstere Zwischentöne zum Thema Familienzusammenhalt unterzubringen, welche nur noch einen müden Schatten der Botschaft von Teil eins darstellen. Aber auch dem Humor ist es nur bedingt zuträglich, dass das Ensemble immer weiter wächst – der Dialogwitz zwischen den Ur-Helden dieser Reihe nimmt nur noch wenig Raum ein und lässt früheren Biss vermissen, wodurch «Ice Age 4» ein wichtiges Element der Vorgängerfilme runterkürzt.

Generell zielt das jüngste Eiszeit-Abenteuer stärker auf seine jüngeren Zuschauer ab, für die «Ice Age 4» mit seinen liebenswerten Figuren und raschem Erzähltempo auch solide neunzig Minuten Kinospaß bietet. Animationstechnisch befindet sich «Ice Age 4» auf der Höhe der Zeit und das 3D wird sehr effektiv eingesetzt, so dass auch dem Auge was geboten wird. Den erwachsenen Kinogängern aber wird nur noch wenig an die Hand gegeben. Scrat ist weiterhin witzig und ein paar gute Sprüche haben die Hauptfiguren auch noch auf Lager, aber nach dem inhaltlich ähnlich dünnen, aber deutlich frech-verrückteren dritten Teil ist «Ice Age 4» mit seinen zahlreichen Ideen von der Stange ein enormer Abstieg.
03.07.2012 10:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/57666