Die Kino-Kritiker: «Gnomeo und Julia»

«Gnomeo und Julia» verpackt die tragische Geschichte von «Romeo und Julia» als Gartenzwergkomödie mit Musik von Elton John.

Die Nachbarn Frau Montague und Herr Capulet können sich auf den Tod nicht ausstehen. Was beide jedoch nicht wissen: Auch zwischen ihren Gartenzwergen besteht eine tief verwurzelte Fehde. Kaum verlassen sie ihre Häuser oder legen sich zu Bett, erwachen ihre Gartendekorationen zum Leben und bekriegen sich mit ihren Nachbarn. Vor allem der blaue Zwerg Gnomeo aus dem Garten Montague und der rote Zwerg Tybalt sind erbitterte Streithähne, die ihre Kräfte in Rasenmäherwettrennen messen. Als Raufbold Tybalt eines Tages beim Wettrennen Gnomeos Mäher zerstört, schwören Gnomeo und sein Freund Benny Rache. In Folge einer nächtlichen Vergeltungsmission lernt Gnomeo die rote Zwergin Julia kennen, deren überfürsorglicher Vater es ihr strengstens verboten hat, den Capulet-Garten zu verlassen. Hals über Kopf verlieben sich Gnomeo und Julia ineinander, ganz zur Freude von Julias Zofe Nanette, laut der verdammte Liebesbeziehungen die besten sind…

«Gnomeo und Julia» ist, unschwer zu erkennen, eine äußerst freie, komödiantische Neuinterpretation von William Shakespeares berühmter Tragödie «Romeo und Julia». Der von Elton John produzierte, in 3D veröffentlichte Animationsfilm verlegt die Handlung von Verona in englische Vorgärten und passt ihren Verlauf den Bedürfnissen jüngster Kinogänger an, wodurch sie nahezu alles verliert, was sie ausmacht. An Stelle nachhaltiger Tragik treten passabler Slapstick und wahllose Popkulturanspielungen. Außerdem sind im Hintergrund vereinzelt große Hits aus Elton Johns umfangreicher Discographie zu hören, die jedoch so wirken, als hätte man sie in letzter Sekunde hineingezwängt. Deswegen können sie dem Leinwandgeschehen kaum Pepp verleihen. Dabei müsste man angesichts der Produktionsgeschichte erwarten, dass wenigstens die Verwendung der Songs in «Gnomeo und Julia» zündet.

«Gnomeo und Julia» wurde vor rund zehn Jahren von John R. Smith und Rob Sprackling («Chicken Run») an Walt Disney Animation Studios und Elton Johns Produktionsfirma Rocket Pictures herangetragen. Das ursprüngliche Skript soll recht charmant gewesen sein, ließ aber Biss vermissen, weshalb seitens Rocket Pictures neue Autoren herangetragen wurden. Nach ersten, traditionell von Hand animierten, Tests wurde 2002 beschlossen, «Gnomeo und Julia» als Mischfilm aus CG-Zwergen und realen Hintergründen zu verwirklichen. Als Regisseur wurde Gary Trousdale auserkoren, der sich zuvor schon mit «Die Schöne und das Biest» sowie «Der Glöckner von Notre Dame» einen Namen machte. Streitigkeiten mit der Geschäftsführung trennten ihn jedoch vom Projekt und schließlich auch vom Studio.

Bald darauf wurde «Gnomeo und Julia» eingestellt, nur um mit verändertem Konzept wiederbelebt zu werden, nachdem Elton John Disney die Erlaubnis gab, den Film nach Gutdünken mit seinen musikalischen Klassikern aufzupowern. Lang hielt das Zwergenglück trotzdem nicht an, denn als 2006 die Pixar-Leute John Lasseter und Ed Catmull die Leitung bei Disney übernahmen, stellten sie «Gnomeo und Julia» mangels Qualität wieder ein. Dies sorgte für Proteste aus eigenen Reihen, da sich Disneys Plattenlabel bereits große Profite aus dem Soundtrack-Verkauf ausmalte. So einigte man sich, «Gnomeo und Julia» zum konzerneigenen Semi-Independentlabel Miramax zu verschieben, wo die nunmehr rein am Computer erstellte Komödie noch mehr erwachsenen Witz erhalten sollte. Als Disney wenige Jahre später die Pforten dieses Filmstudios schloss, wurde «Gnomeo und Julia» erneut komplett umgemodelt. Letzten Endes übernahm das kanadische Trickstudio Starz Animation («#9») die Animation, während Disney den Film über sein Label Touchstone Pictures in die Kinos bringt. Und das alles nur, um einen mit Elton-John-Hits gespickten Soundtrack in die Läden stellen zu können…

«Gnomeo und Julia» spürt man an, dass es eine rein kommerziell berechnete, durch zahllose Hände gereichte Kinoproduktion ist, der es an einer einheitlichen Vision mangelt. Von einer in die Welt der Gartenzwerge verlegten Neuerzählung von «Romeo und Julia» lassen sich selbstverständlich keine künstlerischen Sensationen erwarten, doch man könnte sich wenigstens eine charismatische Familienkomödie mit cleverem Einsatz berühmter Elton-John-Songs erhoffen. Stattdessen ist «Gnomeo und Julia» weder Fisch, noch Fleisch. Er hat die selbstreferentielle, kecke Attitüde einer Parodie für ein Erwachsenenpublikum, aber die Naivität und die Simplizität eines reinen Kinderfilms. Während die Computertrick-Platzhirsche Pixar und Dreamworks mit Filmen wie «Toy Story 3» oder «Drachenzähmen leicht gemacht» ein kindliches Publikum gleichermaßen anzusprechen vermögen, wie erwachsene Zuschauer, dringt «Gnomeo und Julia» zu keiner seiner Zielgruppen richtig durch. Am ehesten dürften noch sehr junge Zuschauer mit dem Film zufrieden sein, da sie über das vorhersehbare Ende und die logischen Brüche hinwegsehen sollten.

Denn woran «Gnomeo und Julia» für den erwachsenen Zuschauer am meisten kranken dürfte, ist nicht etwa das einfallslose Design der Figuren und Hintergründe oder die daraus resultierende, eingeschränkte Ausdruckskraft der Hauptfiguren, sondern die mangelnde Plausibilität des Films. Das Konzept einer neben der Menschenwelt blühenden Parallelgesellschaft vermeintlich lebloser Gegenstände, erinnert nicht von ungefähr an Pixars «Toy Story»-Trilogie. In diesen Filmen wird jedoch mit unaufdringlicher Präzision eine innere Logik aufgebaut, nach welcher diese Welt funktioniert, und so fängt man im Laufe dieser Filme wirklich an zu glauben, dass diese Spielzeuge ein Eigenleben haben. Die Gartenzwerge in «Gnomeo und Julia» hingegen müssten schon nach wenigen Minuten aufgeflogen sein: Sie pflanzen Blumen, mähen den Rasen, stellen sich nach Belieben um… Eigentlich dürften die hyperaktiven Gartenzwerge die ersten Minuten des Films nicht einmal überleben: Immer wieder wird davon gesprochen, wie zerbrechlich die Zwerge doch seien, was in sicheren Händen eines talentierten Filmemachers Spannung erzeugen könnte, den Hauch der stets prickelnden Gefahr. Stattdessen hüpfen die Figuren durch die Gegend, als seien sie Flummis.

Die Klischee beladene, äußerst dünne Charakterisierung der Hauptfiguren raubt «Gnomeo und Julia» dann endgültig jede Chance, dem Zuschauer auch bloß ansatzweise ans Herz zu gehen. Dadurch fühlen sich die vermeintlich ernsten und emotionalen Szenen wie lustlose Lückenfüller an. Die humorigeren Momente hingegen sind ganz passabel. Wirklich große Lacher sind kaum vorhanden, die exzentrischeren Nebenfiguren können aber immerhin allerhand Schmunzler erzeugen. Dadurch ist «Gnomeo und Julia» als Lückenfüller im Familien-Kinoprogramm gerade noch annehmbar. Die Animation ist nicht sehr komplex, aber auch nicht schlecht, größere Durststrecken gibt es auch nicht und entgegen früherer Pläne geriet «Gnomeo und Julia» in Wahrheit recht handzahm, weshalb sich Eltern keine Sorgen über unangenehme Stellen machen müssen. Angesichts der diesen Frühjahr anstehenden Schwemme an Trickfilmen, sollten Familien mit knappem Haushaltsbudget aber lieber auf einen der kommenden Kinostarts warten.

«Gnomeo und Julia» ist seit dem 24. März in vielen deutschen Kinos zu sehen.
25.03.2011 08:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/48575