Popcorn und Rollenwechsel: Liebe für „die Kleinen“!

Die Oscar-Nominierungen stehen fest, und niemand schert sich um die technischen Kategorien. Warum ist das bedauerlich? Und wie kann man das ändern?

Jahr für Jahr stürzen sich die Medien nach Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen auf die selben Dinge. Zu allererst nennen hiesige Journalisten die Chancen Deutschlands auf einen Academy Award. Und wenn auch nur einer von fünf Tontechnikern von «Monsterroboter verkloppen Alien-Piraten» in Darmstadt geboren wurde, selbst dann heißt es wieder einmal: „Hollywood gibt Deutschland eine Chance“, „Wir sind Oscar“ oder „Deutschland ist nominiert!“ Direkt danach werden die großen Hollywoodstars abgeklappert. Sind Brad Pitt, Angelina Jolie, Johnny Depp, Natalie Portman, Adam Sandler und Megan Fox nominiert? Und welche wichtigen Blockbuster wurden übergangen? Was, schon wieder keine Nominierung für «Harry Potter» als bester Film?

Das eigene Land, Stars, bester Film. Das scheint alles zu sein, was zählt. Dem ist sich wohl auch die Academy bewusst, denn die einzigen Nominierungen, die bei der großen Pressekonferenz vorgelesen werden, sind die in den Darstellerkategorien, beste Regie, bestes Drehbuch, bester fremdsprachiger Film, bester Trickfilm (denn hier besteht eine gewisse Chance, dass das Durchschnittspublikum mehr als die Hälfte der nominierten Filme kennt) und halt bester Film. Die restlichen Kategorien muss sich der Filmliebhaber dann mühselig selbst durchlesen. Wenn er denn erstmal eine Webseite findet, auf der alle aufgelistet werden. Die Oscar-Homepage ist ja zunächst völlig überlastet, die fällt also gerne mal raus.

Wo bleibt sie also, die Liebe für die kleinen Kategorien? War ich etwa der einzige, der letztes Jahr angespannt vor dem Fernseher saß, kurz davor, seine Fingernägel zu zerkauen? Und das, weil er unbedingt wissen wollte, ob nun Wally Pfister («Inception»), Matthew Libatique («Black Swan»), Jeff Cronenwerth («The Social Network») oder Roger Deakins («True Grit») den Oscar für die beste Kameraarbeit erhält?

Die technischen Kategorien sind oftmals viel spannender, als die großen. Favoriten zeichnen sich bei ihnen nicht so früh ab. In den so genannten „technischen Kategorien“ gewinnt außerdem nicht nur typisches Oscar-Material, sonder auch Blockbusterware wie «Das Bourne Ultimatum», welches gleich drei Preise absahnte: Bester Schnitt, bester Ton und bester Tonschnitt. Und vor allem gibt es in den „technischen Kategorien“ oft wahre Wettstreite zwischen Legenden ihres Fachs. Schade, dass es nur kaum jemanden kümmert.

Was sollte die Academy also tun? Es ist doch naheliegend: Man muss das Publikum doch nur auf unterhaltsame Weise über den Wert dieser Kategorien unterrichten. Das geht selbstredend nicht auf einen Schlag. Würde jede Oscar-Sparte ihren eigenen, angemessenen Glanzmoment erhalten, fände die Verleihung ja nie ein Ende. Aber man sollte sich ernsthaft überlegen, ob man nicht mit etwas Methode jedes Jahr zwei, drei Kategorien nimmt und ein witziges, jedoch einleuchtendes Video über sie dreht. 2009 war man auf dem richtigen Weg, nur betrat man ihn mit der falschen Nominiertengruppe. Will Smith kam auf die Bühne und versprach in seiner typischen, charismatisch-lockeren Art (sinngemäß zitiert): „Ey yo, jetzt kommen auch Filme, die ihr kennt! Checkt das ab!“ Nach einer sich sehr auf «The Dark Knight» konzentrierenden Montage der für ihre Spezialeffekte nominierten Filme durfte Smith dann vorlesen, dass «Der seltsame Fall des Benjamin Button» gewonnen hat. Netter Versuch, Academy. Aber Filmclips aus Blockbustern allein genügen nicht. Und über das Timing dieser Aktion hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens.

Wäre es so schwierig, etwa über die diesjährigen Kamera-Nominierungen einen spannenden Film zu drehen? Halt mehr, als die üblichen, zehn Sekunden kurzen Filmclips, gemischt mit Aufnahmen von den Dreharbeiten, die es sonst zu sehen gibt? Lasst Cronenwerth ein wenig über Kult-Regisseur und manischen Perfektionisten David Fincher lästern und Guillaume Schiffman eine Szene aus einem aktuellen Blockbuster im Stil von «The Artist» nachdrehen. Zeigt auf, welche Herausforderung die 3D-Technologie für «Hugo Cabret»-Filmer Robert Richardson war und erklärt, welche Legende Spielbergs-Stammkameramann Janusz Kaminski ist. Und wenn uns Emmanuel Lubezki ein paar Fragen bezüglich «Tree of Life» beantwortet, wird er für 75 Prozent der Zuschauer des Terence-Malick-Films zum Helden. Im Jahr darauf wiederholt man den Spaß mit den nominierten Tontechnikern, und immer so weiter.

Bei der Filmmusik hat es ja auch geklappt. Einige Jahre lang sorgte diese Katagorie für großes Gähnen in Oscar-Livechats, mittlerweile macht ein kurzes Medley der nominierten Instrumentalmusiken aus dieser Kategorie auch eine Showeinlage. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.

Dass die Oscar-Verleihung den meisten zu langwierig ist, liegt ja nicht allein an der Laufzeit, sondern auch daran, dass sie langweilig ist. Eine kürzere Sendezeit bringt aber nicht automatisch Pep rein. Dazu benötigt es auch Inhalte, die über „And the Oscar goes to ... somebody only a few of you know!“ hinausgehen.
30.01.2012 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/54644