Die Kino-Kritiker: «Sanctum»

Der Höhlentaucher-Thriller «Sanctum» wirbt mit erstaunlichem 3D und dem Namen seines Produzenten James Cameron. Ob «Sanctum» noch mehr zu bieten hat, lesen Sie in unserer Kinokritik.

Mit seinem Sci-Fi-Abenteuer «Avatar» lieferte James Cameron nicht nur zum zweiten Mal in seiner Karriere den bis dato kommerziell erfolgreichsten Kinofilm ab, sondern brach endgültig das Eis, das zwischen dem Massenpublikum und der modernen 3D-Kinotechnologie lag. Mit seiner Produktion «Sanctum» führt er diese Technologie gewissermaßen wieder an den Anfang zurück: Das attraktivste Element an diesem Abenteuer-Thriller ist, wie bei James Camerons 3D-Dokumentarfilmen «Die Geister der Titanic» und «Aliens of the Deep», die beeindruckende (Unterwasser-)Landschaft, die in prächtigem 3D eingefangen wurde. An den Selbstanspruch der Dokumentationen, die James Cameron zwischen «Titanic» und «Avatar» drehte, reicht «Sanctum» allerdings längst nicht heran. Stattdessen erinnert das Hollywood-Debüt des neuseeländischen Regisseurs Alister Grierson dramaturgisch und atmosphärisch an einen für das US-Kabelfernsehen gedrehten B-Movie. Was anderes dürfte man eigentlich auch kaum erwarten, wenn der Kinoverleih so aggressiv mit James Camerons Namen wirbt, obwohl er keinen nennenswerten künstlerischen Einfluss auf «Sanctum» hatte.

Die Geschichte von «Sanctum» basiert, so eine Texteinblendung zu Beginn, auf wahren Begebenheiten. Dieses Siegel legt sich der Abenteuer-Thriller jedoch extrem freimütig auf: Produzent und Co-Autor Andrew Wight leitete 1988 eine Expedition in einem australischen Höhlengeflecht, dessen Eingang durch die Auswirkungen eines Tropensturms verschlossen wurde. Durch eine aufwändige Rettungsmission konnten allerdings sämtliche Mitglieder der Höhlentauchergruppe lebend befreit werden. «Sanctum» nimmt sich aus diesem Ereignis einzig und allein die Ideen einer Truppe von Höhlentauchern sowie eines Tropensturms, und wirrt sich daraus seine eigene, konventionelle Thriller-Geschichte: Der kühne und bärbeißige Höhlentaucher Frank (Richard Roxburgh) ist bei Tageslicht kein leichter Zeitgenosse, doch in seinem Fachgebiet kann sich niemand mit ihm messen. Deswegen erhielt er vom wohlhabenden Carl Hurley (Ioan Gruffudd) den Auftrag, zusammen mit einem Expertenteam ein bislang unerforschtes Grottensystem in Papua-Neuguinea zu erkunden. Als Carl und seine Freundin, die erfahrene Bergsteigerin Victoria (Alice Parkinson), Franks Sohn Josh (Rhys Wakefield) zur Forschergruppe bringen, braut sich an der Oberfläche bereits ein unheilvoller Sturm zusammen. Bald darauf wird der einzig sichere Ausgang unbrauchbar, so dass sich das Team einen neuen Ausgang suchen muss. Eine lebensgefährliche Mission beginnt – und die Regeln des Genres fordern schnell Tote.

Die Geschichte ist wahrlich keine neue oder originelle, wie in den vergangenen Monaten aber schon «127 Hours» bewies, lässt sich aus dem Grundkonzept eines in der tückischen Natur feststeckenden Abenteurers frisches und spannendes Material entwickeln, wenn die Filmemacher genügend gestalterische Kreativität mit sich bringen. Die Drehbuchautoren Andrew Wight, der an James Camerons Unterwasserdokumentationen als Produzent beteiligt war, und John Garvin (der bei «Sanctum» außerdem als Tauchkoordinator tätig war) mögen vielleicht Ahnung vom Tauchen haben, ihre Filmlektionen haben sie allerdings aus B-Fernsehthrillern gezogen. Die Zusammenstellung der Forschertruppe erfolgt genauso nach ausgetretenen Genrestandards, wie das unvermeidliche Ableben einiger Truppenmitglieder. Spannung kommt für den Zuschauer selbst dann nicht auf, wenn er sämtliche Genrekenntnisse ausblendet, da ihm die hastig eingeführten und uninspiriert dargestellten Figuren nicht ans Herz wachsen. Entweder weiß man zu wenig über sie, oder sie werden von vornherein als unvermeidliches Opfer der Expedition angelegt. Die meiste Charaktertiefe erhält ausgerechnet der als Comic Relief angelegte George (Daniel Wyllie) – und selbst diese Figur kommt bestenfalls zweidimensional rüber. Dabei wird zu Beginn von «Sanctum» mehrfach in Dialogen der Expositions-Holzhammer ausgepackt. Bloß verrennt man sich in eher unwichtige, selbstredende Dinge, statt die Figuren oder das folgende Taucherlatein im Voraus vorzustellen. An Subtilität gibt’s bei der Exposition von «Sanctum» eh nichts zu retten, da wären für B-Movie-Standards wenigstens ein paar die Spannung steigernde Erklärungen förderlich gewesen.

Besonders unerträglich wird im Laufe des Films, wie Höhlentaucher-Übervater Frank gezeichnet wird. Nicht, weil Richard Roxburgh eventuell zu sehr darin aufgeht, das zwischenmenschliche Arschloch zu mimen, sondern weil ihn das Drehbuch entgegen der anfänglichen Beschreibung Franks andauernd recht gibt. Frank wird als harter Kämpfer vorgestellt, als jemand, der vom Tauchen Ahnung, vom menschlichen hingegen keinen blassen Schimmer hat. Was auf diese Einführung folgt, ist wie Sequenz um Sequenz Franks Perfektion vorgeführt wird. Stets trifft er die richtige Entscheidung, es sind immer die anderen, die Fehler begehen oder Franks dem Zuschauer als vollkommen richtig präsentierten Beschlüsse hinterfragen. Das ist nicht nur enervierend, sondern hat aufgrund der optischen Ähnlichkeit zwischen der Figur Frank und Produzent, Autor und Ideengeber Andrew Wight auch einen bitteren, selbstgefälligen Nachgeschmack. Und der klischeebeladene Vater-Sohn-Konflikt, der sich als emotionaler Kern von «Sanctum» behaupten will, verliert aufgrund dieser Einseitigkeit ebenfalls jegliche Funktionalität.

Die einzige Daseinsberechtigung von «Sanctum» sind somit die 3D-Aufnahmen. Sie heben den Film zumindest optisch über TV-Niveau empor. Hier schien James Cameron wohl eine schützende Mentorenhand auf die Produktion gelegt zu haben, denn das Bild ist äußerst plastisch und weist eine ansehnliche Tiefenwirkung auf. Regisseur Alister Grierson fehlt es allerdings sichtbar am Perfektionismus eines Darsteller anschnauzenden und in Eiswasser frieren lassenden James Cameron: Manchmal ist der Bildausschnitt schlecht gewählt, so dass am Bildrand beispielsweise eine andere Figur oder ein Gegenstand hineinragt und als irritierendes Geflacker erscheint, statt wie sicherlich vorgenommen eine weitere Ebene ins Bild zu bringen. Andere Aufnahmen der beeindruckenden Unterseehöhlenlandschaft sind etwas kurz geraten, so dass dem Zuschauer nicht genügend Zeit bleibt, das Bild sowie seine Dreidimensionalität auf sich wirken zu lassen. Hier kommt die schwache Handlung, die ja vorangetrieben werden muss, dem einzigen Plus des Films schmerzlich in die Quere.

Vor «Avatar» oder 3D-Versionen von Animationsfilmen wie «Oben» hatte es sicherlich noch seinen Reiz, für 12 Euro in ein Großleinwandkino seiner Wahl zu gehen, und sich einen handlungsarmen Film mit beeindruckenden Naturaufnahmen anzusehen, bloß um gutes 3D zu erleben. Aber mittlerweile haben Filme wie «Sanctum» jegliche Daseinsberechtigung verloren. Wer die Schönheit dieses Planeten auf sich wirken lassen möchte, geht in Naturdokumentationen wie «Unsere Erde», wer Spannung sucht und dabei 3D-Effekte geliefert bekommen möchte, sucht sich einen Film aus der vorderen Reihe Hollywoods. «Sanctum» hingegen ist mit seinem nach dem DVD-Grabbeltisch schreienden Drehbuch das Eintrittsgeld nicht wert.

«Sanctum» ist seit dem 21. April in vielen deutschen Kinos zu sehen.
22.04.2011 11:15 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/49194