Mythos RTL-Fernbedienung

Wie sieht die geheimnisvolle Fernbedienung aus, die für RTLs hohe Quoten sorgt? Und wie kann ProSieben davon profitieren?

Statistisch gesehen würden 11 Prozent der Deutschen lieber eine langweilige Sendung weitersehen statt aufzustehen und am Gerät umzuschalten, wenn plötzlich die Fernbedienung nicht mehr funktioniert. Einige Sender haben daraufhin die Fernbedienungsviren-Forschung intensiviert.

Über 20 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe für beide Ausgaben von «Wer wird Millionär?». 25,5 Prozent für «CSI: Miami». 22,7 Prozent für «Dr. House». Das ist die Quotenwelt von RTL: Zahlen von denen Angestellte anderer Sender nur träumen. Insbesondere, wenn sie bei Sat.1 arbeiten. Wenn da nicht die Schattenseite dieser Wahnsinnquoten wäre: 26,7 Prozent Marktanteil für «Verdachtsfälle». 27,7 Prozent für «Mitten im Leben». 28,7 Prozent für «Familien im Brennpunkt». Und das alles an einem Tag, nämlich vergangenen Mittwoch. Auch darauf kann man stolz sein - muss man aber nicht.

Immer wieder, wenn in den letzten Jahren und insbesondere den letzten zwölf Monaten über den neuesten Riesenerfolge von RTL selbst mit dem größten Trashprogramm berichtet wird und selbst Shows, die auf jedem anderen Sender gnadenlos gescheitert wären, über fünf Millionen Zuschauer fesseln, gerät ein Phantom in die Diskussion, das vor einigen Monaten auch schon mal durch Statistisch gesehen geisterte: Die "RTL-Fernbedienung". Augenscheinlich leben Millionen von Menschen da draußen, die das Pech hatten, ein Fehlfabrikat zum neuen wohnzimmerwand-füllenden Plasmafernseher beigelegt zu bekommen, das nur einen einzigen großen Knopf besitzt mit der Aufschrift: RTL. Und da gehaltloses Flimmern besser ist als gar keines und der durchschnittliche Couch Potato zu faul, sein Modell umzutauschen, wird der eben auch regelmäßig gedrückt. Ich halte diese These für äußerst waghalsig. Die Öffentlich-Rechtlichen hätten den schlampigen Fabrikanten längst verklagt.

Aber ich habe eine Idee, wie die geheimnisvolle RTL-Fernbedienung tatsächlich aussehen könnte. Eine Abbildung des Modells ist links zu sehen: Die RTL-Fernbedienung hat zwei Tasten, mit denen man einen Kanal rauf oder runter schalten kann und neun Ziffernknöpfe, hinter denen jeweils ein Sender eingespeichert ist. Auf der 1 Das Erste, auf der 2 das ZDF, auf der 3 RTL, auf der 4 Sat.1, auf der 5 ProSieben und so weiter. Das klingt enttäuschend unspektakulär und wenig einleuchtend? Ein Schuh wird auch erst dann daraus, wenn man die wichtigste Eigenschaft der bereits erwähnte, faulen Couch Potatos mit in die Rechnung einbezieht: Er ist faul.

So faul, dass er nur einen einzigen Knopf benutzt: "Kanal rauf". Der Couch Potato schaltet also seinen Fernseher ein und dann solange weiter bis er etwas entdeckt, was ihm halbwegs gefällt. Ob auf den hinteren Programmplätzen etwas läuft, was ihm vielleicht noch besser gefällt, weiß er nicht, denn der Aufwand, eine Fernsehzeitschrift zu lesen ist auch zu groß. So lässt sich Zapping als stochastischer Prozess beschreiben. Diese Idee von der RTL-Fernbedienung beschert uns anhand der Zielgruppenquoten des letzten Jahres statt 18,1 Prozent, die bewusst RTL einschalten, nun 20,8 Prozent, die beim Zappen bei RTL hängen bleiben. Umgekehrt gesagt: Statt 81,9 Prozent, die etwas anderes besser fanden, sind es nun 79,2 Prozent, die RTL unerträglich fanden. Interessant: Bei ProSieben bleiben mit 20,9 Prozent knapp mehr Couch Potatoes hängen.



Interessant wird es, wenn man die RTL-Fernbedienung etwa in eine ProSieben-Fernbedienung umprogrammiert und die folgende Senderreihenfolge einstellt: 1 ProSieben, 2 Sat.1, 3 Das Erste, 4 ZDF, 5 RTL. Jetzt bleibt beim Durchschalten immer noch gut jeder Fünfte bei RTL hängen - allerdings schauen nun viel mehr junge Menschen ProSieben oder Sat.1, sodass sie bei RTL erst gar nicht ankommen. ProSieben hat auf der nach ihm benannten Fernbedienung einen Marktanteil von 20,9 Prozent und ist klarer Marktführer. RTL kommt auf 12,0 Prozent und landet damit sogar noch hinter Sat.1 mit 12,6 Prozent.

Damit sollte nun auch geklärt sein, weshalb Das Vierte unbedingt auf den Knopf mit der 4 wollte, arte auf die 8 oder 9live - so abenteuerlich diese Idee klingt - auf die 9. Die Marktanteile würden in die Höhe schnellen, wenn das jeder täte. Jedenfalls, wenn Das Vierte in Zukunft darauf verzichten würde, Sitcom-Ersatzstoffe aus Russland zu adaptieren.

Natürlich muss am Konzept der RTL-Fernbedienung noch viel Forschung betrieben werden. Offen bleibt die Frage: Kennt der Couch Potato den Aus-Knopf seiner Fernbedienung? Und was tut er, nachdem er ihn tatsächlich gedrückt hat? Fürs Erste bleibt aber festzuhalten: Wer seine Fernbedienung richtig programmiert, findet auch das Programm, das er gesucht hat.

Oft steckt mehr hinter den Zahlen des TV-Geschäfts als man auf den ersten Blick sieht. Oder weniger. Statistisch gesehen nimmt sie unter die Lupe.
24.09.2010 10:10 Uhr  •  Stefan Tewes Kurz-URL: qmde.de/44762