Popcorn und Rollenwechsel: Lieblingsfilmpoker

Wie stehen Ihre Karten, wenn man Sie nach Ihrem Lieblingsfilm ausfragt? Sind sie glücklicher Filmanfänger oder versierter Profi?

Grüner Filz, dämmriges Licht, das klappernde Geräusch von Poker-Chips. So eine Pokerrunde unter Freunden ist einfach ein herrliches Vergnügen. Wenn einige Anfänger mit dabei sind, wird’s gerne mal anstrengend, da sie mit ihrer Ahnungslosigkeit die Profis aus der Ruhe bringen, lästige Frage stellen und einfach nach frei Schnauze spielen. Genau deshalb sind Pokerrunden mit Anfängern aber auch äußerst erfrischend und unterhaltsam.

Was mir allerdings erst vor kurzem im Laufe einer Runde Smalltalk bewusst wurde: Nicht allein beim Poker sind Ahnungslose durch ihre Unerfahrenheit die spaßigeren Zeitgenossen – beim Fachsimpeln über Filme verhält es sich oftmals ähnlich! Das Paradebeispiel dafür ist die vermeintlich simple Frage nach dem Lieblingsfilm. Fragt man als passionierter Filmliebhaber Gleichgesinnte, erhält man in fast allen Fällen eine der Standardantworten. «Citizen Kane», «Casablanca», «Der Pate», «Fight Club», und so weiter. Bloß ab und zu traut sich ein Filmfreund, einen obskuren Arthousefilm oder in absoluten Ausnahmefällen einen betagten Blockbuster wie «Star Wars» zu nennen.

Fragt man hingegen einen „Normalsterblichen“ ohne besonderen cineastischen Hintergrund, weiß man nie, was einen erwartet: Mannigfaltige, erstaunliche Antworten lauern in diesen amateurhaften Filmkonsumenten. Und mit ihnen die unterschiedlichsten Begründungen, weshalb gerade dieser oder jener Film ihr unschlagbarer Liebling ist. Zum Beispiel: „Mein Lieblingsfilm ist «Armageddon», weil ich den schon 100x gesehen und noch immer nicht satt habe.“ Ich nenne diese Argumentation scherzhaft die Phillip-Lahm-Logik. Lahms Begründung, er habe eine gute Meinung von Deutschlands hetzerischstem Boulevard-Blatt, weil er es jeden Tag lese, ist selbstredend großer Quatsch. Wenn ich jeden Tag in Hundescheiße trete, habe ich nicht plötzlich eine gute Meinung darüber. Umgekehrt würde eher ein Schuh daraus: Weil der Fußballer das Schundblatt gut findet, liest er es jeden Tag. Spricht nicht für den Intellekt deutscher Sportler, aber immerhin ist’s schlüssig.

Einen Film gut zu finden, weil man ihn häufig sah, ist zum Glück ein nicht ganz so grenzwertiger Kausalschluss: Ein Film, den man sich 100x ansehen kann (und will!), muss schon gewisse Qualitäten mitbringen. Tatsächlich deuten die meisten weiteren Lieblingsfilmbegründungen auf eben diese Elemente, die jemanden einen Film immer wieder sehen lassen. Etwa das Kriterium der einen, hervorstechenden Qualität: „Mein Lieblingsfilm ist Disneys «Hercules», weil die Musik so klasse ist.“ Story? Figurendesign? Animation? Pfff, egal! Ein Film mag in den meisten Kategorien vielleicht nicht sonderlich aus der Masse hervorstechen, aber er hat vielleicht einen alles überstrahlenden Vorzug. Eben dadurch wird er für jemanden zum Lieblingsfilm.

Man wird eher wenige Cineasten finden, die einen anderweitig schwachen Film bloß wegen der Filmmusik über sicherere Kandidaten wie «Die Verurteilten» stellen. Die wenigsten Kritiker-Bestenlisten begründen ihren ersten Platz mit „eigentlich ein ganz normaler Actionfilm… aber die Hauptdarstellerin, wow!“. Und trotzdem sind solche Ausnahmekriterien beim Durchschnitts-Filmgucker vollkommen normal. Sei es der geniale Nebendarsteller, die Musik oder „diese eine Szene am Schluss“, ein Volltreffer kann für vieles entschädigen. Zumindest, wenn man seinen Lieblingsfilm nicht nach dem imaginären Grundlehrbuch der Filmkritik bewertet.

Schlussendlich lässt sich noch eine weitere populäre Erklärung (oder gar Entschuldigung) für Lieblingsfilme finden: Persönliche Erinnerungen. „Mein Lieblingsfilm ist «Scream», denn der erinnert mich immer daran, wie ich den als Teenager trotz Verbot meiner Eltern mit Freunden gesehen habe. Mensch, das waren vielleicht geile Sommerferien…“

Wenn ein Film aus irgendwelchen Gründen mit persönlichen Erlebnissen in Verbindung gebracht wird, ist er emotional so sehr aufgeladen, dass er sich als Lieblingsfilm viel mehr anbietet, als irgendein beliebiger Klassiker. Gelegenheits-Filmgucker sind ja nicht automatisch Banausen, einige „Normalos“ sind durchaus in der Lage, den künstlerischen Wert von «Citizen Kane» zu erkennen und zu würdigen. Aber müssen sie ihn deshalb mehr ins Herz schließen, als den Film, während dem sie erstmals ihre Ehefrau küssten? Oder für den sie sich mit mehreren Freunden vor der Kinokasse drei Stunden lang die Beine in den Bauch standen?

Bei Musik werden emotionale Antworten ja schließlich auch akzeptiert. Die wenigsten werden sagen: „Der Song hat den Rock‘n‘Roll kommerziell tauglich gemacht, natürlich ist das mein Lieblingslied!“ Nein, das Lieblingslied ist eine höchst persönliche Angelegenheit, keine musikwissenschaftliche bestimmbare Sache. „Mein Lieblingslied ist «Geile Zeit» von Juli. Das war unser Abi-Abschlusslied!“, „Mein Lieblingslied ist «Boléro». Dazu wurde ich entjungfert!“, „Mein Lieblingslied ist «Anton aus Tirol». Das macht mich immer sooo traurig!“ – wenn solche Antworten in der Musik akzeptabel sind, wieso sträuben sich so viele Cineasten, ähnliches im Bereich Film zuzulassen?

Wenn in Sachen Film weniger bewanderte Leute über ihre Lieblingsfilme sprechen, bleiben Filmfans häufig zunächst perplex zurück. Aber sie bekommen dann facettenreiche Antworten zu hören, die viel mehr über die einzelne Person aussagen, als irgendwelche Standardantworten aus dem Lehrbuch für angehende Kinokritiker. Ich finde, dass sich auch Cineasten trauen sollten, ihre Leidenschaft wieder stärker zu emotionalisieren. Vielleicht können sie sich während des Smalltalks bei einer Pokerrunde schon mal darin üben. Etwas Unberechenbarkeit hat am Pokertisch selten geschadet.
07.03.2011 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/48178