Kallwass und Hold: Zehn Jahre Nachmittag in Sat.1

Die Sat.1-Sendungen «Richter Alexander Hold» und «Zwei bei Kallwass» feiern in diesem Monat ihr zehnjähriges Bildschirmjubiläum. Einst Trendsetter, sind die Formate heute Klassiker des Nachmittags – aber auch noch ein Modell für die Zukunft?

„Um Gottes Willen! Was bringen die mir für einen abstrusen Fall?“ Mit diesen Worten spricht Alexander Hold in der Retrospektive über seine erste TV-Gerichtsverhandlung in Sat.1. Es war der 12. November 2001, als der Sender aufgrund des Erfolgs von «Richterin Barbara Salesch» eine zweite Court-Show im deutschen Fernsehen startete. Der abstruse erste Fall, von welchem Hold heute spricht, handelte von einem jungen Paar, das sein eigenes Baby in einem Bahnhofs-Schließfach versteckte, um die Nacht in der Disco verbringen zu können. Abstrus, geradezu unglaubwürdig und konstruiert wirkte Holds erste Gerichtsverhandlung, die von Anfang an auf Laiendarsteller und gespielte Szenen setzte. Doch den Zuschauern gefiel es – trotz oder gerade wegen der Skurrilität der verhandelten Fälle, die in den kommenden Monaten um 16.00 Uhr auf sie warteten.

Hold und Co. werden auch heute nicht müde zu betonen, dass viele dieser Verhandlungen auf wahren Begebenheiten beruhen – unter anderem auch der geschilderte Fall, der in der Premierensendung unter dem Titel „Baby im Schließfach“ eine lange Erfolgsgeschichte einläutete. Denn 1825 Sendungen und fast 9000 Laiendarsteller später feiert «Richter Alexander Hold» sein zehnjähriges Jubiläum in Sat.1. In der ersten Zeit seiner TV-Karriere war Hold, studierter Rechts- und Politikwissenschaftler, zusammen mit Barbara Salesch der Quotenkönig des Nachmittags; die Sat.1-Gerichtssendungen läuteten Anfang des vergangenen Jahrzehnts den Abgesang der klassischen Talkshows ein und brachten ihrerseits weitere Ableger wie «Das Jugendgericht» bei RTL hervor. Heute sind Hold und Salesch, welche im nächsten Jahr zum letzten Mal in Sat.1 den Hammer fallen lässt, zwei „alte Hasen“ im Nachmittagsgeschäft, das mittlerweile von Fake-Dokus bei RTL regiert wird.

Diese neuen Trends machten auch ihnen zu schaffen: Mittlerweile erreichen beide Shows bei der für Sat.1 entscheidenden werberelevanten Zielgruppe nur noch leicht überdurchschnittliche Einschaltquoten. «Richter Alexander Hold» interessieren in diesem Jahr 12,7 Prozent der 14- bis 49-jährigen Zuschauer. Beim Gesamtpublikum ist die Sendung dagegen weiterhin sehr gefragt: Hold erreicht hier 2,35 Millionen Zuschauer und durchschnittlich 21,1 Prozent Marktanteil seit Anfang 2011. Damit liegt sein Format immer noch ungefähr gleichauf mit den Werten, die RTL im direkten Gegenprogramm mit der Scripted Reality «Familien im Brennpunkt» einfährt. Im internen Vergleich ist Hold, der bei Sat.1 meist eine der höchsten Reichweiten des Tages einfährt, auch erfolgreicher als Barbara Salesch – und darf daher aktuellen Planungen zufolge bis mindestens 2013 im Fernsehen verhandeln.

Eine Woche vor Alexander Hold, am 05. November 2001, startete die Psychotherapeutin Angelika Kallwass ihre TV-Karriere – die allerdings recht schnell beendet worden wäre: Denn anfangs setzte ihre Sendung «Zwei bei Kallwass» – wie auch zunächst «Richterin Barbara Salesch» – auf echte Gäste, die bei Kallwass ihre Probleme schilderten und psychologischen Rat erhielten. Die Quoten waren zunächst schwach; schon nach zwölf Folgen änderte man das Konzept und setzte auf Laiendarsteller. Und wie zuvor Salesch wurde auch Kallwass erst erfolgreich, als Sat.1 die vermeintlich langweiligen echten Fälle gegen dramatisierte, skurrile und geschauspielerte Geschichten ersetzte. «Zwei bei Kallwass» wurde zum Quotenhit – und ebenfalls zum Trendsetter, doch ähnliche Helpshows wie «Die Jugendberaterin» bei ProSieben konnten später nicht an den Sat.1-Erfolg anknüpfen. Heute ist Angelika Kallwass noch immer auf Sendung – und relativ erfolgreich dazu: 12,4 Prozent der jüngeren Zuschauer schalteten in diesem Jahr durchschnittlich ein. Beim Gesamtpublikum konnte die Sendung im Schnitt 1,58 Millionen Menschen und damit 16,2 Prozent erreichen.

Beide Sat.1-Gesichter, Hold und Kallwass, sollen gemeinsam mit Britt Hagedorn auch im kommenden Jahr den Sat.1-Nachmittag prägen, wenn Salesch den Sender verlässt. Im Frühjahr wird die letzte Episode von «Richterin Barbara Salesch» über den Bildschirm flimmern. Welches Format den Gerichtsshow-Pionier der Privatsender ersetzen darf, steht indes noch nicht offiziell fest. Kürzlich testete Sat.1 eine Woche lang unter dem Titel «Barbara Salesch Spezial – Nachbar gegen Nachbar» den potenziellen Nachfolger, der in seiner Feuerprobe gute Quoten einfahren konnte. Lediglich in der – vernachlässigbaren – Einleitung war Salesch noch zu sehen, danach gestaltete sich die Sendung als Pseudo-Reality, wie man sie vom RTL-Nachmittag kennt.

Eine weitere Parallele zum Marktführer: Auch die mittlerweile höchst erfolgreichen Fake-Formate wurden zunächst mit einer bestimmten Anzahl produzierter Episoden getestet und anschließend dauerhaft auf Sendung geschickt. Wahrscheinlich also, dass Sat.1 künftig im Sandwich von Psychologin Kallwass und Richter Hold auf eine neue Programmfarbe am Nachmittag setzt. Zwar dürfte dahinter dann die Produktionsfirma filmpool, die sowohl Salesch als auch diverse RTL-Nachmittagsformate herstellt, stehen, aber mit Risiken verbunden wäre der Konzeptwechsel um 15.00 Uhr trotzdem: Denn «Nachbar gegen Nachbar» würde eine Abkehr der von Sat.1 bekannten Charakter-Formate bedeuten, die mit ihren beim Publikum beliebten Moderatoren punkten – ob sie nun Britt, Kallwass, Salesch oder Hold heißen. «Nachbar gegen Nachbar» präsentierte hingegen zumindest in den Testausgaben kein neues Sat.1-Gesicht, das die eigentliche Sendung trägt. Wie erfolgreich dieses konzeptuelle Experiment dann nicht nur auf kurzer Strecke, sondern mittel- und langfristig im charakterstarken Sat.1-Nachmittag wäre, wird sich 2012 zeigen müssen.
14.11.2011 09:39 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/53199