Popcorn und Rollenwechsel: Metakolumne

Einer der großen Pluspunkte, den Kinoreihen gegenüber TV-Serien haben, ist dass sie darauf verzichten, anlässlich eines Jubiläums total selbstreferenziell zu werden. Wer kann dann dieses Gequatsche über sich selbst schon leiden?

Einer der großen Pluspunkte, den Kinoreihen gegenüber TV-Serien haben, ist dass sie darauf verzichten, anlässlich eines Jubiläums total selbstreferenziell zu werden. Wer kann dann dieses Gequatsche über sich selbst schon leiden?

Ein Kinokolumnist sein.
Wer regelmäßig über das Kino schreiben möchte, muss auch Leidenschaft für die Faszination Film mitbringen. Sonst würde es zu so lustlosen Artikeln führen, die niemandem etwas bieten. Etwa so, als wäre ich Sportreporter: „Joah, also, die Mannschaft in Weiß hat gerade einen Zehnmeter gemacht, und alle grölen jetzt rum so, also, ja, ich glaube, die Fussballweltmeisterschaft ist jetzt vorbei. Glückwunsch an den deutschen Trainer, wie auch immer er heißt, juckt eh niemanden. Ich gebe zurück ins Sendehaus und wünsche viel Spaß bei «Die Pinguine aus Madagascar»!“

Ein Kinokolumnist sein.
Das bedeutet aber auch, sich in extrem hoher Frequenz mit seiner Leidenschaft auseinanderzusetzen. Kino, das war einst etwas besonderes. Sich viel Zeit nehmen, einen Film gucken, wenn man in der perfekten Stimmung für ihn ist, den Kinogang zelebrieren, mit anschließendem Bar-Besuch und viel relaxen. Jetzt ist es Fließbandarbeit. Ein magischer Moment wird Alltag. Wer will schon zweimal wöchentlich heiraten? Also, wer außer Elizabeth Taylor? Der Filmgott habe sie selig…

Ein Kinokolumnist sein.
Sei informativ! Warum sollte man etwas lesen, wenn man nichts neues lernt? Aber, du musst auch kreativ sein! Wer Fakten und nur Fakten will, liest die Filmbranchen-Schlagzeilen bei Twitter, und keine Kolumne. Sei seriös, aber auch locker und flapsig, denn das unterscheidet eine Kolumne ja von einer Meldung! Tanze auf tausend Hochzeiten gleichzeitig. Da haben wir’s ja schon wieder… welche traurige Botschaft über mein Liebesleben verbirgt sich eigentlich dahinter, dass ich Filme mit Ehelichungen gleichsetze?

Ein Kinokolumnist sein.
Bilde ich es mir nur ein, oder vermutet der Durchschnittsrezipient hinter jedem Kino-Schreiberling sofort einen verbiesterten Intellektuellen, der Spaß verabscheut, sich für was besseres hält (naja, er schreibt ja auch andauernd über sich und seine Meinung!) und keinerlei Verbindung zum echten Publikum hat? Da bewertet man einmal «Kindsköpfe» schlecht, und schon hat man keinen Humor! Aber, wehe, wehe, man tritt aus dem Kritiker-Konsens und findet «Prince of Persia - Der Sand der Zeit» richtig, richtig gut. Dann verliert man jede Glaubwürdigkeit, wenn es um Filmkunst geht. Tja, und sobald man drei oder vier Mal über den Oscar schreibt, steht das Image schon wieder Kopf. Oh, diese Luxusprobleme! Und gestern war mein Popcorn nicht süß genug, haltet die Pressen an! Äh, Moment, das hier ist eine Web-Kolumne…

Ein Kinokolumnist sein.
Das Unseriöseste, was der Journalismus zu bieten hat. Hey, man wird dafür bezahlt, seine Meinung übers Kino kundzutun! Nein, stopp, Sportjournalisten sind die Unseriösesten, die geben ihre Meinung darüber bekannt, wie gut ein Mann laufen oder Bälle treten kann. Oder wie sportlich die Hintern von Beach-Volleyballerinnen aussehen, äh, wie effektiv sie aussehen. Oder so. Wieso darf ich nicht über gut aussehende Schauspielerinnen schreiben? Vielleicht, weil ich das gar nicht will. Womöglich, weil das neben Politjournalisten kindisch aussähe. Die sind sowieso eine ganz betrügerische Bande, tun so, als würden sie objektiv informieren, aber allein schon ihre Entscheidung darüber, was in welcher Ausführlichkeit behandelt wird ist eine Beeinflussung des demokratischen Meinungsbildungsprozess. Wie… unseriös. Äh, worüber klage ich gerade noch mal?

Ein Kinokolumnist sein.
Das bedeutet vor allem, gegenüber Freunden niemals von „Arbeit” reden zu dürfen. „Tut mir leid, ich kann heute nicht in die Freibier-Exklusiv-Folk-Metal-Disco-Nacht, wo dieses Mädel sein soll, das ihr mir seit Wochen vorstellen wollt. Ich muss arbeiten!” -„Arbeit am Ohr! Du faselst irgendwas über Filme, das würdest du gleich sowieso machen!” Jaja, denn auch wenn man etwas abliefern muss, ist es keine Arbeit, wenn es irgendwie mit dem restlichen Leben in Verbindung steht. Auch Kellner arbeiten bekanntlich nicht. Wenn sie zuhause sind, müssen sie ja ebenfalls Geschirr wegräumen, wenn sie gegessen haben. Außer vielleicht Kellner, die noch bei Mami wohnen. Diese Nerds… Zum Glück stehen Leute, die über Popkultur schreiben, nicht in Verdacht, weltfremd zu sein. Habe ich eigentlich schon gesagt, dass das Hollywoodkino für den Fortbestand unserer Kultur wichtiger ist als die Bundestagswahl?

Ein Kinokolumnist sein.
Ist Meckern auf hohem Niveau. Etwa, wenn aus deutschen Landen nicht genug Western-Filme kommen. Es ist Freude auf niedrigem Niveau. Etwa, wenn in «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» Jack Sparrow davon spricht, drei Ziegen zu benötigen. Ein Kinokolumnist sein. Das könnte ich noch jahrelang weiterführen. Sofern ich meine Leser mit solchen „WTF?!”-Spaßausgaben nicht vergraule.

Das war die 100. Ausgabe von «Popcorn und Rollenwechsel». Und nächste Woche geht’s hier in Sachen Ernsthaftigkeit wieder bergauf. Es sei denn, es stellt sich heraus, dass Quotenmeter-Leser Selbstreferenzialität lieben. Oder dass sie es so sehr hassen, dass ich ohne zweite Chance hier rausfliege. Mh, gründe ich halt eine Konkurrenzseite und nutze die Grundidee eines Kinderbuchs, um mich mit einem grünen Monster über meinen Ex-Arbeitgeber lustig zu machen. Und wer den Gag versteht (und lustig findet), darf sich nun einen Kuchen backen.

Allen Leserinnen und Lesern gilt herzlicher Dank für 100 Wochen Treue!
26.09.2011 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/52226