Der gefallene Casanova: Charlie Sheens Absturz in Hollywood

Kein Hollywood-Star machte in den vergangenen Monaten solch negative Schlagzeilen wie Charlie Sheen: Drogen, Prostituierte und Gewaltexzesse bestimmten die mediale Berichterstattung. Ist ein solcher Schauspieler noch ernst zu nehmen?

Tatort: Der Nobel-Skiort Aspen im US-Bundesstaat Colorado. Tatzeit: Weihnachten 2009. Charlie Sheen, Filmstar und Hauptdarsteller der Erfolgs-Sitcom «Two and A Half Men», geht laut Medienberichten auf seine Frau Brooke Mueller mit einem Messer los. Sie zeigt ihn wegen häuslicher Gewalt an; Sheen wird noch am 25. Dezember des Jahres festgenommen. Die Ehe mit der Immobilienmaklerin, die das aufbrausende Leben des Hollywood-Stars in rechte Bahnen gelenkt zu haben schien, war dahin – nach nur 19 Monaten. Einige Wochen später lässt sich der Star in eine Suchtklinik einliefern und dort behandeln; er unterbricht deswegen sogar den Dreh neuer Folgen von «Half Men».

Sheen, der mit 19 Jahren zum ersten Mal Vater wurde und mit 21 Jahren ein gefeierter Filmstar, macht seit diesem Vorfall negative Schlagzeilen wie kein anderer Prominenter. Am 26. Oktober 2010 randaliert der Sitcom-Darsteller im New Yorker Plaza Hotel und hinterlässt ein Hotelzimmer mit einem Sachschaden von 5000 Euro. Ein Escort-Girl, mit dem Sheen sich zuvor vergnügt hatte, findet die Polizei panisch und versteckt in einem Schrank vor – auch gegenüber ihr soll Sheen gewalttätig geworden sein. Verschiedene Aussagen können später nur ein ambivalentes Bild der Vorfälle zeichnen, sodass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, wie Sheen sich verhielt.

Die Geschichte, die in den US-Boulevardmedien exzessiv behandelt wurde, beginnt mit einem Abendessen Sheens zusammen mit seiner Ex-Frau Denise Richards und seinen Kindern. Im Laufe des Abends soll der Schauspieler zu viel Alkohol getrunken haben und ausfällig geworden sein – dass er Drogen- und Alkoholprobleme hat, gibt der Star später selbst zu. Im Restaurant selbst verschwindet Sheen dann mit einem von mehreren Escort-Girls auf der Toilette, geht später noch mit ihnen feiern und anschließend in das Plaza Hotel. Sheen rastet schließlich dort aus, weil auf dem Zimmer sein Handy und seine Geldbörse fehlen sollen. Freunde des Schauspielers sprechen später von einem „klassischen Charlie-Besäufnis“, er selber führt den Eklat auf eine „allergische Reaktion“ zurück.

Auch über die Weihnachtstage 2010 ist Sheen wieder in den Medien – diesmal allerdings nicht wegen häuslicher Gewalt, sondern wegen angeblich exzessiven Drogenkonsums. Spendabel zeigt er sich dennoch, schenkt er doch allen Teammitgliedern am Set seiner Serie «Two and A Half Men» ein iPad zum Fest, wie die Insider-Website Deadline Hollywood berichtete. Aber kaum ist das Jahr ein paar Tage alt, fällt Sheen wieder aus dem Rahmen: Laut der Internetseite TMZ.com habe sich Sheen am 10. Januar in Las Vegas mit gleich drei bekannten US-Pornodarstellerinnen vergnügt. Im Zuge dessen wird bekannt, dass er seinen Entzugshelfer entlassen hat – dieser wurde nach der Randale-Nacht im Oktober 2010 angeheuert. Und aktuell ist Sheen wieder in den Schlagzeilen: Wie TMZ.com berichtet, wurde Sheen am Donnerstag (27. Januar 2011) per Notruf in ein Krankenhaus eingeliefert, nach einer wilden 36-stündigen Partyorgie mit zwei Pornostars, einem Geschäftspartner und zahlreichen weiteren Mädchen. Erste Aussagen sprechen diesmal von Unterleibsschmerzen aufgrund exzessivem Kokainkonsums während der Party, die zu dem Notfall geführt haben sollen. Seit Freitag ist nun von einem Zwerchfell-Riss die Rede, an dem Sheen seit Längerem laborieren soll.

Ist Sheen als authentischer Darsteller noch ernst zu nehmen oder spielt das Privatleben keine Rolle? Dass er sogar den Dreh seiner Sitcom unterbrechen musste, um einen Entzug durchzuführen, zeigt klar, dass seine privaten Probleme schon in den Beruf eingreifen. Dass Sheen in «Two and A Half Men» mit Charlie Harper eine Rolle spielt, die seiner eigenen in Ansätzen verblüffend ähnelt, dürfte den Star aktuell vor dem totalen Kollaps bewahren: Denn die Zuschauer lieben es weiterhin, wenn Sheen eine Rolle verkörpert, die ihm auf den Leib geschrieben ist. Geht es allerdings um Arbeit abseits seiner Sitcom – beispielsweise wenn diese mal eingestellt wird – dürfte die Karriere des Hollywood-Stars vorbei sein. Denn welcher Regisseur, welche Produzenten wollen mit einer Person arbeiten, die nur Negativschlagzeilen macht und ihr Image komplett ruiniert hat? Dass sein Stern sinkt, beweisen auch die spärlichen Engagements abseits seiner Serie: Die letzte größere Rolle hatte Sheen 2004 im Kinofilm «The Big Bounce», anschließend folgten nur noch einige Cameo-Auftritte in Filmen und TV-Serien sowie der Besuch einiger Late-Night-Talkshows.

Das Problem all diesen Eskapaden in den vergangenen Monaten ist sekundär auch folgendes: Charlie Sheen und seine Handlungen sind für viele junge Menschen ein Vorbild, wenn man diversen Leserkommentaren auf Boulevard-Newsseiten oder Forendiskussionen Glauben schenken mag. Sheens Sex-Abenteuer und sein Umgang mit Frauen machen ihn zu einem gefeierten Helden bestimmter jugendlicher Zielgruppen, die sein Verhalten als mutig und ehrlich empfinden – denn er hat viele Frauen und schert sich nicht um die Meinung oder Gefühle anderer. Nicht zuletzt wegen dieser klassischen Darstellung als moderner Macho und Lebemann dürfte seine Sitcom «Two and A Half Men» auch so erfolgreich sein.

Sheen beugt sich nicht den gesellschaftlichen Konventionen, die ein solches Fehlverhalten normalerweise verhindern; er scheint ohne Rücksicht auf Verluste billigen Sex zu erkaufen und immer neue Grenzen zu überschreiten, indem er Frauen nur noch als erobernswerte Objekte wahrzunehmen scheint. Doch damit und mit den zahlreichen Gewalt- und Drogenexzessen ist er am gesellschaftlichen Bodensatz, in der dreckigen Gosse Hollywoods angekommen, ohne es selbst wahrscheinlich zu merken. Und irgendwie passt es in den Zeitgeist der schnellen Emotionen und der fortschreitenden Sexualisierung, dass ein solcher Mensch als cooles Vorbild für gewisse gesellschaftliche Gruppen gelten kann. Als stereotype TV-Figur mag dies punktuell noch ganz lustig sein, aber im wahren Leben können solche Charaktere nur bemitleidet werden.
28.01.2011 11:12 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/47358