Der Fernsehfriedhof: „Herr Thoelke, hier wird Ihr Lebenswerk zerstört!“

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 173: Der Ausverkauf eines echten Fernsehklassikers.

«Goldmillion» wurde am 22. Januar 1994 im ZDF geboren und entstand zu einer Zeit als, die legendäre und erfolgsverwöhnte Fernsehshow «Der große Preis» unter starken Druck geriet. Nachdem ihr Moderator Wim Thoelke nach rund 18 Jahren und 220 Folgen die Sendung aus Unzufriedenheit abgab, sollte Unterhaltungs-Urgestein Hans-Joachim Kuhlenkampff das Programm ebenso erfolgreich fortsetzen, was ihm jedoch unter anderem aufgrund seiner endlosen Monologe, welche die Stringenz des Konzepts störten, misslang. Nach nur sechs Ausgaben gab Kuhlenkampff die Aufgabe an Caroline Reiber ab, die ebenfalls nicht von Publikum und Presse angenommen wurde. Die BILD-Zeitung störte sich damals vor allem an Reibers bayerischem Akzent und warf ihr in einer großen Schlagzeile vor, dass sie die Sendung kaputt „rollen“ würde. Der Klassiker war damit endgültig heruntergewirtschaftet und wurde nach sechs Folgen unter Caroline Reiber eingestellt. Weil sie jedoch der Rahmen und Motor der Fernsehlotterie „Aktion Sorgenkind“ war, musste nun ein Nachfolgeformat her.

Die konzeptionelle Ausarbeitung übernahm der Moderator Kurt Felix, der zuvor unter anderem «Verstehen Sie Spaß?» entwickelt hatte, während mit der Umsetzung der spätere Sat.1-Geschäftsführer Fred Kogel beauftragt wurde, der vor allem bemüht war, die Sendung moderner und jünger wirken zu lassen. Wurden bei «Der große Preis» noch ausschließlich Quizfragen gestellt, die zum Teil sogar Spezialwissen voraussetzten, wichen diesen nun allgemeineren Fragen und actionlastigen Spielen. Auf diese Weise sollten die drei Kandidaten einer jeden Ausgabe, in mehreren Runden möglichst viele Goldmünzen einsammeln. Der Mitspieler mit den meisten Geldstücken wurde im Finale blind von einem Anrufer durch ein überdimensionales Labyrinth geführt. Erreichte er das Ziel in der vorgegebenen Zeit, bekam er pro gesammelter Münze einen Bargewinn von 200 DM. Der Anrufer erhielt hingegen ein neues Auto. Zwischen den Gameshow-Elementen gab es zusätzlich Auftritte von Musikern sowie Einspieler, in denen die Gewinner der Lotterie in ihrer heimischen Umgebung überrascht wurden.

Als Moderator wurde Wolfgang Lippert auserkoren, der vor der Wende im DDR-Fernsehen bereits große Erfolge erzielen konnte und dann für knapp zwei Jahre den Showklassiker «Wetten, dass..?» präsentierte. Als bei diesem dadurch jedoch die Sehbeteiligungen deutlich zurückgingen, wurde er wieder durch seinen Vorgänger Thomas Gottschalk ersetzt. Kaum zwei Monate nach seiner letzten «Wetten, dass..?»-Ausgabe, sollte nun ausgerechnet Lippert das schwere Erbe von Thoelke schultern. Das war insofern wenigstens konsequent, als dass er bereits kurz nach der Wiedervereinigung den erkrankten Wim Thoelke in einer Folge des Vorgängerformats vertrat.

Aber auch Lippert fiel im März 1994 nach einem Skiunfall für eine Ausgabe der «Goldmillion» aus, durch die dann Günther Jauch vertretungsweise führte. Dazu trat er mit einer für Lippert typischen Brille auf. Als im Ablauf eine Striptease-Einlage anstand, kommentierte Jauch diese mit den Worten: „Herr, Thoelke, hier wird Ihr Lebenswerk zerstört!“ Zwar bezog er die nur auf den speziellen Programmpunkt, doch passte die Aussage zur kompletten Sendung, denn die Quoten sanken nach einem hervorragenden Start mit über 10 Millionen Zuschauern dramatisch ab. Nach sechs Folgen war der Wert bereits halbiert. Das lag sicher nicht nur an Lipperts Moderationsstil, sondern auch am schwachen Unterhaltungswert der Show. Sie war zwar kein inhaltlicher Totalausfall, wirkte aber in sich nicht rund. Die Quiz- und Spielaufgaben waren meist wenig kreativ und auch zuweilen nur mäßig unterhaltsam. Entsprechend nüchtern fielen auch die Bewertungen der Kritiker nach der Premiere aus. Bemängelt wurde unter anderem, dass man sich zu sehr auf die aufwendigen Grafiken sowie das moderne Erscheinungsbild konzentriert und das Spielprinzip vernachlässigt hätte. Außerdem stieß Lipperts zuweilen aufgedrehte Art und seine extreme Körpernähe wie schon bei «Wetten, dass..?» auf wenig Zuneigung beim gesamtdeutschen Publikum.

Aufgrund der drastischen Quotenrückgänge wurden daher schnell Rufe nach Konzeptänderungen laut. Rufe, die auch Lippert selbst öffentlich äußerte. Als Reaktion wurde das Format ab Spätherbst 1994 von 105 auf 60 Minuten gekürzt und vom Samstagabend auf den Donnerstag verlegt. Doch auch dies half nichts und das Zuschauerinteresse sank stetig und erreichte im Sommer 1995 mit nur noch 1,7 Millionen Zuschauern einen dramatischen Tiefpunkt. Das war nicht nur für das ZDF tragisch, sondern stürzte vor allem auch die Lotterie „Aktion Sorgenkind“ in eine wirtschaftliche Krise, weil aufgrund der geringen Akzeptanz der Show auch die Losverkäufe bedrohlich rückläufig waren. Intern einigte man sich daher, die Produktion nach zwei Jahren und 24 Ausgaben einstellen zu wollen, doch dies scheiterte am Widerstand von Lippert. Er selbst zog die Notbremse und gab bekannt, die letzte Ausgabe bereits vier Monate vor dem anvisierten Ende moderieren zu wollen. Als Begründung sagte er damals: „Mir ist die ‚Aktion Sorgenkind’ zu wichtig, als dass ich weiterhin eine Sendung moderieren könnte, deren Konzeption offensichtlich nicht stimmt." Damit zog er zwar den Unmut der Verantwortlichen auf sich, erwirkte aber dennoch das vorzeitige Aus des Programms. In einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen räumte er später ein, dass man damals das Fahrrad neu erfinden wollte: „Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, die Sendung zu übernehmen, von deren geändertem Konzept ich nicht überzeugt war.“

Der damalige Unterhaltungschef des ZDF, Axel Beyer, sicherte trotz der Streiterein Lippert dennoch weitere Unterstützung zu: „"Wir werden mit Hochdruck an einem neuen Konzept für ihn arbeiten. Für das ZDF wird Lippi auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen.“ Zeitgleich wurde bereits zur Absetzung der Show ein Nachfolgeformat für die Lotterie versprochen. Die nur rund zwei Monate später gestartete Sendung «Wunder-Bar» mit Elke Schneiderbanger, in der Prominente den Wahrheitsgehalt von Geschichten einschätzen mussten, wurde auf dem gewohnten Sendeplatz am Donnerstag allerdings ein noch größerer Flop und nach fünf Folgen wieder vom Schirm verbannt. Danach besann sich der Kanal wieder auf eine klassischere Präsentation und eine ältere Zielgruppe, die Dieter-Thomas Heck mit seinem Retro-Quiz «Das große Los» für rund vier Jahre begeistern und auch den Losverkauf wieder steigern konnte. Im Oktober 2000 übernahm dann Andrea Kiewel einmal im Monat den Sendeplatz und die Patenschaft für die Lotterie, die mittlerweile ihren heutigen Namen „Aktion Mensch“ trug. In «Jede Sekunde zählt» traten jeweils zwei Familien mit mehreren Generationen in verschiedenen Spielen gegeneinander an, um Sekunden von einem Zeitkonto abzubauen. Wieder versuchte das ZDF damit das jüngere Publikum anzusprechen und wieder scheiterte es damit kläglich, weswegen ab Januar 2002 eine modernisierte Neuauflage des ursprünglichen Klassikers «Der große Preis» ins Rennen geschickt wurde. Als Moderator stellte der damals noch weitestgehend unbekannte Marco Schreyl, der später als Gesicht von «Deutschland sucht den Superstar» auch einem großen Publikum auffiel, die nun nicht mehr auf Fachwissen basierenden Quizaufgaben. Das Remake der „legendären Sendung im neuen Gewand“ wurde immerhin bis Mai 2003 produziert, konnte aber an frühere Erfolge trotzdem nicht anknüpfen. Mit ihr endete auch die Liste der eigenen „Aktion Mensch“-Shows im ZDF, denn fortan wurden die Gewinner nur noch in kurzen Einspielern im laufenden Programm u.a. von Thomas Gottschalk verkündet. Nach dessen Wechsel zur ARD übernimmt Jörg Pilawa derzeit diese Aufgabe.

«Goldmillion» wurde am 24. August 1995 beerdigt und erreichte ein Alter von 20 Ausgaben. Die Show hinterließ den Moderator Wolfgang Lippert, der trotz der Versprechen von Axel Beyer keine großen Formate mehr präsentieren sollte. Stattdessen führte er durch kleinere Produktionen wie den «ZDF Wintergarten» und die «Wenn. Dann. Die ... Show!» im Ki.Ka. Zudem tauchte er mit den Sendungen «Leute bei Lippert» (1996), «Traumtänzer Varieté» (1995 – 1998), «So lacht der Osten» (2001) und «Langer Samstag» (2002) vereinzelt in den Dritten Programmen auf. Seit dem Jahr 2000 ist er daneben regelmäßig in den Inszenierungen der «Störtebecker Festspiele» auf Rügen zu sehen. Sein Gummi-Abbild tauchte außerdem im «Wetten, dass..?»-Klamauk «Was’n Spass» auf.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der Wissenschaftsshow von Dschungelkandidatin Ramona Leiß.
12.01.2012 09:00 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/54294